Entscheidungsstichwort (Thema)

Keine gemeinsame Bekanntgabe von Einkommensteuerbescheiden an Ehegatten nach Abgabe getrennter Steuererklärungen mit Antrag auf besondere Veranlagung

 

Leitsatz (redaktionell)

1. Durch die Abgabe zweier getrennter Einkommensteuererklärungen mit Antrag auf Durchführung besonderer Veranlagungen nach § 26c EStG erklären Eheleute konkludent, dass sie keine gemeinsame Bekanntgabe von Bescheiden wünschen. Denn bei einer ihrem Antrag entsprechenden Einzelveranlagung wäre eine Bekanntgabe nach § 122 Abs. 7 Satz 1 AO von vornherein ausgeschlossen gewesen. Nicht anders verhält es sich, wenn das Finanzamt gegen den erklärten Willen der Eheleute eine Zusammenveranlagung durchführt.

2. Ein den Eheleuten unter ihrer gemeinsamen Anschrift gemeinsam bekanntgegebener Bescheid über Aussetzungszinsen ist dem Ehemann gegenüber unwirksam, wenn nur die Vollziehung der Steuerschuld der Ehefrau aufgrund eines von dieser gestellten Antrags ausgesetzt war. Eine von dem Ehemann darauf geleistete Zahlung erfolgt ohne Rechtsgrund.

 

Normenkette

AO § 122 Abs. 7 S. 1, § 37 Abs. 2, § 237; EStG § 26 Abs. 1, §§ 26b, 26c

 

Nachgehend

BFH (Urteil vom 18.08.2020; Aktenzeichen VII R 39/19)

 

Tenor

1. Der Beklagte wird unter Aufhebung des ablehnenden Bescheides vom 16. Februar 2016 und der hierzu ergangenen Einspruchsentscheidung vom 22. April 2016 verpflichtet, zu Gunsten des Klägers bestehende Erstattungsansprüche in Höhe von 1.487,08 EUR und 714 EUR festzustellen.

2. Der Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens.

Das Urteil ist hinsichtlich der Kosten vorläufig vollstreckbar. Ermöglicht der Kostenfestsetzungsbeschluss eine Vollstreckung im Wert von mehr als 1.500 EUR, hat der Kläger in Höhe des Kostenerstattungsanspruches Sicherheit zu leisten. Bei einem vollstreckbaren Kostenerstattungsanspruch bis zur Höhe von 1.500 EUR kann der Beklagte der vorläufigen Vollstreckung widersprechen, wenn der Kläger nicht zuvor in Höhe des vollstreckbaren Kostenanspruchs Sicherheit geleistet hat.

3. Die Revision wird zugelassen.

 

Tatbestand

Streitig ist die Erstattung der vom Kläger gezahlten Beträge für Einkommensteuer, Solidaritätszuschlag und Kirchensteuer für das Jahr 2000 sowie Aussetzungszinsen zur Einkommensteuer 2000.

Der bis dahin einzelveranlagte Kläger, ein Finanzbeamter, hat am 29. September 2000 geheiratet. Am 19. Februar 2001 reichte seine Ehefrau unter ihrer bisherigen Steuernummer [St.Nr. Ehefrau] beim Beklagten eine ausschließlich von ihr unterschriebene Einkommensteuererklärung für das Jahr 2000 ein, in der sie unter der Rubrik „Steuerpflichtige Person (Stpfl.), bei Ehegatten: Ehemann” ihre eigenen persönlichen Daten eintrug, unter „Ehefrau” die ihres Ehemannes. Im Übrigen machte sie nur Angaben zu ihren eigenen Einkünften. Zudem beantragte sie eine besondere Veranlagung für das Jahr der Eheschließung gemäß § 26c des Einkommensteuergesetzes (EStG).

Am gleichen Tag (19. Februar 2001) reichte auch der Kläger unter Verwendung seiner bisherigen Steuernummer [St.Nr. Kl] eine ausschließlich von ihm unterzeichnete Einkommensteuererklärung für das Jahr 2000 ein, in der er unter den allgemeinen Angaben beim Steuerpflichtigen die persönlichen Daten zu seiner Person eintrug und unter der Rubrik „Ehefrau” die seiner Frau. Auch er beantragte eine besondere Veranlagung für das Jahr der Eheschließung und machte ausschließlich Angaben zu seinen eigenen Einkünften.

Daraufhin erließ der Beklagte (im Folgenden das Finanzamt) zunächst am 18. April 2001 einen an beide Ehegatten gerichteten Bescheid unter der neu vergebenen Steuernummer [St.Nr. neu Ehegatten], in dem es lediglich die Einkünfte der Ehefrau berücksichtigte, die in der Spalte „Ehemann” erfasst wurden, den Splittingtarif anwandte und die Einkommensteuer auf 0 EUR festsetzte. Den Bescheid gab es den Eheleuten in nur einer Ausfertigung bekannt. Die Festsetzung führte nach Anrechnung der vom Lohn der Ehefrau einbehaltenen Abzugsbeträge für Lohnsteuer, Solidaritätszuschlag und Kirchensteuer zu einer Erstattung in Höhe von 2.908,48 DM (1.487,08 EUR), die das Finanzamt auf das in der Steuererklärung der Ehefrau angegebene Konto bei der Bank I Nr. … überwies. Der Bescheid blieb unangefochten.

Am 8. Mai 2001 veranlagte das Finanzamt darüber hinaus den Kläger unter Verwendung dessen bisheriger Steuernummer [St.Nr. Kl] seinem Antrag entsprechend. Der Bescheid ist bestandskräftig geworden. Das aus dem Bescheid resultierende Guthaben in Höhe von 450,92 EUR (397,27 EUR Einkommensteuer, 21,85 EUR Solidaritätszuschlag und 31,80 EUR Kirchensteuer) wurde dem Kläger auf dessen Konto erstattet.

Mit wiederum an beide Ehegatten gerichtetem Bescheid vom 8. November 2001 hob das Finanzamt den Bescheid vom 18. April 2001 über die Zusammenveranlagung unter Verweis auf § 129 der Abgabenordnung (AO) mit der Begründung auf, es liege eine offenbare Unrichtigkeit vor. Dem ebenfalls in nur einer Ausfertigung bekannt gegebenen Aufhebungsbescheid war eine Abrechnung beigefügt, in der die zuvor auf das Konto der Ehefrau des K...

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