Entscheidungsstichwort (Thema)

Verfassungsmäßigkeit der Zinsbesteuerung im Veranlagungszeitraum 1993 - Schutz von Bankkunden nach § 30a AO 1977: deklaratorischer Charakter der Vorschrift, Auskunftsersuchen des FA an eine Bank, Zulässigkeit der Erstellung von Kontrollmitteilungen anläßlich der Betriebsprüfung bei einer Bank

 

Leitsatz (amtlich)

1. Die Besteuerung und Erhebung der im Veranlagungszeitraum 1993 erzielten Kapitaleinkünfte i.S. von § 20 Abs. 1 Nr. 7 EStG 1993 verstößt nicht gegen das GG.

2. § 30a AO 1977 ist verfassungskonform einschränkend in der Weise auszulegen, daß er der von Art. 3 Abs. 1 GG gebotenen gleichmäßigen Erhebung der Steuer auf Zinseinkünfte nicht entgegensteht. Die Regelungen des § 30a Abs. 1, 2, 4 und 5 AO 1977 haben lediglich rechtsbestätigenden Charakter. § 30a Abs. 3 AO 1977 hindert nicht die Fertigung und Auswertung von Kontrollmitteilungen anläßlich einer Außenprüfung bei Kreditinstituten, wenn hierfür ein "hinreichend begründeter Anlaß" besteht.

3. Aufgrund des ihm zukommenden Prognose- und Einschätzungsspielraums durfte der Gesetzgeber des "Zinsabschlaggesetzes" vom 9. November 1992 (BGBl I 1992, 1853, BStBl I 1992, 682) jedenfalls zunächst einmal die Erwartung hegen, daß die von ihm getroffenen "Nachbesserungsmaßnahmen" zur Beseitigung des vom BVerfG (vgl. Urteil vom 27. Juni 1991 2 BvR 1493/89, BVerfGE 84, 239, BStBl II 1991, 654) für frühere Veranlagungszeiträume beanstandeten Steuererhebungsdefizits geeignet und ausreichend erscheinen würden.

 

Orientierungssatz

1. § 30a Abs. 1 AO 1977 kommt keine konstitutive Bedeutung des Inhalts zu, daß diese Bestimmung den den Finanzbehörden durch § 88 AO 1977 eröffneten Ermessensspielraum bei der Sachverhaltsermittlung einengt. Die Norm beinhaltet vielmehr lediglich eine Art "Präambel", d.h. das vorangestellte Motiv für die in den folgenden Absätzen 2 bis 5 des § 30a AO 1977 getroffenen Einzelregelungen. Die rechtliche Bedeutung des § 30a Abs. 1 AO 1977 erschöpft sich danach in einem Appell an die Ermittlungsbehörden, im Rahmen der ihnen gemäß § 88 AO 1977 obliegenden Sachverhaltserforschung die Grundsätze der Verhältnismäßigkeit und der Zumutbarkeit zu beachten.

2. Der deklaratorische § 30a Abs.2 AO 1977 verbietet nur, was auch ohne diese Regelung nicht erlaubt wäre. Eine Anfrage des FA an eine Bank "ins Blaue hinein" ist auch ohne § 30a Abs. 2 AO 1977 unzulässig. Liegen dagegen die Voraussetzungen der §§ 93, 208 Abs. 1 Nr. 3 AO 1977 vor, dürfen die Finanzbehörden Auskünfte --auch Sammelauskünfte-- bei den Kreditinstituten einholen.

3. Ist die Nummer eines Bankkontos oder Depots ausnahmsweise besteuerungsrelevant und besteht deshalb im Einzelfall ein hinlänglicher Anlaß zur Ermittlung dieser Nummer, so steht die --im übrigen lediglich als Sollvorschrift statuierte-- Regelung des § 30a Abs. 4 AO 1977 einem auf § 93 AO 1977 gestützten Informationsverlangen des FA an die Bank nicht im Wege.

4. Das Auskunftsrecht der Finanzbehörden nach § 93 Abs. 1 AO 1977 ist nicht auf diejenigen Fälle beschränkt, in denen bereits konkrete Anhaltspunkte für die Annahme vorliegen, daß wahrscheinlich eine Steuerschuld entstanden ist und die betreffenden Steuern verkürzt worden sind. Das FA kann vielmehr schon dann Auskünfte einholen, wenn es im Rahmen seiner Prognoseentscheidung im Wege vorweggenommener Beweiswürdigung nach pflichtgemäßem Ermessen zu dem Ergebnis gelangt, daß die Auskünfte zur Aufdeckung steuererheblicher Tatsachen führen können. Es muß nicht bereits eine lückenhafte oder zu Zweifeln Anlaß gebende Steuererklärung vorliegen. Ein Auskunftsersuchen ist nur dann unzulässig, wenn jedwede Anhaltspunkte für steuererhebliche Umstände fehlen, etwa im Rahmen sog. Rasterfahndungen oder ähnlicher Ermittlungen "ins Blaue hinein", oder wenn es die allgemeinen rechtsstaatlichen Grenzen nicht einhält (vgl. BFH-Rechtsprechung).

5. Die Einschränkung der Befugnis eines Betriebsprüfers zur Ausschreibung von Kontrollmitteilungen bei Banken durch § 30a Abs.3 AO 1977 gilt nicht für debitorisch geführte Konten oder solche Konten, hinsichtlich derer eine Identitätsprüfung ("Legitimationsprüfung") i.S. von § 154 Abs. 2 AO 1977 unterblieben ist. Derartige Konten, zu denen auch der für steuererhebliche Nachforschungen interessante Bereich der sog. Eigenkonten der Kreditinstitute und der Konten pro diverse (CpD-Konten) gehört, können anläßlich der Außenprüfung bei einem Kreditinstitut zwecks Nachprüfung der ordnungsgemäßen Versteuerung festgestellt und abgeschrieben sowie unter den allgemeinen Voraussetzungen des § 194 Abs. 3 AO 1977 verwertet werden.

6. Ein "hinreichender Anlaß", der den Betriebsprüfer bei einer Bank zur Fertigung einer Kontrollmitteilung berechtigt, ist nicht erst dann gegeben, wenn der Prüfer Zufallserkenntnisse gewinnt, die den Verdacht einer Steuerverkürzung im Einzelfall begründen. Für das Vorliegen eines "hinreichenden Anlasses" genügt vielmehr, daß der Außenprüfer im Rahmen einer aufgrund allgemeiner Erfahrung getroffenen Prognoseentscheidung im Wege vorweggenommener Beweiswürdigung zu dem Ergebnis kommt, daß eine Kontrollmitteilung zur Aufdeckung steuererheblicher Tatsachen zu führen vermag (Ausführungen zum Verhältnis der Sätze 1 und 2 in § 30a Abs.3 AO 1977).

7. Wenn § 30a Abs.3 AO 1977 die Feststellung und das Abschreiben der dort genannten Konten und Depots vom Wortlaut her ohne Einschränkung verbietet, so bezieht sich dieses absolute Verbot lediglich auf solche Maßnahmen des Außenprüfers, die stichprobenweise, d.h. ohne begründeten Anlaß, getroffen werden.

8. Im Streitfall bleibt offen, ob --wofür beachtliche Gründe sprechen-- § 194 Abs.3 AO 1977 die Fertigung von Kontrollmitteilungen durch den Betriebsprüfer nur bei "hinlänglichem Anlaß", nicht aber als beliebige Stichprobe --also gleichsam "ins Blaue" hinein-- erlaubt. Die Vorschrift genügt jedenfalls den Anforderungen des grundrechtlich verbürgten Datenschutzes, solange nicht eine Außenprüfung allein zu dem Zweck durchgeführt wird, die Verhältnisse dritter Personen zu erforschen.

9. Die willkürliche Fertigung von Kontrollmitteilungen im Zuge der Außenprüfung von Kreditinstituten ist unzulässig, wenn sie nach Art und Umfang die Grundlage für eine unzulässige Rasterfahndung bilden könnten, bei der durch "Ausfiltern" bestimmter Personen aus einer großen Gruppe von Bankkunden nach bestimmten Rastermerkmalen erst ein möglicher Anlaß für weitere Ermittlungsmaßnahmen gefunden werden soll.

10. Die Verfassungsbeschwerde wurde gemäß §§ 93a, 93b BVerfGG nicht zur Entscheidung angenommen (BVerfG-Beschluß vom 10.10.1997, Az. 2 BvR 1440/97).

 

Normenkette

AO 1977 § 154 Abs. 2, § 194 Abs. 3, § 208 Abs. 1, § 30a Abs. 1-2, 3 Sätze 1-2, Abs. 4, 5 S. 1, §§ 88, 93 Abs. 1; EStG 1993 § 20 Abs. 1 Nr. 7; GG Art. 3 Abs. 1

 

Verfahrensgang

FG München (Urteil vom 30.03.1995; Aktenzeichen 6 K 2765/94)

 

Nachgehend

BVerfG (Nichtannahmebeschluss vom 10.10.1997; Aktenzeichen 2 BvR 1440/97)

 

Tatbestand

A. I. Die Kläger und Revisionskläger (Kläger) sind Eheleute, die für das Streitjahr 1993 zusammen zur Einkommensteuer veranlagt werden. Der Kläger erzielte im Streitjahr unter anderem Einkünfte aus Kapitalvermögen in Höhe von X DM, die der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt - -FA--) in dem angefochtenen Einkommensteuerbescheid 1993 der Besteuerung unterwarf. Die streitigen Kapitaleinkünfte bestanden ganz überwiegend in "Zinsen aus sonstigen Kapitalforderungen jeder Art" i.S. von § 20 Abs. 1 Nr. 7 des Einkommensteuergesetzes (EStG) 1993.

Mit ihrer nach erfolglosem Einspruch erhobenen Klage machten die Kläger geltend, die steuerliche Erfassung der Zinseinkünfte sei unzulässig, weil die entsprechende "materielle Besteuerungsgrundlage" verfassungswidrig sei. Die Neuregelung der Zinsbesteuerung durch das "Zinsabschlaggesetz" vom 9. November 1992 (BGBl I 1992, 1853, BStBl I 1992, 682) entspreche nicht den Vorgaben des Urteils des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) vom 27. Juni 1991 2 BvR 1493/89 (BVerfGE 84, 239, BStBl II 1991, 654). Der Gesetzgeber habe es unterlassen, den aus dem früheren Bankenerlaß 1979 (BStBl I 1979, 590) hervorgegangenen § 30a der Abgabenordnung (AO 1977) zu ändern. Infolgedessen bestünden die vom BVerfG in BVerfGE 84, 239 beanstandeten Mängel bei der Durchsetzung der Zinsbesteuerung in den Veranlagungszeiträumen ab 1993 fort.

Das Finanzgericht (FG) wies die Klage mit seinem in den Entscheidungen der Finanzgerichte (EFG) 1995, 723 veröffentlichten Urteil als unbegründet ab.

Mit der dagegen eingelegten Revision verfolgen die Kläger ihr Begehren weiter. Unter Ergänzung und Vertiefung ihres erstinstanzlichen Vortrags führen sie im wesentlichen aus, soweit Steuerpflichtige Kapitaleinkünfte in einem den Sparerfreibetrag übersteigendem Umfang erzielten, könnten sie auch in Zukunft damit rechnen, daß in Höhe der Differenz zwischen dem Zinsabschlagsteuersatz (30 v.H. bzw. 35 v.H.) und dem tatsächlich anzuwendenden individuellen Steuersatz eine wirksame Aufklärung des steuerlich relevanten Sachverhalts durch § 30a AO 1977 verhindert werde. Dies gelte insbesondere im Hinblick auf § 30a Abs. 3 Satz 2 AO 1977, wonach die Ausschreibung von Kontrollmitteilungen anläßlich einer Außenprüfung von Kreditinstituten (vgl. § 194 Abs. 3 AO 1977) zu unterbleiben habe.

Nach den Informationen der Bundesregierung (BReg) und der Deutschen Bundesbank (BBk) seien die Einnahmen aus der Zinsabschlagsteuer im Jahr 1993 und in den Folgejahren um etwa 50 v.H. hinter den ursprünglichen Schätzungen zurückgeblieben. Der Grund hierfür liege auf der Hand und werde auch durch den Monatsbericht der BBk für August 1995 (S. 66 f.) dokumentiert. Als Ursache für die Verschiebungen führe die BBk insbesondere die neue Abschlagbesteuerung von Zinseinkommen an, die erhebliche Anreize geschaffen habe, Zinszahlungen im Ausland anfallen zu lassen. Auch wenn damit nicht belegt werde, daß die Verlagerung der Gelder ins Ausland zum Zwecke der Steuerhinterziehung erfolgt sei, sondern in weitem Umfang auch dem legalen Zweck gedient habe, die "Einkommensteuer-Vorauszahlung" in Form der "Zinsabschlagsteuer" und den damit verbundenen Liquiditätsnachteil zu vermeiden, sei offensichtlich, daß das Ziel der endgültigen Steuervermeidung in vielen Fällen eine Rolle gespielt oder sogar den entscheidenden Ausschlag gegeben habe.

Die massive Verlagerung von Kapitalvermögen in das Ausland sei - -spätestens nach den Erfahrungen mit der 10%igen Quellensteuer des Jahres 1989-- für den Gesetzgeber eindeutig vorhersehbar gewesen. Die hohen Kapitalabflüsse ins Ausland seien in den parlamentarischen Beratungen das ausschlaggebende Argument dafür gewesen, die 10%ige Quellensteuer bereits kurze Zeit nach deren Einführung wieder abzuschaffen. In Anbetracht dieser Erfahrungen sei es völlig unverständlich, daß bei Einführung einer nunmehr noch weitergehenderen Quellenbesteuerung nicht Vorkehrungen getroffen worden seien, um einer erneuten Kapitalflucht vorzubeugen. Dem Gesetzgeber sei es zwar --auch aufgrund europarechtlicher Vorgaben-- verwehrt, Kapitalexporte zu verbieten. Nicht verwehrt und verfassungsrechtlich geboten sei jedoch die Statuierung abgabenrechtlicher Kontrollmechanismen gewesen. Daß solche Kontrollmechanismen nicht zu einer dauerhaften Schädigung des Kapitalmarkts, sondern allenfalls zu dessen temporärer Belastung führten, zeigten die Erfahrungen in den Niederlanden, in Frankreich und in den USA.

Die Kläger beantragen, die Vorentscheidung aufzuheben und den angefochtenen Einkommensteuerbescheid dahingehend abzuändern, daß die dort erfaßten Einkünfte aus Kapitalvermögen außer Betracht gelassen werden.

Das FA beantragt, die Revision als unbegründet zurückzuweisen.

Das Bundesministerium der Finanzen (BMF) ist dem Verfahren beigetreten. Es hat keinen Antrag gestellt.

Das BMF vertritt die Auffassung, daß der Gesetzgeber den ihm durch das BVerfG in BVerfGE 84, 239, BStBl II 1991, 654 erteilten Auftrag, die Besteuerung der Einkünfte aus Kapitalvermögen unter Beachtung der vom BVerfG entwickelten Grundsätze neu zu regeln, durch das "Zinsabschlaggesetz" erfüllt habe. Infolge der Einführung der Zinsabschlagsteuer beruhe die Steuerbelastung der Steuerpflichtigen mit Kapitalerträgen, die die beträchtlich erhöhten Sparerfreibeträge und die Werbungskosten-Pauschbeträge überstiegen, nicht mehr --wie das BVerfG in bezug auf die frühere Rechtslage bemängelt habe-- "nahezu allein" auf der Erklärungsbereitschaft der Steuerpflichtigen. Die von Teilen der Literatur aufgestellte Behauptung, daß es für die Bezieher höherer Kapitalerträge mit einem individuellen Steuersatz über 30 v.H. (bzw. 35 v.H.) nach wie vor "gefahrlos und attraktiv" bleibe, ihre Zinseinkünfte vor den Finanzbehörden zu verbergen, treffe nicht zu. Zwar habe die Neuregelung der Zinsbesteuerung den Wortlaut des § 30a AO 1977 unverändert gelassen. Im Wortlaut des § 30a AO 1977 habe das BVerfG jedoch nicht den Haupthinderungsgrund für die unzureichende Erfassung der Einkünfte aus Kapitalvermögen gesehen, sondern in dem durch § 30a AO 1977 bewirkten "Klima der Zurückhaltung", das die Finanzbehörden an der vollen Ausschöpfung ihrer Ermittlungsbefugnisse gehindert habe. Um diesem "Klima der Zurückhaltung" entgegenzuwirken, hätten die obersten Finanzbehörden des Bundes und der Länder einen Anwendungserlaß zu § 30a AO 1977 herausgegeben, der den Anwendungsbereich dieser Vorschrift präzisiere (vgl. BStBl I 1993, 330).

II. Der erkennende Senat hat im vorliegenden Verfahren Auskünfte der BBk, des Bundesrechnungshofs (BRH) und des BMF eingeholt.

1. Die Frage, ob es für Bezieher höherer, die Sparerfreibeträge übersteigender Zinseinkünfte infolge der unveränderten Fortgeltung des § 30a AO 1977 nach wie vor gefahrlos bleibe, ihre Zinseinkünfte vor den Finanzämtern (FÄ) zu verbergen, hat der BRH dahin beantwortet, daß nach seiner Einschätzung durch die Einführung der Zinsabschlagsteuer das vorher bestehende Erfassungsdefizit zwar gemildert, aber nicht beseitigt worden sei. Wegen der Beibehaltung des § 30a AO 1977 könnten die Finanzbehörden die Höhe der Kapitaleinkünfte nur in Ausnahmefällen wirksam überprüfen. Es bleibe daher für Steuerpflichtige, deren Grenzsteuersatz über 30 v.H. bzw. 35 v.H. liege, nach wie vor gefahrlos, ihre Zinseinkünfte der Besteuerung zu entziehen.

Demgegenüber hat das BMF dieselbe Frage --wie bereits dargelegt-- verneint. Wie im übrigen die neuere Praxis zeige, würden namentlich steuerstrafrechtliche Ermittlungen wegen möglicher Nichtversteuerung von Kapitalerträgen durch § 30a AO 1977 nicht behindert.

2. Zu der Frage, ob das für die Jahre vor 1993 vom BVerfG im "Zinsurteil" (BVerfGE 84, 239) konstatierte Erhebungsdefizit bei der Zinsbesteuerung auch für Veranlagungszeiträume ab 1993 fortbestehe, hat die BBk ausgeführt, daß sie dieserhalb mangels Vorliegens von (detaillierten) Einkommensteuer-Statistiken über keine gesicherten Erkenntnisse verfüge. Im gleichen Sinne haben sich zu dieser Frage der BRH und das BMF geäußert. Der BRH hat hinzugefügt, auch ohne genaue zahlenmäßige Unterlagen lasse sich die Aussage treffen, daß sich angesichts der erheblichen Erhöhung der Sparerfreibeträge ab 1993 die Zahl derjenigen Steuerpflichtigen, die in ihren Einkommensteuer-Erklärungen Einkünfte aus Kapitalvermögen anzugeben hätten, erheblich verringert habe. Das BMF hat ergänzend darauf hingewiesen, daß die Einführung der Zinsabschlagsteuer und die präzisere Auslegung des § 30a AO 1977 jedenfalls zu einer Verringerung eines möglichen Vollzugsdefizits beigetragen habe.

3. Zur Frage, in welchem Umfang einem Erhebungsdefizit bei der Zinsbesteuerung durch (Einzel-)Auskunftsersuchen bei Kreditinstituten i.S. von § 30a AO 1977 i.V.m. § 93 AO 1977 entgegengewirkt werden könne, hat der BRH geantwortet, daß er keine gezielten Prüfungserfahrungen über die Wirksamkeit solcher Auskunftsersuchen besitze. Gesetz und Rechtsprechung knüpften die Zulässigkeit derartiger Auskunftsersuchen an verschiedene einschränkende Voraussetzungen (vgl. etwa §§ 93 Abs. 1 Satz 3 und 30a Abs. 2 AO 1977). Diese Einschränkungen sowie die angespannte Personallage bei den FÄ führten nach den allgemeinen Erfahrungen des BRH dazu, daß die FÄ nur äußerst selten Auskunftsersuchen an Kreditinstitute richteten.

Das BMF hat zu dieser Frage ausgeführt, daß ihm keine Erkenntnisse über den Umgang der FÄ mit Auskunftsersuchen bei Kreditinstituten i.S. von § 93 AO 1977 vorlägen. Soweit Kreditinstitute bekannt seien, mit denen ein Steuerpflichtiger Geschäftsverbindungen unterhalte, stehe § 30a AO 1977 einem Auskunftsersuchen nach § 93 AO 1977 nicht entgegen (§ 30a Abs. 5 Satz 1 AO 1977). Soweit keine oder nicht alle derartigen Kreditinstitute bekannt seien, sei es nach der Auslegung des § 30a AO 1977, wie sie in Nummer 2 des Anwendungserlasses zu § 30a AO 1977 (BStBl I 1993, 330) formuliert worden sei, zulässig, bei hinreichendem Anlaß auch Sammelauskünfte nach § 93 AO 1977 bei Kreditinstituten einzuholen, z.B. hinsichtlich solcher Personen, die auf eine bestimmte Art Gelder in sog. Steuerfluchtländer transferiert hätten.

4. Die Frage, ob die Einführung der Zinsabschlagsteuer ab 1. Januar 1993 zu einem verstärkten Abfluß inländischen Kapitals in das Ausland geführt habe, hat die BBk bejaht. Im Jahr 1992 und insbesondere im Streitjahr 1993 sei es zu recht umfangreichen Kapitalanlagen inländischer Investoren im Ausland gekommen. Dabei hätten sich die Anleger vor allem dreier Wege bedient, nämlich 1. dem Erwerb von Anteilsscheinen ausländischer, insbesondere Luxemburger Investmentgesellschaften, 2. den Einlagen bei ausländischen Banken (sog. Euroeinlagen), meist ausländischen Filialen oder Tochtergesellschaften inländischer Kreditinstitute, und 3. der Verlagerung von Wertpapierdepots ins Ausland oder der Eröffnung neuer Wertpapierdepots im Ausland.

Eine exakte Quantifizierung der durch die Zinsabschlagsteuer motivierten grenzüberschreitenden Vermögensumschichtungen erlaubten die verfügbaren Daten freilich nicht. Das Entscheidungsumfeld der Anleger sei zu komplex, als daß sich die Wirkungen einzelner Einflußfaktoren isolieren ließen. Im übrigen könne die Vermeidung des inländischen Quellensteuerabzugs (Zinsabschlags) nicht zwangsläufig mit einer Steuerhinterziehung gleichgesetzt werden. Vielmehr könne auch die bloße Erlangung von Liquiditätsvorteilen Steuerpflichtige --vor allem im Unternehmenssektor-- veranlaßt haben, der steuerlichen Vorbelastung durch den Zinsabschlag auszuweichen. Praktisch die gesamten, in Zertifikaten ausländischer Investmentfonds angelegten Gelder seien in den letzten Jahren nach Luxemburg geflossen. Bei den "Euroeinlagen" hätten die Finanzplätze London und Luxemburg dominiert.

Der BRH wies in diesem Zusammenhang darauf hin, daß die im Streitjahr 1993 erzielten Einnahmen aus der Zinsabschlagsteuer (rd. 10,6 Mrd DM) erheblich hinter den erwarteten, vom Finanzausschuß des Deutschen Bundestages (BT) geschätzten Einnahmen (28,5 Mrd DM) zurückgeblieben seien. Bei Zugrundelegung eines Zinsabschlagsteuersatzes von 30 v.H. seien 1993 lediglich 37 v.H. der ursprünglich geschätzten Bemessungsgrundlage vom Zinsabschlag erfaßt worden. Dies lege die Annahme nahe, daß Steuerpflichtige ihre Zinseinkünfte in erheblichem Maße durch Vermögensverlagerungen ins Ausland oder durch die dortige Einlösung von Zinskupons der Besteuerung entzogen hätten.

5. Die Frage, ob die Kapitalverlagerungen in das Ausland durch die Einführung fiskalischer Kontrollmaßnahmen, etwa durch die gesetzliche Statuierung von Meldepflichten der inländischen Kreditinstitute, wirksam hätten eingedämmt werden können, ist nach Einschätzung der BBk zu verneinen. Solche Maßnahmen hätten nach dortiger Ansicht wahrscheinlich sogar den gegenteiligen Effekt ausgelöst und die Kapitalabflüsse verstärkt. Je größer die Kontrolldichte ausgefallen wäre, desto schärfere Gegenreaktionen der inländischen Kapitalanleger wären zu erwarten gewesen. Dadurch wäre auch die laufende Ersparnisbildung im Inland auf Dauer beeinträchtigt worden. Im übrigen hätte einem Kontrollmitteilungssystem dadurch ausgewichen werden können, daß über --hiervon nicht erfaßte-- Bargeldabflüsse in um so stärkerem Maße Kapitalvermögen in das Ausland verlagert worden wäre. Da sich mit der Einführung eines Kontrollmitteilungssystems die Rahmenbedingungen für das deutsche Finanz- und Bankwesen grundlegend verändert hätten, hätte dies dem deutschen Kapitalmarkt mit großer Wahrscheinlichkeit nicht nur vorübergehend, sondern auf Dauer erheblich geschadet.

Der BRH hat darauf hingewiesen, daß die Einführung von fiskalischen Kontrollmaßnahmen den Kapitalabfluß in das Ausland nur teilweise hätte eindämmen können, weil ein solches Kontrollsystem nicht die Direktanlage von Kapitalvermögen im Ausland erfassen könne, die zumindest kapitalkräftigeren Steuerpflichtigen offenstehe.

Das BMF hat sich außerstande gesehen, zu dem möglichen Verhalten der Steuerpflichtigen bei Einführung derartiger Kontrollmaßnahmen eine Aussage zu treffen. Es hat jedoch darauf hingewiesen, daß nach Ansicht der sog. (parlamentarischen) Zinskommission Kontrollverfahren in allen untersuchten Varianten "zu großer Verunsicherung auf dem Kapitalmarkt und damit zur Kapitalflucht (führen würden)". Die Einführung von Meldepflichten inländischer Kreditinstitute könne auch nicht verhindern, daß Steuerpflichtige ihr Kapital unmittelbar im Ausland deponierten, ohne inländische Kreditinstitute einzuschalten.

6. Zu der Frage, welche Möglichkeiten den deutschen Finanzbehörden zur Verfügung stünden, um ein etwaiges Erhebungsdefizit bei der Besteuerung der Einkünfte inländischer Steuerpflichtiger aus im Ausland angelegtem Kapitalvermögen zu beseitigen, hat der BRH bemerkt, daß wegen der mangelhaften zwischenstaatlichen Zusammenarbeit der nationalen Finanzverwaltungen bei der Besteuerung der Kapitaleinkünfte das Risiko der Entdeckung von Steuerhinterziehungen sehr gering zu veranschlagen sei. Die Erklärungsbereitschaft der Steuerpflichtigen sei folglich gering einzuschätzen, soweit der Anlegestaat selbst keine Quellenbesteuerung von Zinseinkünften vornehme und somit keine Möglichkeit zur Anrechnung einer solchen Quellensteuer auf die deutsche Einkommensteuer bestehe. Die Ermittlungsrechte der inländischen Finanzbehörden seien grundsätzlich auf das deutsche Staatsgebiet beschränkt. Die zwischenstaatliche Amtshilfe spiele bei den Einkünften aus Kapitalvermögen kaum eine Rolle. Eine internationale Amtshilfe sei zumindest bei den sog. Hauptfluchtländern regelmäßig ausgeschlossen.

 

Entscheidungsgründe

B. Die Revision ist unbegründet und daher zurückzuweisen (§ 126 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung --FGO--). Das FG hat zutreffend entschieden, daß die Besteuerung der im Streitjahr 1993 erzielten Einkünfte aus Kapitalvermögen --auch solcher i.S. von § 20 Abs. 1 Nr. 7 EStG 1993-- den verfassungsrechtlichen Anforderungen entspricht. Insbesondere ist Art. 3 Abs. 1 des Grundgesetzes (GG) nicht verletzt.

I. In seinem Urteil in BVerfGE 84, 239 hat das BVerfG ausgeführt, der Gleichheitssatz verlange für das Steuerrecht, daß die Steuerpflichtigen durch ein Steuergesetz rechtlich und tatsächlich gleich belastet würden (BVerfGE 84, 239, 268). Daraus folge, daß das materielle Steuergesetz (hier: § 2 Abs. 1 Nr. 5 und § 20 Abs. 1 Nr. 7 EStG 1993) in ein normatives Umfeld eingebettet sein müsse, welches die Gleichheit der Belastung auch hinsichtlich des tatsächlichen Erfolges prinzipiell gewährleiste (BVerfGE 84, 239, 271). Wirke sich eine Erhebungsregelung gegenüber einem Besteuerungstatbestand in der Weise strukturell gegenläufig aus, daß der Besteuerungsanspruch weitgehend nicht durchgesetzt werden könne, und sei dieses Ergebnis dem Gesetzgeber zuzurechnen, so führe die dadurch bewirkte Gleichheitswidrigkeit zur Verfassungswidrigkeit auch der materiellen Norm (BVerfGE 84, 239, 272).

Aufgrund eingehender Ermittlungen kam das BVerfG zu dem Ergebnis, daß jedenfalls die Hälfte der von den Steuerpflichtigen im Untersuchungszeitraum (vor 1991) erzielten Kapitalerträge nicht der (Einkommens-)Besteuerung unterworfen wurde (BVerfGE 84, 239, 275 unten f.). Die wesentliche Ursache für dieses Erhebungsdefizit sah das BVerfG im sog. Bankenerlaß 1979 (BStBl I 1979, 590), der eine wirksame Ermittlung und Kontrolle der Einkünfte aus Kapitalvermögen verhindert und damit ein --vom Gesetzgeber zu vertretendes-- strukturelles Vollzugshindernis gebildet habe (BVerfGE 84, 239, 278 - 282, 272). Durch diesen strukturellen Erhebungsmangel sei die verfassungsrechtlich gebotene Gleichheit im Belastungserfolg prinzipiell verfehlt worden.

Dieser Verstoß gegen den Gleichheitssatz (Art. 3 Abs. 1 GG) sei vom Gesetzgeber allerdings bislang nicht erkannt worden. Es bestehe deshalb Anlaß, den überkommenen --durch die Übernahme des Bankenerlasses 1979 in § 30a AO 1977 verfestigten-- Rechtszustand noch für eine Übergangsfrist --bis zum 31. Dezember 1992-- hinzunehmen. Unterlasse es der Gesetzgeber indessen, die Gleichheit in der Durchsetzung des Besteuerungsanspruchs bis spätestens mit Wirkung vom 1. Januar 1993 durch hinreichende gesetzliche Vorkehrungen für die Zukunft zu gewährleisten, werde die materielle Steuernorm selbst verfassungswidrig. Sie würde dann als Rechtsgrundlage für eine steuerliche Heranziehung entfallen (BVerfGE 84, 239, 284 f.).

II. Um diesen Vorgaben des BVerfG Rechnung zu tragen, hat der Steuergesetzgeber am 9. November 1992 das Gesetz zur Neuregelung der Zinsbesteuerung (Zinsabschlaggesetz) erlassen, das gegenüber der bisherigen Rechtslage im wesentlichen die folgenden Neuerungen gebracht hat:

-

Der Sparerfreibetrag (für Ledige: 600 DM, für

Verheiratete: 1 200 DM) wurde verzehnfacht (vgl. § 20 Abs.

4 EStG 1993).

- Es wurde eine anrechenbare "Zinsabschlagsteuer"

(Kapitalertragsteuer) in Höhe von 30 v.H. (für

Tafelgeschäfte: 35 v.H.) auf Kapitalerträge i.S. von § 20

Abs. 1 Nr. 7 EStG 1993 eingeführt. Diese

"Zinsabschlagsteuer" belastet nur Steuerinländer. Die

abzugspflichtige Stelle ist grundsätzlich nicht der

Schuldner der Kapitalerträge (z.B. Wertpapieremittent),

sondern die auszahlende Stelle (vgl. insbesondere § 43

Abs. 1 Nr. 7 und § 43a Abs. 1 Nr. 4 EStG 1993).

- Die erhöhten Sparerfreibeträge und die

Werbungskosten-Pauschbeträge können bereits bei der

Bemessung der "Zinsabschlagsteuer" berücksichtigt werden,

wenn ein entsprechender (neu eingeführter)

Freistellungsauftrag erteilt wird (vgl. insbesondere § 44a

Abs. 1 Nr. 1 und Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 EStG 1993).

- Zur Verhinderung einer mißbräuchlichen und

gesetzeswidrigen Erteilung von Freistellungsaufträgen

statuiert § 45d Abs. 1 EStG 1993 Mitteilungspflichten der

steuerabzugspflichtigen Stellen gegenüber dem Bundesamt

für Finanzen (BfF). Diese Mitteilungen dürfen

ausschließlich zur Prüfung der rechtmäßigen

Inanspruchnahme des Sparerfreibetrags und des

Pauschbetrages für Werbungskosten verwendet werden (§ 45d

Abs. 2 EStG 1993).

Nicht geändert wurde hingegen der aus dem früheren

"Bankenerlaß" 1979 (BStBl I 1979, 590) hervorgegangene § 30a

AO 1977.

III. Trotz der in den Veranlagungszeiträumen nach 1992

unveränderten Fortgeltung des § 30a AO 1977 widerspricht die

Besteuerung und Erhebung der Zinseinkünfte nach Auffassung des

erkennenden Senats jedenfalls im Streitjahr 1993 nicht dem GG.

1. Die im "Zinsurteil" des BVerfG vorgenommenen

verfassungsrechtlichen Beanstandungen betreffen lediglich die

Besteuerung und Erhebung der Einkünfte aus Kapitalvermögen

i.S. von § 20 Abs. 1 Nr. 7 EStG 1993 (= § 20 Abs. 1 Nr. 8 EStG

1979). Nicht Gegenstand der verfassungsrechtlichen Prüfung

sind daher die übrigen Kapitaleinkünfte, namentlich diejenigen

i.S. von § 20 Abs. 1 Nrn. 1 bis 6 und 8 EStG 1993.

2. Durch die beträchtliche Anhebung (Verzehnfachung) des

Sparerfreibetrags wurde der weitaus überwiegende Teil der

Bezieher von Kapitaleinkünften (nach den Schätzungen der BReg:

80 v.H.; vgl. Begründung des Gesetzesentwurfs der BReg zum

"Zinsabschlaggesetz", BTDrucks 12/2501, S. 11) von der

Einkommensbesteuerung freigestellt. Soweit es diesen Großteil

der Steuerpflichtigen betrifft, kann deshalb das vom BVerfG

beanstandete --gleichheitswidrige-- Steuererhebungsdefizit ab

dem hier streitigen Veranlagungszeitraum 1993 von vorneherein

nicht mehr auftreten. Zu dieser Gruppe gehören auch diejenigen

Steuerpflichtigen, die ihre Kapitaleinkünfte durch die

Übertragung von Kapitalvermögen auf dritte Personen

(insbesondere nahe Angehörige) auf eine Höhe unter dem

Sparerfreibetrag reduziert haben.

Das vom BVerfG für frühere Veranlagungszeiträume festgestellte

gleichheitswidrige Steuererhebungsdefizit besteht überdies

auch hinsichtlich der die Sparerfreibeträge und die

Werbungskosten übersteigenden Kapitaleinnahmen i.S. von § 20

Abs. 1 Nr. 7 EStG 1993 im Regelfall insoweit nicht mehr fort,

als diese Einnahmen von einer inländischen Zahlstelle bezogen

und infolgedessen ab dem streitigen Veranlagungszeitraum 1993

einer "Zinsabschlagsteuer" in Höhe von 30 v.H. (bei

Tafelgeschäften: 35 v.H.) unterworfen werden.

Ein nennenswertes Steuererhebungsdefizit in bezug auf die

Einkünfte aus Kapitalvermögen i.S. von § 20 Abs. 1 Nr. 7 EStG

1993 ist deshalb im wesentlichen nur noch insoweit denkbar,

als

a) Steuerpflichtige ihre von ausländischen Zahlstellen

bezogenen und deshalb nicht der "Zinsabschlagsteuer"

unterworfenen Kapitalerträge in ihrer Einkommensteuererklärung

verschweigen (vgl. dazu unten 3.) oder

b) Steuerpflichtige die von inländischen Zahlstellen bezogenen

und der "Zinsabschlagsteuer" unterworfenen Kapitalerträge in

ihrer Einkommensteuererklärung nicht angeben, obwohl die

effektive Steuerbelastung dieser um die tatsächlichen

Werbungskosten geminderten Erträge höher ist als die erhobene

"Zinsabschlagsteuer" in Höhe von 30 v.H. bzw. 35 v.H. der

(Brutto-)Einnahmen (vgl. dazu unten 4.).

3. Die Ermittlungen des Senats haben ergeben, daß im Zuge der

Einführung der "Zinsabschlagsteuer" in den Jahren 1992 und vor

allem 1993 eine verstärkte Verlagerung inländischen

Kapitalvermögens in das Ausland stattgefunden hat. Diese

Tatsache belegen insbesondere die (statistischen) Angaben der

BBk, mittelbar aber auch die Bemerkungen des BRH, daß die im

Streitjahr 1993 erzielten Einnahmen aus der

"Zinsabschlagsteuer" mit rd. 37 v.H. des vorausgeschätzten

Steueraufkommens deutlich hinter den ursprünglichen

Erwartungen zurückgeblieben sind. Inwieweit diese

Transaktionen allerdings nicht nur der legalen Vermeidung der

"Zinsabschlagsteuer" und damit der mit deren Erhebung

verbundenen Liquiditätsnachteile dienten, sondern darüber

hinaus endgültige Steuerverkürzungen vorbereiteten, entzieht

sich --worauf auch die BBk hingewiesen hat-- einer exakten

oder mindestens annähernd zuverlässigen Quantifizierung.

Selbst wenn man den Klägern darin folgt, daß in diesem Bereich

ein durchgängiges oder jedenfalls in weiten Teilen bestehendes

Steuererfassungsdefizit bestehe, so führt dieses Defizit für

das Streitjahr 1993 nicht zu einem Verfassungsverstoß. Es hat

seine Ursache nicht in dem vom deutschen Gesetzgeber zu

verantwortenden System der materiellen und das

(Erhebungs-)Verfahren betreffenden Steuerrechtsnormen.

a) Nach völkerrechtlichen Grundsätzen ist es den deutschen

Finanzbehörden prinzipiell verwehrt, hoheitliche Befugnisse

außerhalb des deutschen Staatsgebiets auszuüben, insbesondere

dort Maßnahmen zur Aufklärung steuererheblicher Sachverhalte

zu treffen (vgl. z.B. Tipke/Kruse,

Abgabenordnung-Finanzgerichtsordnung, 16. Aufl., § 90 AO 1977

Tz. 6 und § 117 AO 1977 Tz. 1, m.w.N.). Einen gewissen --wenn

auch schwachen-- Ausgleich für diese völkerrechtlichen

Beschränkungen der finanzbehördlichen Aufklärungsmöglichkeiten

in bezug auf Auslandssachverhalte bietet die abgabenrechtliche

Statuierung erhöhter Mitwirkungspflichten der

Steuerpflichtigen (vgl. §§ 90 Abs. 2, 138 Abs. 2, 146 Abs. 2

und 123 AO 1977). Um die Gleichmäßigkeit und

Wettbewerbsneutralität der Besteuerung auch bei steuerlichen

Auslandsbeziehungen wahren zu können, sind die inländischen

Finanzbehörden des weiteren berechtigt, aufgrund

völkerrechtlicher Vereinbarungen (z.B. Auskunftsklauseln in

Doppelbesteuerungsabkommen --DBA--, Rechts- und

Amtshilfevereinbarungen), besonderen

Verwaltungsvereinbarungen, aufgrund des EG-Amtshilfe-Gesetzes

--EGAHiG-- (BGBl I 1985, 2441) sowie des § 117 Abs. 1 und 3 AO

1977 zwischenstaatliche Amtshilfe durch Auskunftsaustausch in

Steuersachen in Anspruch zu nehmen. In diesem Zusammenhang hat

allerdings der BRH zutreffend darauf hingewiesen, daß bei der

Besteuerung der Kapitaleinkünfte "die Ermittlungsmöglichkeiten

der Finanzbehörden im Ergebnis auf das Inland beschränkt"

blieben und "die internationale Amtshilfe ..., zumindest bei

den als 'Hauptfluchtländer' zu bezeichnenden Staaten" wegen

der dort bestehenden Bankgeheimnisse "regelmäßig

ausgeschlossen" sei.

Diese für die "Verifikation" der Besteuerung von im Ausland

erzielten Kapitaleinkünften zweifellos unbefriedigende

Situation vermag der deutsche Gesetzgeber indessen nicht zu

verändern. Sie kann ihm deswegen nicht als Verstoß gegen das

verfassungsrechtliche Gebot der Gleichmäßigkeit der

Steuererhebung angelastet werden, zumal sich die BReg seit

Einführung der "Zinsabschlagsteuer" vor allem auf EU-Ebene

intensiv um eine Verbesserung des zwischenstaatlichen

Auskunftswesens sowie um eine Harmonisierung der

internationalen Zinsbesteuerung bemüht hat und sie diese

Bestrebungen fortzusetzen gedenkt.

b) Soweit die Revision dem Gesetzgeber anlastet, es anläßlich

der Einführung der "Zinsabschlagsteuer" versäumt zu haben,

einer Kapitalflucht durch die Schaffung abgabenrechtlicher

Kontrollmechanismen vorzubeugen, vermag auch dieses

Unterlassen des Gesetzgebers einen Verfassungsverstoß nicht zu

begründen. Zum einen bietet das vom geltenden Abgabenrecht

bereitgestellte Ermittlungsinstrumentarium den Finanzbehörden

trotz § 30a AO 1977 und entgegen der von den Klägern und einem

Teil der Literatur vertretenen Ansicht sehr wohl die

Möglichkeit, bei begründetem Anlaß Auskünfte bei

Kreditinstituten einzuholen (näher dazu unter B. III. 4. a,

dd) oder anläßlich einer Außenprüfung bei Kreditinstituten

Kontrollmitteilungen über Auslandsüberweisungen zu fertigen

(vgl. unten B. III. 4. a, ee). Zum anderen haben der BRH und

das BMF zu Recht darauf hingewiesen, daß selbst die

Statuierung eines umfassenden Kontroll- (mitteilungs-)systems

nicht die grenzüberschreitenden Bargeldtransfers und die

Direktanlage von Kapitalvermögen im Ausland erfassen könnte,

Wege also, auf die Steuerpflichtige im Falle der Errichtung

eines intensiveren Kontrollsystems ausweichen könnten.

4. Ein etwaiges Steuererhebungsdefizit in bezug auf diejenigen

Steuerpflichtigen, die ihre von inländischen Zahlstellen

bezogenen und der "Zinsabschlagsteuer" unterworfenen

Kapitalerträge in ihren Steuererklärungen nicht deklarierten,

obwohl die effektive Steuerbelastung infolge höherer

Grenzsteuersätze über der erhobenen "Zinsabschlagsteuer" in

Höhe von 30 v.H. bzw. 35 v.H. der (Brutto-)Einnahmen liegt,

läßt sich --jedenfalls derzeit-- nicht anhand statistischer

Daten belegen, zumal eine Einkommensteuer-Statistik für das

Streitjahr 1993 und die folgenden Veranlagungszeiträume noch

nicht vorliegt. Auch die Anfragen des erkennenden Senats bei

der BBk, beim BRH und beim BMF haben in diesem Punkt zu keinen

konkreten --quantifizierbaren-- Erkenntnissen geführt.

a) Selbst wenn in diesem Bereich ein weitgehendes

Steuererfassungsdefizit bestehen sollte, liegt die wesentliche

Ursache hierfür nicht in der unmittelbar vom Gesetzgeber zu

verantwortenden rechtlichen Gestaltung des

Besteuerungsverfahrens. Vielmehr stellt das

Steuerverfahrensrecht der AO 1977 bei dessen zutreffender

Interpretation den Finanzbehörden ein

Ermittlungsinstrumentarium zur Verfügung, welches eine

weitgehend vollständige und gleichmäßige Steuerfestsetzung

auch in bezug auf die Einkünfte aus Kapitalvermögen i.S. des §

20 Abs. 1 Nr. 7 EStG 1993 gewährleistet. Für die Ermittlung

einkommensteuerpflichtiger Kapitalerträge i.S. von § 20 Abs. 1

Nr. 7 EStG 1993 gelten grundsätzlich dieselben Regeln wie für

die Ermittlung der übrigen Einkünfte (vgl. insbesondere §§ 85

ff. AO 1977). Insbesondere beruhte die Steuerbelastung bei

diesen Einkünften --anders als unter der Herrschaft des

Bankenerlasses-- im Streitjahr 1993 nicht mehr nahezu allein

auf der Erklärungsbereitschaft des Steuerpflichtigen. § 30a AO

1977 steht dieser Beurteilung nicht entgegen. Die in dieser

Vorschrift enthaltenen einzelnen Regelungen führen nicht zu

einem das Gebot der Belastungsgleichheit verletzenden Defizit

bei der Erhebung der Einkommensteuer auf diese Einkünfte. §

30a AO 1977 ist insoweit verfassungskonform auszulegen.

aa) Nach § 30a Abs. 1 AO 1977 haben die Finanzbehörden bei der

Ermittlung des Sachverhalts (§ 88 AO 1977) "auf das

Vertrauensverhältnis zwischen den Kreditinstituten und deren

Kunden besonders Rücksicht zu nehmen".

§ 30a Abs. 1 AO 1977 kommt nach herrschender und zutreffender

Auffassung keine konstitutive Bedeutung des Inhalts zu, daß

diese Bestimmung den den Finanzbehörden durch § 88 AO 1977

eröffneten Ermessensspielraum bei der Sachverhaltsermittlung

einengt (so aber Tipke/Kruse, a.a.O., § 30a AO 1977 Tz. 2 und

4). § 30a Abs. 1 AO 1977 beinhaltet bei der gebotenen

verfassungskonformen Auslegung vielmehr lediglich eine Art

"Präambel", d.h. das vorangestellte Motiv für die in den

folgenden Absätzen 2 bis 5 des § 30a AO 1977 getroffenen

Einzelregelungen (vgl. z.B. Hellwig in

Hübschmann/Hepp/Spitaler,

Abgabenordnung-Finanzgerichtsordnung, 10. Aufl., § 30a AO 1977

Rdnr. 13). Die rechtliche Bedeutung des § 30a Abs. 1 AO 1977

erschöpft sich danach in einem Appell an die

Ermittlungsbehörden, im Rahmen der ihnen gemäß § 88 AO 1977

obliegenden Sachverhaltserforschung die Grundsätze der

Verhältnismäßigkeit und der Zumutbarkeit zu beachten

(Kühn/Hofmann, Abgabenordnung-Finanzgerichtsordnung, 17.

Aufl., § 30a AO 1977 Anm. 2; Krabbe in Koch/Scholtz,

Abgabenordnung, 5. Aufl., § 30a Rdnr. 6). Diese Grundsätze muß

die Finanzbehörde aber bei allen Ermittlungsmaßnahmen

berücksichtigen (vgl. dazu unter dd).

bb) Nach § 30a Abs. 2 AO 1977 dürfen die Finanzbehörden "von

den Kreditinstituten zum Zwecke der allgemeinen Überwachung

die einmalige oder periodische Mitteilung von Konten

bestimmter Art und Höhe nicht verlangen".

§ 30a Abs. 2 AO 1977 hat nach zutreffendem Verständnis und bei

verfassungskonformer Auslegung ebenfalls nur deklaratorische

Bedeutung. Die Vorschrift verbietet nur, was auch ohne diese

Regelung nicht erlaubt wäre (vgl. auch Krabbe in Koch/Scholtz,

a.a.O., § 30a Rdnr. 10; Kühn/Hofmann, a.a.O., § 30a AO 1977

Anm. 3; a.A. Tipke/Kruse, a.a.O., § 30a AO 1977 Tz. 5). Sie

verwehrt den Finanzbehörden im Rahmen der allgemeinen

Überwachung --d.h. soweit keine besonderen Anhaltspunkte für

ein Auskunftsersuchen i.S. von § 93 AO 1977 vorliegen-- von

den Kreditinstituten Mitteilungen über Konten zu verlangen.

Ein derartiges Verlangen "ins Blaue hinein" wäre indessen auch

ohne § 30a Abs. 2 AO 1977 unzulässig. Liegen dagegen die

Voraussetzungen der §§ 93, 208 Abs. 1 Nr. 3 AO 1977 vor,

dürfen die Finanzbehörden Auskünfte --auch Sammelauskünfte--

bei den Kreditinstituten einholen (§ 30a Abs. 5 AO 1977;

Krabbe in Koch/Scholtz, a.a.O., § 30a Rdnr. 10;

Anwendungserlaß zu § 30a AO 1977 in BStBl I 1993, 330, Tz. 2

Abs. 1; näher dazu unten B. III. 4.a, dd).

cc) Gemäß § 30a Abs. 4 AO 1977 soll in Vordrucken von

Steuererklärungen die Angabe der Nummern von Konten und Depots

nicht verlangt werden, soweit nicht steuermindernde Ausgaben

oder Vergünstigungen geltend gemacht werden oder die

Abwicklung des Zahlungsverkehrs mit dem FA dies bedingt.

Auch § 30a Abs. 4 AO 1977 hat lediglich rechtsbestätigenden

Charakter. Die Nummern von Bankkonten und Depots sind für die

Besteuerung grundsätzlich unerheblich und deshalb auch nicht

aufklärungsbedürftig. Ist die Nummer eines Bankkontos oder

Depots ausnahmsweise besteuerungsrelevant und besteht deshalb

im Einzelfall ein hinlänglicher Anlaß zur Ermittlung dieser

Nummer, so steht die --im übrigen lediglich als Sollvorschrift

statuierte-- Regelung des § 30a Abs. 4 AO 1977 einem auf § 93

AO 1977 gestützten Informationsverlangen nicht im Wege (vgl.

auch Hellwig in Hübschmann/Hepp/Spitaler, a.a.O., § 30a AO

1977 Rdnr. 29; Krabbe in Koch/Scholtz, a.a.O., § 30a Rdnr.

15).

dd) Die (gleichfalls rechtsbestätigende) Bestimmung des § 30a

Abs. 5 Satz 1 A1977 stellt ausdrücklich klar, daß die Regelung

des § 93 AO 1977 über die Auskunftspflicht der Beteiligten und

anderer Personen, also auch von Kreditinstituten, durch § 30a

AO 1977 nicht berührt wird. Liegen daher die Voraussetzungen

des § 93 Abs. 1 AO 1977 für ein Auskunftsverlangen --auch

Sammelauskunftsverlangen-- gegenüber einem Kreditinstitut vor,

so steht diesem ein Auskunftsverweigerungsrecht nicht zu.

Hieran zeigt sich deutlich, daß im Zusammenhang mit § 30a AO

1977 von einem "echten" Bankgeheimnis nicht gesprochen werden

kann.

Wie der erkennende Senat bereits in seinem Urteil vom 23.

Oktober 1990 VIII R 1/86 (BFHE 162, 539, BStBl II 1991, 277,

unter 2. b der Gründe) hervorgehoben hat, ist das

Auskunftsrecht der Finanzbehörden nach § 93 Abs. 1 AO 1977

grundsätzlich nicht auf diejenigen Fälle beschränkt, in denen

bereits konkrete Anhaltspunkte für die Annahme vorliegen, daß

wahrscheinlich eine Steuerschuld entstanden ist und die

betreffenden Steuern verkürzt worden sind. Die Finanzbehörden

können vielmehr gemäß § 93 Abs. 1 Satz 1 AO 1977 von den

Beteiligten und anderen Personen schon dann Auskünfte

einholen, wenn sie im Rahmen ihrer --sei es "aufgrund

konkreter Momente oder aufgrund allgemeiner Erfahrung"

(Beschluß des Bundesfinanzhofs --BFH-- vom 13. Februar 1968

GrS 5/67, BFHE 91, 351, 360, BStBl II 1968, 365, 369)

getroffenen --Prognoseentscheidung im Wege vorweggenommener

Beweiswürdigung nach pflichtgemäßem Ermessen (vgl. § 92 AO

1977) zu dem Ergebnis gelangen, daß die Auskünfte zur

Aufdeckung steuererheblicher Tatsachen führen können (vgl.

BFH-Urteile vom 29. Oktober 1986 VII R 82/85, BFHE 148, 108,

BStBl II 1988, 359, unter II. 3. a der Gründe; vom 24. März

1987 VII R 30/86, BFHE 149, 404, BStBl II 1987, 484, unter 1.

a und c der Gründe; vom 24. Oktober 1989 VII R 1/87, BFHE 158,

502, BStBl II 1990, 198, unter II. 1. und 2. a der Gründe; vom

17. März 1992 VII R 122/91, BFH/NV 1992, 791, unter 2. b, aa

der Gründe). Die Anforderung von Auskünften setzt nicht

voraus, daß bereits eine lückenhafte oder zu Zweifeln Anlaß

gebende Steuererklärung vorliegt. Ein Auskunftsersuchen ist

nach diesen Grundsätzen nur dann unzulässig, wenn jedwede

Anhaltspunkte für steuererhebliche Umstände fehlen. Keine

Rechtsgrundlage bietet § 93 Abs. 1 AO 1977 daher lediglich für

Auskunftsverlangen im Rahmen sog. Rasterfahndungen oder

ähnlicher Ermittlungen "ins Blaue hinein" (Senatsurteil in

BFHE 162, 539, BStBl II 1991, 277, unter 2. b der Gründe,

m.w.N.).

Allerdings unterliegt das Auskunftsverlangen der

Finanzbehörden nach § 93 Abs. 1 AO 1977 den allgemeinen

rechtsstaatlichen Grenzen (Senatsurteil in BFHE 162, 539,

BStBl II 1991, 277, unter 2. d der Gründe, m.w.N.). Diese

Grenzen sind eingehalten, wenn das Auskunftsverlangen zur

Sachverhaltsaufklärung geeignet und gemessen an der Bedeutung

der Angelegenheit notwendig und verhältnismäßig erscheint

sowie dem Adressaten des Ersuchens die Erteilung der Auskunft

möglich und zumutbar ist (vgl. BFH-Urteile in BFHE 148, 108,

BStBl II 1988, 359, unter II. 4.; in BFHE 149, 404, BStBl II

1987, 484, unter 2.; in BFHE 158, 502, BStBl II 1990, 198,

unter II. 4.; vom 7. August 1990 VII R 106/89, BFHE 161, 423,

BStBl II 1990, 1010, unter II. 3.; in BFHE 162, 539, BStBl II

1991, 277, unter 2. d; in BFH/NV 1992, 791, unter 2. b, cc;

Helsper in Koch/Scholtz, a.a.O., § 93 AO 1977 Rdnr. 4). Als

nichtbeteiligter Dritter soll ein Kreditinstitut insbesondere

erst dann zur Auskunft angehalten werden, "wenn die

Sachverhaltsaufklärung durch die Beteiligten nicht zum Ziel

führt oder keinen Erfolg verspricht" (§ 93 Abs. 1 Satz 3 AO

1977).

Diese allgemein für finanzbehördliche Auskunftsersuchen gemäß

§ 93 Abs. 1 AO 1977 entwickelten Grundsätze gelten nach der

ausdrücklichen Anordnung in § 30a Abs. 5 Satz 1 AO 1977

uneingeschränkt auch im Anwendungsbereich des § 30a AO 1977.

Auch die Finanzverwaltung interpretiert § 30a Abs. 5 Satz 1 AO

1977 seit 1993 in diesem --zutreffenden-- Sinne (siehe

Anwendungserlaß zu § 30a AO 1977 vom 23. März 1993, BStBl I

1993, 330, Tz. 2).

Nach § 30a Abs. 5 Satz 2 AO 1977 soll, sofern die Person des

Steuerpflichtigen bekannt und gegen ihn kein Verfahren wegen

einer Steuerstraftat oder -ordnungswidrigkeit eingeleitet ist,

auch im Verfahren nach § 208 Abs. 1 Satz 1 (Nr. 3) AO 1977 ein

Kreditinstitut erst dann um Auskunft und Vorlage von Urkunden

gebeten werden, "wenn ein Auskunftsersuchen an den

Steuerpflichtigen nicht zum Ziel führt oder keinen Erfolg

verspricht".

Diese Vorschrift gilt --wie generell § 30a AO 1977-- von

vorneherein nicht für die Ermittlung der

Steuerfahndungsstellen im Steuerstraf- und

-ordnungswidrigkeitenverfahren. Sie behindert aber auch nicht

in nennenswerter Weise die Maßnahmen der

Steuerfahndungsstellen im Rahmen der allgemeinen

Steueraufsicht, d.h. bei der Aufdeckung und Ermittlung

unbekannter Steuerfälle i.S. von § 208 Abs. 1 Nr. 3 AO 1977.

Dies gilt vollends, wenn man die Regelung des § 208 Abs. 1

Satz 3, Halbsatz 1, 1. Alternative AO 1977 mit einem Teil des

Schrifttums in der Weise einschränkend interpretiert, daß die

Beachtung des § 93 Abs. 1 Satz 3 AO 1977 im Rahmen von

Steuerfahndungsmaßnahmen i.S. von § 208 Abs. 1 Nr. 3 AO 1977

nur dann nicht geboten ist, wenn der Steuerpflichtige

unbekannt ist (so z.B. Krabbe in Koch/Scholtz, a.a.O., § 30a

Rdnr. 17; vgl. auch Tipke/Kruse, a.a.O., § 30a AO 1977 Tz. 8).

ee) Nach § 30a Abs. 3 AO 1977 dürfen die "Guthabenkonten oder

Depots, bei deren Errichtung eine Legitimationsprüfung nach §

154 Abs. 2 vorgenommen worden ist, ...anläßlich der

Außenprüfung bei einem Kreditinstitut nicht zwecks Nachprüfung

der ordnungsmäßigen Versteuerung festgestellt oder

abgeschrieben werden. Die Ausschreibung von

Kontrollmitteilungen soll insoweit unterbleiben".

§ 30a Abs. 3 AO 1977 schränkt nach herkömmlicher und

herrschender Ansicht (vgl. z.B. Tipke/Kruse, a.a.O., § 30a AO

1977 Tz. 2 und 6) § 194 Abs. 3 AO 1977 ein, wonach die

anläßlich einer Außenprüfung festgestellten Verhältnisse

anderer Personen insoweit ausgewertet werden können, als dies

für die Besteuerung dieser Personen von Bedeutung ist. Auch

insoweit ist jedoch eine differenzierende Betrachtung geboten.

aaa) Diese Einschränkung gilt zunächst schon nach dem

eindeutigen Wortlaut des § 30a Abs. 3 Satz 1 AO 1977

("Guthabenkonten") nicht für debitorisch geführte Konten (vgl.

auch Schwarz, Kommentar zur Abgabenordnung, § 30a Rdnr. 18;

BMF im Anwendungserlaß zu § 30a AO 1977, BStBl I 1993, 330,

Tz. 1 Abs. 3).

bbb) Diese Einschränkung gilt ferner ausdrücklich nicht für

solche Guthabenkonten und Depots, hinsichtlich derer eine

Identitätsprüfung ("Legitimationsprüfung") i.S. von § 154 Abs.

2 AO 1977 unterblieben ist. Derartige Konten, zu denen auch

der für steuererhebliche Nachforschungen interessante Bereich

der sog. Eigenkonten der Kreditinstitute und der Konten pro

diverse (CpD-Konten) gehört, können --wie auch im

Anwendungserlaß des BMF zu § 30a AO 1977 (BStBl I 1993, 330,

Tz. 1 Abs. 1 und 3) zutreffend klargestellt worden ist--

anläßlich der Außenprüfung bei einem Kreditinstitut zwecks

Nachprüfung der ordnungsgemäßen Versteuerung festgestellt und

abgeschrieben sowie unter den allgemeinen Voraussetzungen des

§ 194 Abs. 3 AO 1977 verwertet werden.

ccc) Eine weitere wesentliche Reduktion erfährt § 30a Abs. 3

AO 1977 dadurch,daß Zufallserkenntnisse, die den Verdacht

einer Steuerverkürzung im Einzelfall begründen, auch

hinsichtlich solcher Guthabenkonten und Depots durch den

Außenprüfer des betreffenden Kreditinstituts dem zuständigen

FA mitgeteilt werden können, bei deren Errichtung eine

Identitätsprüfung i.S. von § 154 Abs. 2 AO 1977 vorgenommen

wurde (BMF, Anwendungserlaß zu § 30a AO 1977, BStBl I 1993,

330, Tz. 1 Abs. 2; vgl. ferner z.B. Krabbe, Der Betrieb --DB--

1988, 1668, 1673; zur näheren Begründung vgl. die sinngemäß

geltenden Ausführungen unter ddd).

ddd) Schließlich folgt aus der gebotenen teleologischen,

grammatikalischen, historischen und verfassungskonformen

Auslegung des § 30a Abs. 3 AO 1977 eine weitere wesentliche

Einschränkung des dort statuierten grundsätzlichen

Kontrollmitteilungsverbots: Kontrollmitteilungen durch den

Außenprüfer dürfen dann gefertigt und "ausgeschrieben" werden,

wenn dazu ein "hinreichender Anlaß" besteht. Ein

"hinreichender Anlaß" in diesem Sinne ist nicht erst dann

gegeben, wenn der Betriebsprüfer Zufallserkenntnisse gewinnt,

die den Verdacht einer Steuerverkürzung im Einzelfall

begründen. Für das Vorliegen eines "hinreichenden Anlasses"

genügt vielmehr, daß der Außenprüfer im Rahmen einer aufgrund

allgemeiner Erfahrung getroffenen Prognoseentscheidung im Wege

vorweggenommener Beweiswürdigung zu dem Ergebnis kommt, daß

eine Kontrollmitteilung zur Aufdeckung steuererheblicher

Tatsachen zu führen vermag. "Hinreichender Anlaß" im

Anwendungsfeld des § 30a Abs. 3 AO 1977 meint folglich

dasselbe wie der "hinreichende Anlaß" für ein

Auskunftsersuchen i.S. von § 93 Abs. 1 AO 1977 oder für ein

Tätigwerden der Steuerfahndungsbehörden "zur Aufdeckung und

Ermittlung unbekannter Steuerfälle" (§ 208 Abs. 1 Nr. 3 AO

1977). Der Senat verweist daher zwecks Vermeidung von

Wiederholungen auf die obigen Ausführungen unter B. III. 4. a,

dd, die mit der Einschränkung gelten, daß die

Subsidiaritätsklausel des § 93 Abs. 1 Satz 3 AO 1977 in den

von § 30a Abs. 3 AO 1977 erfaßten Sachverhalten "nicht paßt"

und deswegen hier keine Anwendung findet.

Schon aus dem eindeutigen Wortlaut des § 30a Abs. 3 Satz 2 AO

1977 ("soll") ergibt sich, daß diese Bestimmung kein

generelles - -ausnahmsloses-- Verbot zur Ausschreibung von

Kontrollmitteilungen statuiert. Der vorausgehende Satz 1 des §

30a Abs. 3 AO 1977 steht diesem Ergebnis nicht entgegen.

In der Literatur wird allerdings die Ansicht vertreten, daß

die Sätze 1 und 2 des § 30a Abs. 3 AO 1977 im Widerspruch

zueinander stünden. Würde man die Feststellung und das

Abschreiben von Konten und Depots, die nach Satz 1 des § 30a

Abs. 3 AO 1977 "nicht" erfolgen "dürfen", als logische

Vorstufe für die nachfolgende Ausschreibung einer

Kontrollmitteilung begreifen, so wäre es bei strenger

Wortlautinterpretation des § 30a Abs. 3 Satz 1 AO 1977 dem

Außenprüfer in der Tat generell - -also auch in begründeten

Ausnahmefällen-- verwehrt, Kontrollmitteilungen

auszuschreiben. Die Sollvorschrift des § 30a Abs. 3 Satz 2 AO

1977 liefe dann leer; das dort verwendete "soll unterbleiben"

wäre als Fehlgriff des Gesetzgebers im Ausdruck zu werten und

in ein "muß unterbleiben" umzudeuten (so z.B. Hellwig in

Hübschmann/Hepp/Spitaler, a.a.O., § 30a AO 1977 Rdnr. 28;

Neckels, Deutsche Steuer-Zeitung --DStZ-- 1989, 9, 20).

Der --vermeintliche-- Widerspruch zwischen den Sätzen 1 und 2

des § 30a Abs. 3 AO 1977 löst sich indessen auf, wenn man die

historische Entwicklung dieser Norm und ihrer Vorläufer --der

sog. Bankenerlasse-- beachtet. Diese Entwicklungsgeschichte

belegt, daß die beiden --bei vordergründiger Sicht und

isolierter Wortlautinterpretation nicht miteinander in

Einklang zu bringenden-- Vorschriften nicht in der Weise

aneinander anzupassen sind, daß Satz 1 der Vorrang gebührt und

das dort verwendete "dürfen nicht" zu einer

wortlautberichtigenden Auslegung des Satzes 2 im Sinne von

"muß unterbleiben" führt. Vielmehr ist gerade umgekehrt das

"dürfen nicht" in Satz 1 entsprechend der Regelung des Satzes

2 als "sollen nicht" zu interpretieren.

Tz. 2 und 3 des Runderlasses des Reichsministers der Finanzen

vom 13. Januar 1936 (Az. S 1443 B, Rundschreiben der

Wirtschaftsgruppe privates Bankgewerbe Nr. 121 vom 5. August

1937, Anlage 2) untersagte den nachgeordneten Finanzbehörden,

anläßlich einer Betriebsprüfung umfänglich Guthaben oder

Depotverzeichnisse abzuschreiben. Vielmehr hatten sich die

"Feststellungen von Konten" auf Stichproben zu beschränken.

Durch Tz. 2 Satz 2 des Bankenerlasses 1949 (DStZ/E 1949, 242)

wurde sodann die "bisher zugelassene stichprobenweise

Feststellung von Guthabenkonten oder Depots und die

Ausschreibung von Kontrollmitteilungen" dahingehend

eingeschränkt, daß sie unterbleiben "sollen", m.a.W. im

Regelfall --und nur in diesem-- zu unterbleiben hatten (vgl.

auch Hamacher, DB 1985, 1807, 1810, l.Sp.). Wenn daher der

spätere Bankenerlaß 1979 (BStBl I 1979, 590) in Tz. 3 Satz 1

und ebenso der wortgleiche § 30a Abs. 3 Satz 1 AO 1977 die

Feststellung und das Abschreiben der dort genannten Konten und

Depots vom Wortlaut her ohne Einschränkung verbieten, so

bezieht sich dieses absolute Verbot lediglich auf solche

Maßnahmen des Außenprüfers, die stichprobenweise, d.h. ohne

begründeten Anlaß, getroffen werden. Bei hinreichend

begründetem Anlaß hingegen steht § 30a Abs. 3 Satz 1 AO 1977

der Feststellung und dem Abschreiben von Konten und Depots

nicht entgegen; es dürfen deshalb auch Kontrollmitteilungen

gefertigt werden (gl. Ansicht Hamacher, DB 1985, 1807, 1810;

ders., Steuerliche Vierteljahresschrift --StVj-- 1992, 110,

122; vgl. auch Schick in Hübschmann/Hepp/Spitaler, a.a.O., §

194 AO 1977 Rdnr. 446; ebenso --jedenfalls für die unter ccc

behandelten Fälle, in denen der Außenprüfer

Zufallserkenntnisse über den Verdacht von Steuerverkürzungen

gewinnt-- Krabbe, DB 1988, 1668, 1673; vgl. auch Scholtz, DStZ

1989, 263, 267).

Dieses Verständnis des in § 30a Abs. 3 AO 1977 enthaltenen

grundsätzlichen Kontrollmitteilungsverbots entspricht dem

verfassungsrechtlichen Gebot der gleichmäßigen Belastung aller

Steuerpflichtigen (Art. 3 Abs. 1 GG). In seinem "Zinsurteil"

hat das BVerfG zu Tz. 3 des Bankenerlasses 1979 (BStBl I 1979,

590) --dem wortgleichen Vorläufer des § 30a Abs. 3 AO 1977--

festgestellt, daß "vor allem mit dem Verbot der

Kontrollmitteilungen ... der Finanzverwaltung eines der

wirksamsten Mittel zur Sachverhaltsaufklärung genommen

(werde). Das Verbot (schirme) Konten der Bankkunden und damit

einen wesentlichen Bereich ... vor Ermittlungen der

Steuerbehörden ab und (enthebe) dadurch die Bezieher von

Kapitalerträgen weitgehend des Risikos, bei der

Steuerverkürzung entdeckt zu werden" (BVerfGE 84, 239, 278).

Dieser --am Prüfungsmaßstab des Art. 3 Abs. 1 GG nicht

haltbare-- Zustand tritt bei einer verfassungskonformen

Reduktion der Ermittlungsschranken des § 30a Abs. 3 AO 1977 im

vorgenannten Umfang nicht ein.

eee) Legt man § 30a Abs. 3 AO 1977 in diesem Sinne aus, so

verstößt er nach Auffassung des erkennenden Senats nicht gegen

das GG. Dies gilt jedenfalls dann, wenn man auch die

allgemeine Norm des § 194 Abs. 3 AO 1977 mit einem Teil der

Literatur dergestalt interpretiert, daß sie

Kontrollmitteilungen nur "bei hinlänglichem Anlaß", nicht aber

als beliebige Stichprobe --also gleichsam "ins Blaue hinein"--

erlaube (so vor allem Schick in Hübschmann/Hepp/Spitaler,

a.a.O., § 194 AO 1977 Rdnr. 410 f.; ferner Hamacher, DB 1985,

1807, 1810, und StVj 1992, 110, 123 f.; a.A. aber z.B.

Tipke/Kruse, a.a.O., § 194 AO 1977 Tz. 8). Für diese Ansicht

sprechen beachtliche Gründe. Befürwortet man eine dahingehende

restriktive Auslegung des § 194 Abs. 3 AO 1977, so geht das

von § 30a Abs. 3 AO 1977 geschaffene, im oben dargelegten

Ausmaß eingeschränkte Kontrollmitteilungsverbot, das einer

Ausschreibung von Kontrollmitteilungen bei begründetem

--"hinlänglichem"-- Anlaß nicht entgegensteht, nicht über das

hinaus, was schon die allgemeine Norm des § 194 Abs. 3 AO 1977

verbietet.

Einer abschließenden Beantwortung dieser Streitfrage über die

von § 194 Abs. 3 AO 1977 markierten Grenzen der Zulässigkeit

von Kontrollmitteilungen bedarf es indessen nicht. § 30a Abs.

3 AO 1977 verstößt auch dann nicht gegen das GG, wenn § 194

Abs. 3 AO 1977 weit zu interpretieren ist und auch die

beliebige Stichprobe erlaubt. Dies beruht auf folgenden

Erwägungen:

"Der in Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 1 Abs. 1 und Art. 14 GG

verbürgte grundrechtliche Datenschutz gibt einen Schutz gegen

unbegrenzte Erhebung, Speicherung, Verwendung oder Weitergabe

individualisierter oder individualisierbarer Daten. (...)

Diese Verbürgung darf nur im überwiegenden Interesse der

Allgemeinheit und unter Beachtung des Grundsatzes der

Verhältnismäßigkeit durch Gesetz oder aufgrund eines Gesetzes

eingeschränkt werden; die Einschränkung darf nicht

weitergehen, als zum Schutz öffentlicher Interessen

unerläßlich ist" (BVerfG in BVerfGE 84, 239, 279 f.). § 194

Abs. 3 AO 1977 genügt diesen Anforderungen im allgemeinen,

wenn man berücksichtigt, daß der erweiterte

Informationszugriff nicht nur im fiskalischen Interesse,

sondern auch im Gebot einer gleichmäßigen Lastenverteilung auf

die Steuerpflichtigen begründet ist (BVerfGE 84, 239, 279

ff.). Das Recht der Steuerbehörden zur Fertigung von

Kontrollmitteilungen ist hier nur insoweit eingeschränkt, als

nach dieser Vorschrift nur dasjenige ausgewertet und

mitgeteilt werden darf, was anläßlich einer Außenprüfung

festgestellt worden ist. Eine Außenprüfung darf nicht allein

zu dem Zweck durchgeführt werden, die Verhältnisse dritter

Personen zu erforschen (vgl. z.B. Tipke/Kruse, a.a.O., § 194

AO 1977 Tz. 8c, m.w.N.).

Soweit § 30a Abs. 3 AO 1977 die Befugnisse des Außenprüfers

zur Fertigung vonKontrollmitteilungen über die Grenzen des §

194 Abs. 3 AO 1977 hinausgehend weiter einschränkt, muß diese

Einschränkung als das Ergebnis einer Abwägung der für und

wider die Sonderregelung des § 30a Abs. 3 AO 1977 sprechenden

öffentlichen und privaten Belange gerechtfertigt sein. Solche

Belange sind vor allem das aus Art. 3 Abs. 1 GG herzuleitende

Gebot zur Gleichbehandlung im Belastungserfolg in bezug auf

die Zinseinkünfte und der Schutz der Bankkunden vor

unverhältnismäßigen staatlichen Eingriffen durch unbegrenzte

Datenerhebung.

Bei dieser Abwägung ist davon auszugehen, daß die in § 30a

Abs. 3 AO 1977 für Kreditinstitute geschaffene, auf diesen

überschaubaren Restbereich begrenzte Sonderregelung der

Tatsache Rechnung trägt, daß die Art und Weise des

Geschäftsbetriebs dieser Unternehmen einen --gegenüber dem

Normalfall-- tiefergreifenden Einblick in die Verhältnisse des

Steuerpflichtigen (Bankkunden) ermöglichen (vgl. z.B.

Carl/Klos, Die Information über Steuer und Wirtschaft --Inf--

1989, 78, 79; Hamacher, StVj 1992, 110, 120). Angesichts der

Tatsache, daß in heutiger Zeit nahezu alle größeren laufenden

und einmaligen Zahlungen unbar abgewickelt werden, gewinnt das

Kreditinstitut eine nahezu umfassende Übersicht über die

finanziellen Verhältnisse des (Giro-)Konteninhabers. Dieser

Gesichtspunkt kann zu einer Einschränkung der Zulässigkeit von

Kontrollmitteilungen führen; denn je größer und intensiver die

Möglichkeiten des Eingriffs in den persönlichen Bereich des

Bürgers sind, desto effektiver muß der verfassungsrechtliche

Schutz gegen unverhältnismäßige Eingriffe ausgestaltet sein.

Das rechtfertigt es, die willkürliche Fertigung von

Kontrollmitteilungen im Zuge der Außenprüfung von

Kreditinstituten zu versagen, wenn sie nach Art und Umfang die

Grundlage für eine unzulässige Rasterfahndung bilden könnten,

bei der durch "Ausfiltern" bestimmter Personen aus einer

großen Gruppe von Bankkunden nach bestimmten Rastermerkmalen

erst ein möglicher Anlaß für weitere Ermittlungsmaßnahmen

gefunden werden soll (zur Rasterfahndung als unzulässige

Ermittlungsmethode vgl. z.B. Senatsurteil in BFHE 162, 539,

BStBl II 1991, 277, unter 2. b der Gründe, m.w.N. aus der

Rechtsprechung des BFH).

§ 30a Abs. 3 AO 1977 wird im übrigen durch dessen Charakter

als "Sollvorschrift" weiter relativiert. Die Vorschrift

gewährleistet selbst beim Fehlen eines hinlänglichen Anlasses

keinen vollständig eingriffsfreien Bereich. Dem Gesetzgeber

ging es bei der Sollvorschrift lediglich darum, daß die

Finanzbehörden bei der Ausübung ihres Ermessens gegenüber dem

Interesse an einer lückenlosen Steuererhebung auch das

Interesse an einem funktionierenden Kapitalmarkt

berücksichtigen und entsprechend abwägen (vgl. BTDrucks

12/2736, S. 32 f.7vgl. auch Krabbe in Koch/Scholtz, a.a.O., §

30a Rdnr. 2, m.w.N.).

IV. Der erkennende Senat ist nach den vorstehenden

Ausführungen nicht zu der Überzeugung gelangt, daß die

Zinsbesteuerung aufgrund des Zinsabschlaggesetzes vom 9.

November 1992 (BGBl I, 1853) wegen eines Verstoßes gegen den

Gleichheitssatz (Art. 3 Abs. 1 GG) verfassungswidrig ist. Der

Gesetzgeber hat sich bei seiner Neuregelung der

Zinsbesteuerung unter Beachtung der Vorgaben des BVerfG lt.

Urteil in BVerfGE 84, 239 im Rahmen der ihm verbliebenen

Gestaltungsfreiheit gehalten. Er konnte aus seiner für das

Streitjahr 1993 maßgeblichen Sicht des Jahres 1992 aufgrund

des ihm zustehenden Prognose- und Einschätzungsspielraums

erwarten, daß aufgrund der nunmehr gegebenen

Erhebungsmöglichkeiten das bis dahin bestehende

gleichheitswidrige prinzipielle Erhebungsdefizit (vgl. BVerfGE

84, 239, 276 ff.) bei von inländischen Zahlstellen bezogenen

Kapitalerträgen künftig im wesentlichen abgebaut und eine

Gleichheit im Belastungserfolg grundsätzlich erreichbar sein

werde.

Der neu eingeführte Zinsabschlag von 30 bzw. 35 v.H. des

Bruttokapitalertrags ist als eine wesentliche Nachbesserung

des Gesetzgebers zur Herbeiführung einer Belastungsgleichheit

zu bewerten. Darüber hinaus durfte der Gesetzgeber

ausreichende Erhebungsbefugnisse der Verwaltung, die Beziehern

höherer Kapitalerträge eine risikolose Steuerhinterziehung

künftig verwehren können, auch ohne eine Aufhebung des § 30a

Abs. 3 AO 1977 und ohne eine gleichzeitige Zulassung eines

stichprobenweisen Kontrollverfahrens grundsätzlich als gegeben

ansehen.

Der Gesetzgeber konnte für die künftige Auslegung und

Anwendung der Erhebungsbefugnisse der Finanzbehörden davon

ausgehen, daß die die Entscheidung in BVerfGE 84, 239

tragenden Grundsätze zur Auslegung der Verfassung nach § 31

des Gesetzes über das Bundesverfassungsgericht Gerichte und

Behörden binden (vgl. hierzu BVerfG-Beschluß vom 10. Juni 1975

2 BvR 1018/74, BVerfGE 40, 88, 93). Aufgrund dessen durfte der

Gesetzgeber bei seiner Prognose erwarten, daß künftig nicht

nur die Gerichte bezüglich der Ermittlungsbefugnisse der

Finanzbehörden die in § 30a AO 1977 getroffenen Regelungen

einschränkend auslegen würden, sondern daß auch die

Finanzverwaltung ihre bei der Ermittlung von Kapitalerträgen

bis dahin geübte Zurückhaltung aufgeben werde, von der das

BVerfG in seiner Entscheidung in BVerfGE 84, 239 noch als

Faktum ausgegangen war.

Das BVerfG hatte das Haupthindernis für eine Gewährleistung

von Gleichheit im steuerlichen Belastungserfolg in dem durch

den Bankenerlaß und durch den anschließend in das Gesetz

eingefügten § 30a AO 1977 verursachten "Klima der

Zurückhaltung und des Zögerns" gesehen, das die Verwaltung zur

Rücksichtnahme auf das besondere Vertrauensverhältnis zwischen

Kreditinstituten und Kunden veranlaßte. Demgegenüber hat das

BVerfG in BVerfGE 84, 239, 279 steuerliche Auskunftspflichten

und Kontrollmitteilungen mit den Grundrechten der Banken und

ihrer Kunden als vereinbar und zur Gewährleistung der

Gleichheit im Belastungserfolg als geboten angesehen.

Diesen Grundsätzen zufolge hat sich die Finanzverwaltung in

dem Anwendungserlaß des BMF vom 23. März 1993 IV A 5 -S 0130 a

3/93 (BStBl I 1993, 330) unter einschränkender Auslegung von §

30a AO 1977 als berechtigt angesehen, an Kreditinstitute bei

hinreichendem Anlaß Einzelauskunftsersuchen, aber auch

Sammelauskunftsersuchen zu richten, die sich auf eine Vielzahl

von Einzelfällen beziehen.

Daß die Finanzbehörden von diesen Ermittlungsbefugnissen

nunmehr in der Praxis auch tatsächlich Gebrauch machen, haben

nicht nur die Vertreter des dem Verfahren beigetretenen BMF in

der mündlichen Verhandlung des Senats ausgeführt. Dies wird

auch beispielsweise durch Ermittlungsmaßnahmen der

Steuerfahndung gegen Banken wegen Verdachts der Beihilfe zur

Steuerhinterziehung durch Verschleierung von Geldüberweisungen

an verschwiegene Luxemburger Konten bestätigt (vgl.

BVerfG-Beschluß vom 23. März 1994 2 BvR 396/94, Neue

Juristische Wochenschrift --NJW-- 1994, 2079, und vom 13.

Dezember 1994 2 BvR 894/94, NJW 1995, 2839).

Wenn trotzdem noch ein Erhebungsdefizit auch bei von

inländischen Zahlstellen bezogenen Zinseinkünften verbleiben

sollte --vornehmlich aufgrund der angespannten Personallage

der FÄ, auf die der BRH hingewiesen hat, oder auch infolge der

Praxis eines dem Gebot einer gleichmäßigen Rechtsanwendung

nach § 85 AO 1977 widersprechenden sog. "maßvollen

Gesetzesvollzugs"-- so handelt es sich dabei nicht um ein

strukturelles Erhebungsdefizit, das sich der Gesetzgeber

infolge einer lückenhaften Ausgestaltung der Zinsbesteuerung

zurechnen lassen müßte. Denn die vorstehenden allgemeinen

Erhebungsmängel führen nicht zu einer gleichheitswidrigen

Bevorzugung speziell von Beziehern hoher Zinseinkünfte,

sondern aller Steuerpflichtigen, die ihre Einkünfte zur

Einkommensbesteuerung zu erklären haben, im Vergleich etwa zu

steuerpflichtigen Arbeitnehmern, deren Einkünfte dem

Lohnsteuerabzug unterliegen.

 

Fundstellen

BFH/NV 1997, 306

BStBl II 1997, 499

BFHE 183, 45

BFHE 1998, 45

BB 1997, 1350 (Leitsatz)

DB 1997, 1257-1264 (Leitsatz und Gründe)

DStR 1997, 961-965 (Leitsatz und Gründe)

DStRE 1997, 499-507 (Leitsatz und Gründe)

DStZ 1998, 51 (Leitsatz)

HFR 1997, 676-679 (Leitsatz)

StE 1997, 394 (Kurzwiedergabe)

WPg 1997, 536-539 (Leitsatz und Gründe)

StRK, R. 43 (Leitsatz und Gründe)

FR 1997, 487-493 (Leitsatz und Gründe)

Information StW 1997, 475-476 (Leitsatz und Gründe)

LEXinform-Nr. 0141559

NJW 1997, 2067

NJW 1997, 2067-2073 (Leitsatz und Gründe)

SteuerBriefe 1998, 219

SteuerBriefe 1998, 4

KFR, 1/97, S 255 (Leitsatz)

NWB 1997, 769

BuW 1997, 572-575 (Leitsatz und Gründe)

BFH/NV BFH/R 1997, 306-313 (Leitsatz und Gründe)

NVwZ 1997, 1040

NVwZ 1997, 1040 (Leitsatz)

WiB 1997, 867-870 (Leitsatz und Gründe)

SteuerStud 1997, 468-470 (Leitsatz und Gründe)

WM IV 1997, 1233-1241 (Leitsatz und Gründe)

WuB, X § 30 a AO 1.97 (Leitsatz und Gründe)

wistra 1997, 273

wistra 1997, 273-274 (Leitsatz)

PStR 1998, 2-3 (red. Leitsatz und Gründe)

StBp 2013, 169

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