Entscheidungsstichwort (Thema)
Weiterleitung von Kontrollmaterial über Kapitalanlagen in der Schweiz durch Steuerfahndung
Leitsatz (NV)
Die Steuerfahndung darf Kontrollmaterial über von einem inländischen legitimationsgeprüften Konto aus getätigte Kapitalanlagen in der Schweiz bei hinreichendem Anlass an das Wohnsitz-FA weiterleiten, ohne dass ein strafrechtlicher Anfangsverdacht bestehen muss.
Normenkette
AO 1977 § 30a Abs. 3, § 154 Abs. 2, § 194 Abs. 3, § 208 Abs. 1, § 393 Abs. 1 S. 1; EG Art. 56 Abs. 1, Art. 58
Verfahrensgang
Tatbestand
I. Die Kläger und Revisionsbeklagten (Kläger) wurden für die Streitjahre (1995 und 1996) als Eheleute zusammen zur Vermögensteuer veranlagt.
Bei einer Fahndungsprüfung bei der X-Bank AG wurden Belege aufgefunden, wonach der Kläger am 29. Januar 1993 von seinem inländischen Depotkonto bei dieser Bank 1 Mio. DM auf sein Konto bei der X-Bank Schweiz AG überwiesen und am 8. November 1993 und 21. November 1994 80 000 DM und 150 000 DM zurücküberwiesen hatte. Das Amtsgericht (AG) F hatte mit Beschluss vom 15. Februar 1996 die Durchsuchung bestimmter Geschäfts- und Büroräume der X-Bank AG und die Beschlagnahme sämtlicher Unterlagen, die im Zusammenhang mit der Geld- und Depottransferierung von und nach Luxemburg, der Schweiz und Gibraltar stehen, wegen des Verdachts der Beihilfe zur Einkommen-, Umsatz-, Gewerbe- und Vermögensteuerhinterziehung zugunsten von Anlegern der X-Bank Luxemburg, der X-Bank Schweiz und der X-Bank Gibraltar angeordnet. Mit Beschluss vom 31. März 1998 hatte das AG die durch Beamte des Finanzamts Y --Steuerfahndung-- angeordnete Beschlagnahme der Gegenstände laut Sicherstellungsverzeichnis richterlich bestätigt. Der Beschwerde der Bank dagegen hatte das Landgericht (LG) F mit Beschluss vom 26. Mai 1999 nur in bestimmten Punkten, denen im vorliegenden Zusammenhang keine Bedeutung zukommt, stattgegeben. Es hatte die Beschlagnahme von Unterlagen über nicht anonymisierte Zahlungsvorgänge, bei denen Auftraggeber und Begünstigte genannt sind, ausdrücklich als rechtmäßig bestätigt, und zwar mit der Begründung, auch solche Belege könnten für die vorliegende Untersuchung Beweisbedeutung haben. Einerseits könne geprüft werden, ob Transaktionen für einzelne Kunden unter falschem Namen durchgeführt worden seien. Die Überprüfung des Zahlungsverkehrs könne zum anderen zur Enttarnung von Kunden der X-Bank als Haupttäter und zur Feststellung des Gesamtanlagevolumens von Kunden im Ausland führen. Angesichts der von der X-Bank angebotenen Möglichkeiten der Geldanlage bei deren Auslandsniederlassungen und des nach dem bisherigen Ermittlungsergebnis bestehenden Tatverdachts, dass diese Anlagemöglichkeiten von den Anlegern vor allem zum Zweck der Steuerhinterziehung genutzt würden, erscheine die umfassende Untersuchung der Zahlungsvorgänge sowie Geld- und Wertpapiertransfers mit Auslandsberührung auch in nicht anonymisierter Form für die weitere Sachverhaltsaufklärung und Beweisführung von Bedeutung.
Die o.g. Überweisungsbelege führten im Mai 1999 zur Einleitung eines Steuerstrafverfahrens gegen die Kläger und nach Weiterleitung an den Beklagten und Revisionskläger (Finanzamt --FA--) zur Erhöhung der gegen die Kläger festgesetzten Vermögensteuer für 1995 und 1996. Das FA nahm dabei unter Berücksichtigung der Rücküberweisungen einerseits und einer geschätzten Verzinsung andererseits an, dass der Kläger am 1. Januar 1995 in der Schweiz einen bisher vermögensteuerlich nicht erfassten Betrag von 922 089 DM angelegt hatte. Es folgte auch im Einspruchsverfahren nicht dem Vorbringen der Kläger, der in die Schweiz überwiesene Betrag sei im Zusammenhang mit einem beabsichtigten Unternehmensverkauf in Höhe von 770 000 DM als sog. nützliche Aufwendungen an einen Dritten gezahlt worden.
Das Finanzgericht (FG) gab der Klage mit dem in Entscheidungen der Finanzgerichte (EFG) 2004, 694 veröffentlichten Urteil mit der Begründung statt, das FA habe die Überweisungsbelege nicht verwerten dürfen. Die Steuerfahndung habe diese Belege nach § 30a Abs. 3 der Abgabenordnung (AO 1977) nicht an das FA weiterleiten dürfen. Bei dem inländischen Konto des Klägers habe es sich um ein Guthabenkonto gehandelt, bei dessen Errichtung eine Legitimationsprüfung nach § 154 Abs. 2 AO 1977 vorgenommen worden sei. § 30a Abs. 3 AO 1977 gelte über den Wortlaut hinaus auch für Fahndungsprüfungen, soweit die Steuerfahndung --wie im Streitfall bezüglich der Kläger-- nicht zur Erforschung von Straftaten und Steuerordnungswidrigkeiten und zur Ermittlung der Besteuerungsgrundlagen in diesen Fällen (§ 208 Abs. 1 Satz 1 Nrn. 1 und 2 AO 1977), sondern zur Aufdeckung und Ermittlung unbekannter Steuerfälle (§ 208 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 AO 1977) tätig werde. § 30a Abs. 3 Satz 1 AO 1977 schließe die Feststellung oder das Abschreiben von legitimationsgeprüften Guthabenkonten oder Depots entgegen dem Wortlaut nicht generell aus, sondern lasse dies ebenso wie § 30a Abs. 3 Satz 2 AO 1977 das Ausschreiben von Kontrollmitteilungen zu, soweit ein hinreichender Anlass für ein Tätigwerden bestehe. An einem solchen Anlass fehle es im Streitfall. Die Überweisung auf das Schweizer Konto sei nicht in unüblicher oder zumindest ungewöhnlicher Weise erfolgt und habe deshalb keinen strafrechtlichen Anfangsverdacht begründet. Das sei entscheidend. Es brauche mithin nicht entschieden zu werden, ob die vom FA vorgenommene Hinzuschätzung zutreffend sei.
Mit der Revision rügt das FA Verletzung von § 30a Abs. 3 und § 208 Abs. 1 Satz 1 Nrn. 1 bis 3 AO 1977. Aufgrund der Beschlüsse des AG und des LG sei die Steuerfahndung bei der Weiterleitung des Kontrollmaterials aufgrund hinreichenden Anfangsverdachts in einem strafrechtlichen Ermittlungsverfahren tätig geworden. Der strafrechtliche Anfangsverdacht ergebe sich aus der ungewöhnlichen Höhe des Transfers von 1 Mio. DM in die Schweiz. Dieses Land nehme auf dem internationalen Kapitalmarkt eine Sonderstellung ein, weil Geldanlagen in der Schweiz aufgrund des dort geltenden Bankgeheimnisses dem deutschen Fiskus wirksam entzogen werden könnten. Dies habe nichts mit einer Diskriminierung von Geldtransfers in die Schweiz zu tun. Es liege daher auch kein Verstoß gegen die europarechtlich gewährleistete Kapital- und Zahlungsverkehrsfreiheit vor. Selbst wenn man annehmen wollte, dass kein strafrechtlicher Anfangsverdacht gegen die Kläger bestanden habe, habe für das Ausschreiben der Kontrollmitteilung über den Kapitaltransfer des Klägers ein hinreichender Anlass bestanden. Die vom Kläger vorgenommenen Überweisungen hätten die auf allgemeine Erfahrungen gestützte Prognoseentscheidung gerechtfertigt, dass eine Kontrollmitteilung zur Aufdeckung steuererheblicher Tatsachen führen könne.
Das FA beantragt, die Vorentscheidung aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Die Kläger beantragen, die Revision als unbegründet zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
II. Die Revision ist begründet. Sie führt zur Aufhebung der Vorentscheidung und zur Zurückverweisung der Sache an das FG zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung (§ 126 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 der Finanzgerichtsordnung --FGO--). Das FG hat zu Unrecht angenommen, dass das FA das ihm zugeleitete Kontrollmaterial nicht verwerten durfte, und deshalb noch nicht geprüft, ob die Zuschätzung zu Recht erfolgt ist. Es wird dies nunmehr nachzuholen haben.
1. Die Weiterleitung des Kontrollmaterials an das FA entspricht dem Aufgabenbereich und den Befugnissen der Steuerfahndungsstelle im Steuerverfahren. § 30a Abs. 3 AO 1977 stand der Weiterleitung nicht entgegen.
a) Bei der Überprüfung einer konkreten Tätigkeit der Steuerfahndung auf ihre Rechtmäßigkeit hin ist nach der Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs (BFH) zwischen der Aufgabenzuweisung einerseits (§ 208 Abs. 1 Satz 1 Nrn. 1 bis 3 AO 1977) und den zur Erfüllung dieser Aufgaben verliehenen Befugnissen andererseits (§ 208 Abs. 1 Satz 2 AO 1977) zu unterscheiden. Eine konkrete Maßnahme der Steuerfahndung ist hiernach rechtmäßig, wenn sich die Steuerfahndung dabei im Rahmen des ihr zugewiesenen Aufgabenbereichs gehalten hat und ihr die in Anspruch genommene Befugnis nach dem Gesetz auch zusteht (BFH-Beschluss vom 21. März 2002 VII B 152/01, BFHE 198, 42, BStBl II 2002, 495).
Die Steuerfahndung kann gelegentlich ihrer Tätigkeit im strafrechtlichen Ermittlungsverfahren (§ 208 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AO 1977) gleichzeitig auch ihrer Aufgabe, unbekannte Steuerfälle aufzudecken und zu ermitteln, nachkommen, also im Rahmen steuerverfahrensrechtlicher Ermittlungen tätig werden (§ 208 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 AO 1977). Die grundsätzliche Zulässigkeit dieser doppelfunktionalen Tätigkeit der Steuerfahndung bei der Erfüllung ihrer gesetzlichen Aufgaben ist in der Rechtsprechung des BFH anerkannt und wird damit gerechtfertigt, dass das Gesetz eine strikte Trennung der Befugnisse vorsieht, die der Finanzbehörde im Besteuerungsverfahren einerseits und im Strafverfahren andererseits zustehen (§ 393 Abs. 1 Satz 1 AO 1977). So wie für den Steuerpflichtigen Rechte und Pflichten unterschiedlich sind je nachdem, welchem Verfahren er sich ausgesetzt sieht, so gelten auch für den Steuerfahnder, wechselt er die Rolle vom Strafverfolgungsermittler zum Steuerverfahrensermittler oder umgekehrt, unterschiedliche Befugnisse. Die jeweilige Aufgabenerfüllung bestimmt somit die Befugnisse, wie es für eine rechtsstaatliche Kontrolle der Tätigkeit der Steuerfahndung unerlässlich ist. Dem entspricht die Unterscheidung zwischen der Aufgabenzuweisung einerseits und den zur Erfüllung dieser Aufgaben verliehenen Befugnissen andererseits (BFH-Beschluss vom 25. Juli 2000 VII B 28/99, BFHE 192, 44, BStBl II 2000, 643, m.w.N.).
b) Die Steuerfahndung ist gegenüber den Klägern im Rahmen der ihr zugewiesenen Aufgabe, unbekannte Steuerfälle aufzudecken und zu ermitteln (§ 208 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 AO 1977), tätig geworden.
aa) Die Aufdeckung und Ermittlung unbekannter Steuerfälle umfasst Nachforschungen sowohl nach unbekannten Steuerpflichtigen als auch nach bisher unbekannten steuerlichen Sachverhalten (BFH-Beschlüsse in BFHE 192, 44, BStBl II 2000, 643, und in BFHE 198, 42, BStBl II 2002, 495).
Aufgrund einer Abwägung der Bedeutung der allgemeinen Steueraufsicht für die Sicherung der Staatseinnahmen und des hohen Stellenwerts, den das Gebot der Steuergleichheit und Steuergerechtigkeit für die Allgemeinheit hat, einerseits und der Rechte und Interessen des von einer Maßnahme der Steuerfahndung im Einzelfall Betroffenen andererseits hat die Aufgabenerfüllung der Steuerfahndung nach § 208 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 AO 1977 erst dann einzusetzen, wenn für ein Tätigwerden ein hinreichender Anlass besteht. Ein solcher liegt vor, wenn aufgrund konkreter Anhaltspunkte (z.B. wegen der Besonderheit des Objekts oder der Höhe des Werts) oder aufgrund allgemeiner Erfahrung (auch konkreten Erfahrungen für bestimmte Gebiete) die Möglichkeit einer Steuerverkürzung in Betracht kommt und daher eine Anordnung bestimmter Art angezeigt ist. Ermittlungen "ins Blaue hinein", Rasterfahndungen, Ausforschungsdurchsuchungen oder ähnliche Ermittlungsmaßnahmen sind unzulässig (BFH-Beschlüsse in BFHE 192, 44, BStBl II 2000, 643, und in BFHE 198, 42, BStBl II 2002, 495, jeweils m.w.N.). Ein Tätigwerden der Steuerfahndung nach § 208 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 AO 1977 setzt allerdings keinen strafrechtlichen Anfangsverdacht voraus. Bei Vorliegen eines solchen Verdachts ergibt sich die Aufgabe der Steuerfahndung bereits aus § 208 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AO 1977, wonach ihr die Erforschung von Steuerstraftaten und Steuerordnungswidrigkeiten obliegt.
bb) Diese Voraussetzungen für ein Tätigwerden der Steuerfahndung gegenüber den Klägern waren erfüllt. Ein strafrechtlicher Anfangsverdacht gegen die Kläger war allerdings allein wegen der Überweisung eines hohen Betrags auf das Schweizer Konto nicht begründet, da die Überweisung in banküblicher Weise von einem gemäß § 154 Abs. 2 AO 1977 legitimationsgeprüften Konto vorgenommen worden war (BFH-Beschlüsse vom 6. Februar 2001 VII B 277/00, BFHE 194, 26, BStBl II 2001, 306, und vom 29. Januar 2002 VIII B 91/01, BFH/NV 2002, 749).
Aufgrund der gesamten Umstände bestand aber für ein Tätigwerden im Steuerverfahren ein von einem solchen konkreten Verdacht unabhängiger hinreichender Anlass. Dabei waren zum einen die Höhe des in die Schweiz überwiesenen Betrags und das Schweizer Bankgeheimnis (vgl. z.B. Tipke in Tipke/Kruse, Abgabenordnung-Finanzgerichtsordnung, § 30a AO 1977 Tz. 10, m.w.N.), das erfahrungsgemäß viele Steuerpflichtige zu Kapitalanlagen in der Schweiz veranlasst, um die inländische Besteuerung zu vermeiden (Ruegenberg, Das nationale und internationale Steuergeheimnis im Schnittpunkt von Besteuerungs- und Strafverfahren, 2001, S. 126 f.), und zum anderen die Feststellungen des LG im Beschluss vom 26. Mai 1999 zu berücksichtigen. Nach diesem Beschluss konnten auch Unterlagen über nicht anonymisierte Zahlungsvorgänge für die Untersuchung Beweisbedeutung haben, u.a. weil angesichts der von der X-Bank angebotenen Möglichkeiten der Geldanlage bei deren Auslandsniederlassungen und nach dem bisherigen Ermittlungsergebnis der Verdacht bestand, dass diese Anlagemöglichkeiten von den Anlegern vor allem zum Zweck der Steuerhinterziehung genutzt wurden. Es gehörte daher zu den Aufgaben der Steuerfahndung im Steuerverfahren (§ 208 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 AO 1977), durch Übersendung von Kontrollmaterial an das für die Kläger zuständige FA eine Überprüfung der zutreffenden Besteuerung zu ermöglichen.
Da ein hinreichender Anlass für Ermittlungsmaßnahmen der Steuerfahndung im Steuerverfahren gegeben war, handelte es sich nicht um eine Rasterfahndung oder eine Ermittlung "ins Blaue hinein" (vgl. BFH-Beschluss in BFHE 198, 42, BStBl II 2002, 495).
c) Die Befugnis der Steuerfahndung zur Weiterleitung des Kontrollmaterials an das FA ergibt sich aus § 208 Abs. 1 Satz 2 i.V.m. § 194 Abs. 3 AO 1977.
aa) Werden anlässlich einer Außenprüfung Verhältnisse anderer als der in § 194 Abs. 1 AO 1977 genannten Personen festgestellt, so ist nach § 194 Abs. 3 AO 1977 die Auswertung der Feststellungen u.a. insoweit zulässig, als ihre Kenntnis für die Besteuerung dieser anderen Personen von Bedeutung ist. Die Vorschrift ist auch anwendbar, wenn die Steuerfahndung als Außenprüfung im funktionalen Sinn, also aufgrund § 208 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 AO 1977 tätig wird (BFH-Beschluss vom 28. Oktober 1997 VII B 40/97, BFH/NV 1998, 424). Umstritten ist allerdings, ob die Vorschrift Kontrollmitteilungen nur bei hinlänglichem Anlass oder auch als beliebige Stichprobe erlaubt (vgl. dazu BFH-Urteil vom 18. Februar 1997 VIII R 33/95, BFHE 183, 45, BStBl II 1997, 499, unter B.III.4.a, ee, eee).
bb) Diese Streitfrage bedarf im vorliegenden Fall keiner Entscheidung. Aus den oben unter b) bb) dargelegten Gründen bestand nämlich ein hinreichender Anlass für die Übermittlung des Kontrollmaterials an das FA.
d) § 30a Abs. 3 AO 1977 stand der Übersendung der Überweisungsbelege an das FA nicht entgegen.
Kontrollmitteilungen zur Nachprüfung der ordnungsgemäßen Versteuerung dürfen im Rahmen von Außenprüfungen bei Kreditinstituten nicht nur dann gefertigt werden, wenn der Prüfer Zufallserkenntnisse gewinnt, die den Verdacht einer Steuerverkürzung im Einzelfall begründen. Ein hinreichender Anlass für das Ausschreiben von Kontrollmitteilungen ist vielmehr bereits dann gegeben, wenn der Prüfer im Rahmen einer aufgrund allgemeiner Erfahrung getroffenen Prognoseentscheidung im Wege vorweggenommener Beweiswürdigung zu dem Ergebnis kommt, dass eine Kontrollmitteilung zur Aufdeckung steuererheblicher Tatsachen zu führen vermag. Hinreichender Anlass im Anwendungsbereich des § 30a Abs. 3 AO 1977 meint folglich dasselbe wie der hinreichende Anlass für ein Tätigwerden der Steuerfahndungsbehörden zur Aufdeckung und Ermittlung unbekannter Steuerfälle i.S. von § 208 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 AO 1977 (BFH-Urteil in BFHE 183, 45, BStBl II 1997, 499, unter B.III.4.a, ee, ddd).
aa) Nach § 30a Abs. 3 AO 1977 dürfen die Guthabenkonten oder Depots, bei deren Errichtung eine Legitimationsprüfung nach § 154 Abs. 2 AO 1977 vorgenommen worden ist, anlässlich der Außenprüfung bei einem Kreditinstitut nicht zwecks Nachprüfung der ordnungsmäßigen Versteuerung festgestellt oder abgeschrieben werden. Die Ausschreibung von Kontrollmitteilungen soll insoweit unterbleiben. Noch nicht geklärt ist, ob die Vorschrift auch bei Fahndungsprüfungen anwendbar ist. Der I. Senat des BFH hat dies unter Hinweis auf die grundsätzlichen und systematischen Unterschiede zwischen einer Außenprüfung einerseits und einer Steuerfahndungsprüfung andererseits sowie die systematischen Zusammenhänge, die historische Entwicklung sowie Sinn und Zweck des § 30a Abs. 3 AO 1977 verneint (Beschluss vom 4. September 2000 I B 17/00, BFHE 192, 260, BStBl II 2000, 648; ebenso BFH-Urteil vom 11. Dezember 1997 V R 56/94, BFHE 185, 98, BStBl II 1998, 367, zu § 173 Abs. 2 AO 1977). Der VII. Senat des BFH beurteilt demgegenüber auf § 208 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 AO 1977 gestützte Maßnahmen der Steuerfahndung als Außenprüfung im funktionalen Sinn und hält insoweit § 30a Abs. 3 AO 1977 für anwendbar (Beschlüsse in BFH/NV 1998, 424, und in BFHE 192, 44, BStBl II 2000, 643; offen im Beschluss vom 15. Juni 2001 VII B 11/00, BFHE 195, 40, BStBl II 2001, 624, letzter Absatz der Entscheidungsgründe). Welcher Ansicht zu folgen ist, kann im Streitfall offen bleiben.
bb) Auch wenn § 30a Abs. 3 AO 1977 auf Maßnahmen der Fahndungsprüfung i.S. des § 208 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 AO 1977 angewendet wird, durfte die Steuerfahndung das Kontrollmaterial an das FA weiterleiten.
Die Sätze 1 und 2 des § 30a Abs. 3 AO 1977 sind unter Beachtung ihrer Entwicklungsgeschichte zu interpretieren. Während nach Satz 1 die dort bezeichneten Guthabenkonten und Depots anlässlich der Außenprüfung bei einem Kreditinstitut nicht festgestellt oder abgeschrieben werden "dürfen", "soll" nach Satz 2 die Ausschreibung von Kontrollmitteilungen insoweit unterbleiben. Die beiden Vorschriften sind nicht in der Weise aneinander anzupassen, dass Satz 1 der Vorrang gebührt und zu einer wortlautberichtigenden Auslegung des Satzes 2 im Sinne von "muss unterbleiben" führt. Vielmehr ist gerade umgekehrt das "dürfen nicht" in Satz 1 entsprechend der Regelung des Satzes 2 als "sollen nicht" zu interpretieren, wie der VIII. Senat in seinem Urteil in BFHE 183, 45, BStBl II 1997, 499 dargelegt hat.
Bei der Auslegung des § 30a Abs. 3 AO 1977 sind vor allem das aus Art. 3 Abs. 1 des Grundgesetzes (GG) herzuleitende Gebot zur Gleichbehandlung im Belastungserfolg bei der Besteuerung und der Schutz der Bankkunden vor unverhältnismäßigen staatlichen Eingriffen durch unbegrenzte Datenerhebung zu berücksichtigen (BFH-Urteil in BFHE 183, 45, BStBl II 1997, 499). Die Gleichmäßigkeit der Erhebung von Steuern ist ein gewichtiger Gemeinwohlbelang (Urteil des Bundesverfassungsgerichts --BVerfG-- vom 22. März 2005 1 BvR 2357/04 u.a., Deutsches Steuerrecht/Entscheidungsdienst --DStRE-- 2005, 482). Wird bei der Abgabenerhebung die Gleichheit im Belastungserfolg verfehlt, kann dies sogar zur Verfassungswidrigkeit der gesetzlichen Grundlagen der Abgabenerhebung führen (BVerfG-Urteil vom 27. Juni 1991 2 BvR 1493/89, BVerfGE 84, 239, BStBl II 1991, 654, zur Zinsbesteuerung; BVerfG-Beschluss vom 9. März 2004 2 BvL 17/02, BVerfGE 110, 94, BStBl II 2005, 56, zur Besteuerung von privaten Spekulationsgeschäften bei Wertpapieren).
Unter Berücksichtigung dieser verfassungsrechtlichen Anforderungen ist § 30a Abs. 3 AO 1977 so auszulegen, dass Kontrollmitteilungen nicht nur bei Vorliegen eines strafrechtlichen Anfangsverdachts gegen den Bankkunden, sondern bereits bei einem hinreichenden Anlass für ein Tätigwerden im Steuerverfahren gefertigt und ausgeschrieben werden dürfen (BFH-Urteile in BFHE 183, 45, BStBl II 1997, 499, und vom 15. Dezember 1998 VIII R 6/98, BFHE 187, 302, BStBl II 1999, 138).
Dass ein solcher Anlass im Streitfall vorlag, wurde bereits oben unter b) bb) dargelegt. Hierauf wird verwiesen.
Der VII. Senat des BFH hat allerdings in seinem Beschluss in BFH/NV 1998, 424 die Auffassung vertreten, dass bei Bestehen eines Verdachts auf Steuerverkürzung § 30a Abs. 3 AO 1977 einer Kontrollmitteilung nicht entgegenstehe, aber Bedenken gegen die weitergehende Ansicht des VIII. Senats des BFH geäußert, wonach dies auch bei Vorliegen eines hinreichenden Anlasses zulässig ist. Der erkennende Senat teilt diese Bedenken aus den vom VIII. Senat angeführten Gründen und aufgrund der inzwischen ergangenen Rechtsprechung des BVerfG nicht. Eine Anfrage an den VII. Senat nach § 11 Abs. 3 Satz 1 FGO ist nicht erforderlich, weil der Beschluss in BFH/NV 1998, 424 im einstweiligen Rechtsschutzverfahren ergangen ist und daher keine Sperrwirkung für eine abweichende Entscheidung hat (BFH-Beschluss in BFHE 192, 260, BStBl II 2000, 648, unter 4.b, cc; Sunder-Plassmann in Hübschmann/Hepp/Spitaler, Abgabenordnung-Finanzgerichtsordnung, § 11 FGO Rz. 28).
e) Die Weiterleitung der Überweisungsbelege war auch nicht im Hinblick auf die in Art. 56 Abs. 1 des Vertrages zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft (EG) nach der Zählung des Vertrages von Amsterdam zur Änderung des Vertrages über die Europäische Union, der Verträge zur Gründung der Europäischen Gemeinschaften sowie einiger damit zusammenhängender Rechtsakte (Amtsblatt der Europäischen Gemeinschaften --ABlEG-- Nr. C-340/1997, 1; zuvor Art. 73b Abs. 1 des Vertrages) garantierte Freiheit des Kapitalverkehrs zwischen den Mitgliedstaaten sowie zwischen den Mitgliedstaaten und dritten Ländern unzulässig.
Von dem in Art. 56 Abs. 1 EG geregelten Verbot aller Beschränkungen des Kapitalverkehrs werden unmittelbare oder mittelbare, aktuelle oder potentielle Behinderungen, Begrenzungen oder Untersagungen für den Zufluss, Abfluss oder Durchfluss von Kapital erfasst (BFH-Beschluss vom 10. März 2005 II B 120/04, BStBl II 2005, 370, m.w.N.). Unzulässig wäre es danach, allein an die Kapitalanlage im Ausland den strafrechtlichen Anfangsverdacht einer Steuerverkürzung zu knüpfen (BFH-Beschlüsse in BFHE 194, 26, BStBl II 2001, 306, und in BFH/NV 2002, 749).
Die Kapitalverkehrsfreiheit wird indes nicht verletzt, wenn bei Anlage eines hohen Betrags im Ausland unabhängig von einem strafrechtlichen Anfangsverdacht bei Vorliegen eines hinreichenden Anlasses die ordnungsgemäße Versteuerung des Kapitals und der daraus erzielten Erträge geprüft wird. Nach Art. 58 Abs. 1 Buchst. a EG berührt Art. 56 EG nicht das Recht der Mitgliedstaaten, die einschlägigen Vorschriften ihres Steuerrechts anzuwenden, die Steuerpflichtige mit unterschiedlichem Wohnort oder Kapitalanlageort unterschiedlich behandeln. Dies gilt nach der --für die Auslegung verbindlichen-- Erklärung zu Art. 58 EG im Schlussprotokoll zum Vertrag von Maastricht nur für die einschlägigen Vorschriften des Steuerrechts der Mitgliedstaaten, die Ende 1993 bereits bestanden haben (BFH-Beschluss in BStBl II 2005, 370, m.w.N.). Dies war bei den im vorliegenden Fall maßgeblichen Vorschriften der Fall.
Aus Art. 58 Abs. 3 EG ergibt sich nichts anderes. Danach dürfen die in Art. 58 Abs. 1 und 2 EG genannten Maßnahmen und Verfahren weder ein Mittel zur willkürlichen Diskriminierung noch eine verschleierte Beschränkung des freien Kapital- und Zahlungsverkehrs i.S. des Art. 56 EG darstellen. Die Voraussetzungen dieser Vorschrift sind nicht erfüllt, wenn bei Vorliegen eines hinreichenden Anlasses die zutreffende steuerliche Erfassung von Anlagen im Ausland und von Erträgen daraus geprüft wird. Eine solche Prüfung dient lediglich der auch verfassungsrechtlich gebotenen gleichmäßigen Festsetzung und Erhebung der Steuern (§ 85 AO 1977). Bei hinreichendem Anlass können im Übrigen anlässlich von Außen- oder Fahndungsprüfungen bei Kreditinstituten auch Kontrollmitteilungen bezüglich Kapitalanlagen im Inland gefertigt werden.
Dass die Überprüfung der ordnungsgemäßen Versteuerung von Kapitalanlagen im Ausland und der daraus erzielten Erträge die Kapitalverkehrsfreiheit nicht verletzt, zeigen nunmehr die dieser Überprüfung durch internationalen Informationsaustausch dienende Richtlinie 2003/48/EG des Rates vom 3. Juni 2003 (ABlEG Nr. L 157 S. 38) und die zu deren Umsetzung ergangene Zinsinformationsverordnung vom 26. Januar 2004 (BGBl I 2004, 128; vgl. dazu näher Schreiben des Bundesministeriums der Finanzen vom 6. Januar 2005, BStBl I 2005, 29).
Da die Rechtslage klar und eindeutig ist, ist eine Vorlage an den Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften nach Art. 234 EG nicht erforderlich (Wegener in Callies/Ruffert, Kommentar zu EU-Vertrag und EG-Vertrag, 2. Aufl., Art. 234 EG-Vertrag Rn. 24, m.w.N.).
2. Da das FG dies verkannt hat, war die Vorentscheidung aufzuheben. Die Sache ist nicht spruchreif. Das FG hat noch nicht geprüft, ob die Zuschätzung im angefochtenen Vermögensteuerbescheid abgesehen von dem von ihm angenommenen Verwertungsverbot dem Grunde und der Höhe nach zu Recht erfolgt ist. Dies wird das FG nunmehr nachzuholen haben.
Fundstellen
Haufe-Index 1453997 |
BFH/NV 2006, 1 |