Leitsatz (amtlich)

1. Das FG darf eine schriftliche Prüfungsarbeit einer Steuerbevollmächtigtenprüfung auch dann nicht selbständig neu bewerten, wenn es vermeint, aufgrund eigenen Sachverstands hierzu in der Lage zu sein und wenn ihm die gleichen tatsächlichen Grundlagen wie vorher dem Prüfungsausschuß zur Verfügung stehen.

2. Die abschließende Beurteilung einer schriftlichen Prüfungsarbeit durch den Prüfungsausschuß bedarf insbesondere dann keiner besonderen schriftlichen Begründung, wenn in der Korrektur die falschen und richtigen Lösungen in einer Dritten verständlichen Weise gekennzeichnet sind.

 

Normenkette

StBerG § 4 Abs. 2, § 118 Nr. 1 Buchst. b; DVStBerG §§ 19, 22

 

Tatbestand

Die Klägerin und Revisionsbeklagte (Klägerin) hatte die Steuerbevollmächtigtenprüfungen 1965 und 1966 nicht bestanden und nahm im Frühjahr 1968 zum dritten Mal an der Steuerbevollmächtigtenprüfung teil. Ihre drei Klausurarbeiten wurden mit "mangelhaft" bewertet. Mit Bescheid vom 6. Mai 1968 teilte ihr die Beklagte und Revisionsklägerin (OFD) unter Hinweis auf § 19 Abs. 3 DVStBerG mit, daß bei diesem Ausgang der schriftlichen Prüfung die Prüfung nicht bestanden sei und eine mündliche Prüfung nicht mehr stattfinde. Die Beschwerde der Klägerin hatte keinen Erfolg. Auf ihre Klage hin hob das FG die Prüfungsentscheidung und die Beschwerdeentscheidung auf.

Das FG gelangte aufgrund einer eigenen Bewertung der Umsatzsteuerklausurarbeit der Klägerin zu dem Ergebnis, daß diese Arbeit nicht mit "mangelhaft", sondern mindestens mit "ausreichend" hätte bewertet werden müssen. Der angefochtene Bescheid sei daher rechtswidrig. Zur näheren Begründung führte es aus: Schriftliche Prüfungsarbeiten seien dem Richter in der gleichen Form wie dem Prüfer zugänglich. Von einem einmaligen oder unwiederholbaren Prüfungsvorgang könne bei der Beurteilung schriftlicher Leistungen nicht gesprochen werden. Ferner sei bei der Beurteilung schriftlicher Arbeiten in der Steuerbevollmächtigtenprüfung keine pädagogische Wertung notwendig. Die Leistungen erwachsener Bewerber seien allein daraufhin zu beurteilen, ob sie den Ansprüchen genügten, die der von den Bewerbern erstrebte Beruf stelle. Die FG seien aufgrund ihrer täglichen Arbeit sachverständig genug, um die Prüfungsentscheidungen in diesem Umfang nachprüfen zu können.

Darüber hinaus sei die angefochtene Prüfungsentscheidung auch aus anderen Gründen rechtswidrig. Das Werturteil "mangelhaft" habe der Prüfungsausschuß weder unter der Arbeit der Klägerin noch später besonders begründet. Die Randbemerkungen des Referenten an der Prüfungsarbeit reichten nicht aus, wenn sie - wie hier - nur die Schwächen der Arbeit besonders hervorhöben und nicht die richtig gelösten Teile der Arbeit würdigten. Der Korreferent habe keine Randbemerkungen gemacht, sondern sich mit der Bewertung "mangelhaft" begnügt.

Die Bewertung einer Prüfungsklausur mit "mangelhaft" sei immer abschließend zu begründen. Die Begründung bedürfe um so mehr einer gewissen Sorgfalt, je schwerwiegender das Urteil des Prüfungsausschusses in dem durch das GG geschützten Lebensbereich des bewerbers (Art. 12 Abs. 1 GG) eingreife. Aus der Begründung müsse für einen Außenstehenden erkennbar werden, ob und weshalb der Prüfer eine Lösung als falsch und welche Teile der Lösung er als richtig gewertet habe, welches Gewicht den falschen gegenüber den richtigen Lösungen beigemessen worden sei und welchen Wert die Arbeit, gemessen an dem Hilfsmaßstab einer Punkttabelle, nach Ansicht des Prüfungsausschusses erreiche. Diese Anforderungen erfüllten Symbole oder einzelne Worte, wie "verfehlt" oder "unzulänglich", nicht.

Die OFD stützt ihre Revision auf die Verletzung materiellen Rechts. Sie trägt vor, das FG habe - ohne daß von der Klägerin wesentliche Bewertungsfehler geltend gemacht worden seien - aufgrund seines subjektiven äußeren Eindrucks von der Korrektur der Umsatzsteuerklausur die schriftliche Prüfungsarbeit vollständig überprüft und an die Stelle der Bewertungsentscheidung des Prüfungsausschusses seine eigene abweichende Bewertungsentscheidung gesetzt. Habe der Prüfungsausschuß bei der Korrektur Überlegungen angestellt, die von einem fachkundigen Prüfungsausschuß allgemein erwartet werden müßten, sei die Bewertung im einzelnen nicht mehr nachprüfbar. Die bisherige Rechtsprechung gehe zu Recht von der Überlegung aus, daß dem Prüfungsausschuß zu einer sinnvollen Ausübung seiner Aufgaben bei der Bewertung der Klausurarbeiten ein Spielraum belassen werden müsse. Das FG gehe ferner in seiner Auffassung fehl, wenn es verlange, daß jede Prüfungsentscheidung besonders begründet werden müsse. Das sei im Gesetz nicht vorgesehen.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision führt zur Aufhebung der Vorentscheidung.

Das FG durfte nicht von sich aus die selbständige Bewertung einer der schriftlichen Prüfungsarbeiten der Klägerin - hier der Umsatzsteuerklausur - vornehmen und seine Prüfungsentscheidung an die Stelle derjenigen des Prüfungsausschusses setzen. Das BVerwG und ihm folgend der BFH haben in ständiger Rechtsprechung, die die Vorentscheidung im einzelnen angeführt hat, die Auffassung vertreten, daß Prüfungsentscheidungen höchstpersönliche pädagogische Werturteile sind, die sich einer vollen gerichtlichen Nachprüfung entziehen. Das dient der Sicherung der Unabhängigkeit und Unvoreingenommenheit der Prüfungsausschüsse. Diesen muß ein Beurteilungsspielraum zugestanden werden, der nicht etwa einem Ermessensspielraum gleichzusetzen ist. Die Grenzen für den Beurteilungsspielraum ergeben sich daraus, daß die Gerichte nachprüfen, ob allgemeingültige Bewertungsmaßstäbe außer acht gelassen worden sind oder sachfremden Erwägungen Raum gegeben worden ist, ob ferner die Prüfungsanforderungen in bezug auf Aufgabenstellung und Bewertung der Arbeiten überspannt worden sind, ob von unzutreffenden Tatsachen ausgegangen worden ist und die für die Prüfung maßgeblichen Verfahrensbestimmungen eingehalten worden sind.

Die Vorinstanz meint, diese Grundsätze einer beschränkten Nachprüfungsmöglichkeit von Prüfungsentscheidungen könnten dann nicht angewendet werden, wenn dem Gericht, insbesondere bei schriftlichen Prüfungsarbeiten, die gleichen tatsächlichen Grundlagen wie dem Prüfungsausschuß zur Verfügung ständen und es aufgrund eigenen Sachverstands in der Lage sei, die Leistungen des Prüfungskandidaten selbständig zu beurteilen. Mit Recht weist die Revision darauf hin, daß dem Gericht jeweils nur ein einzelner Prüfungsfall zur Beurteilung vorliegt und es nicht den Überblick über den Leistungsstand einer Vielzahl von Prüfungskandidaten besitzt. Läßt man eine uneingeschränkte oder nahezu volle Nachprüfung von Prüfungsentscheidungen durch die Gerichte zu, besteht die Gefahr, daß diese einen Maßstab an eine einzelne Prüfungsarbeit legen, der nicht unbeeinflußt von dem Vorbringen des klagenden Prüflings ist und erheblich von dem Maßstab abweicht, den sich der Prüfungsausschuß in einer ständigen Prüfungspraxis erarbeitet hat. Das kann zu dem nicht zu billigenden Ergebnis führen, daß ein Prüfling, der schlechtere Leistungen als andere aufzuweisen hat, durch die Gerichte eine bevorzugte Behandlung erfährt.

Der erkennende Senat vermag auch nicht der Auffassung des FG zu folgen, bei der Beurteilung der schriftlichen Arbeiten einer Steuerbevollmächtigtenprüfung sei keine pädagogische Wertung notwendig, da Leistungen erwachsener Bewerber nur im Hinblick auf die Eignung für einen bestimmten Beruf zu prüfen seien. Ob eine Prüfungsentscheidung auf dem Gebiet des Steuerberatungswesens einer pädagogischen Entscheidung gleichzusetzen ist, mag dahinstehen. Die Beurteilung der Leistungen eines Bewerbers für den Beruf des Steuerbevollmächtigten beinhaltet aber ebenfalls eine Wertung, die sich, mögen ihr auch objektive Maßstäbe zugrunde liegen, der letzten Einsicht durch andere entzieht. Es läßt sich daher nicht sagen, daß die Bewertung einer Prüfungsarbeit immer nur zu einem einzigen richtigen Ergebnis führen kann. So kommt es in der Praxis häufig vor, daß von mehreren Prüfern z. B. der eine die Leistung des Prüfungskandidaten nur als Durchschnittsleistung, ein anderer als über dem Durchschnitt liegend bewertet, ohne daß mit Sicherheit festgestellt werden könnte, eine dieser Bewertungen müsse falsch sein. Um zwiespältige Prüfungsentscheidungen zu vermeiden, ist in §§ 19 und 22 DVStBerG angeordnet, daß über die endgültige Notenvergabe und den endgültigen Prüfungsausgang der Prüfungsausschuß als solcher jeweils eine einheitliche Entscheidung zu fällen hat. Bei dieser Besonderheit des Wertungs- und Beurteilungsvorgangs ist es nicht Aufgabe der Gerichte, nachzuprüfen, ob die getroffene Prüfungsentscheidung die allein richtige gewesen ist. Die richterliche Nachprüfung kann sich nur darauf erstrecken, ob sich die Prüfungsentscheidung in bestimmten, sich aus der Rechtsordnung ergebenden Grenzen hält. Sind diese Grenzen eingehalten, ist die Prüfungsentscheidung rechtmäßig. Das vom FG in diesem Zusammenhang angeführte Beispiel, die Beurteilung von Filmen auf ihre künstlerische Qualität könne von den Gerichten notfalls mit Hilfe von Sachverständigen neu und eigenständig überprüft werden, ist schon deshalb nicht brauchbar, da es sich in diesem Fall um einen reinen Subsumtionsvorgang eines Lebenssachverhalts unter den Tatbestand einer Rechtsvorschrift handelt. Das diesen Sachverhalt beurteilende Gericht hat sich hier selbst darum zu bemühen, die einzige richtige Entscheidung zu finden.

Da somit die Vorinstanz den Umfang der gerichtlichen Nachprüfung von Prüfungsentscheidungen verkannt hat, mußte ihre Entscheidung aufgehoben werden.

Die Sache ist spruchreif. Die Bewertung der Umsatzsteuerklausur der Klägerin mit der Note "mangelhaft" hält einer gerichtlichen Nachprüfung in dem aufgezeigten beschränkten Rahmen stand (wird näher ausgeführt).

Der erkennende Senat kann sich nicht der Auffassung der Vorinstanz anschließen, daß der Prüfungsausschuß offenbar richtige Lösungen nicht oder nicht genügend berücksichtigt, falsche Lösungen hingegen überbewertet hat. Die Vorinstanz vermeint das daraus schließen zu können, daß nur die unrichtig gelösten Teile der Arbeit besonders gekennzeichnet sind, nicht hingegen die richtigen Lösungen. Es muß Referenten und Korreferenten überlassen bleiben, wie sie bei der Korrektur der Arbeiten verfahren. Es genügt, wenn sie die unrichtigen Lösungen besonders kennzeichnen oder bei den einzelnen Lösungen vermerken, was der Prüfling übersehen oder nicht richtig erkannt hatte. Einer besonderen Hervorhebung der richtigen Lösungen bedarf es insbesondere dann nicht, wenn, wie hier, die richtigen Teile einer Lösung vom Referenten abgehakt worden sind. Die anderen Mitglieder des Prüfungsausschusses und auch ein außenstehender Dritter sind dann in der Lage, festzustellen, von welchen Gesichtspunkten sich der Referent bei der Durchsicht der Prüfungsarbeit hat leiten lassen.

Desgleichen ist die Auffassung der Vorinstanz abzulehnen, die Vergabe der Note "mangelhaft" für eine schriftliche Prüfungsarbeit bedürfe einer eingehenden schriftlichen Begründung, aus welcher hervorgehen müsse, welche Teile der Arbeit als falsch gelöst anzusehen seien und welches Gewicht ihnen beizumessen sei. Das StBerG und die Durchführungsverordnung schreiben nichts dergleichen vor. § 19 Abs. 1 Satz 1 DVStBerG bestimmt lediglich, daß die Klausurarbeiten vom Prüfungsausschuß zu bewerten sind. Die endgültige Notengebung geschieht somit durch Mehrheitsbeschluß. Nach Satz 2 dieser Bestimmung ist jede Arbeit von mindestens zwei Mitgliedern des Prüfungsausschusses - einem Referenten und einem Korreferenten - zu begutachten, die eine Note für jede Arbeit vorzuschlagen haben. Das ist im vorliegenden Fall bei allen drei schriftlichen Arbeiten der Klägerin geschehen. "Begutachten" i. S. d. § 19 Abs. 1 Satz 2 DVStBerG bedeutet den Vorgang des Durchsehens und der Korrektur der schriftlichen Prüfungsleistung. Die Begutachtung dient der Meinungsbildung. Sie mündet ein in den Vorschlag, welche abschließende Note der schriftlichen Arbeit nach Ansicht der Korrektoren gegeben werden soll. Die Vorschrift des § 19 Abs. 1 DVStBerG verlangt, daß die mit der Korrektur der schriftlichen Arbeiten betrauten Prüfer sich aufgrund selbständiger Begutachtung ein Urteil über die Arbeit zu bilden haben. Sie verlangt aber nicht, daß die Gründe für die Notengebung jeweils in allen Einzelheiten schriftlich niedergelegt werden. Es genügt, wenn die Prüfer, wie schon erwähnt, die falschen und richtigen Lösungen in einer Dritten verständlichen Weise kennzeichnen. Dadurch werden auch die Gerichte in die Lage versetzt, im Rahmen der aufgezeigten Nachprüfungsmöglichkeiten zu entscheiden, ob die Prüfer etwa die Grenzen des ihnen eingeräumten Beurteilungsspielraums überschritten haben. Der erkennende Senat verkennt nicht, daß der Prüfungsausschuß bei der Bewertung der Prüfungsarbeiten eine große Verantwortung insbesondere dann trägt, wenn von dem Ausfall einer Arbeit das Bestehen der Prüfung oder gar der künftige berufliche Werdegang des Prüflings abhängt. Diese Verantwortung können die Gerichte den Prüfungsausschüssen nicht abnehmen. Letztere sind im Rahmen ihrer Befugnisse unabhängig und aufgrund der Fachkenntnisse ihrer Mitglieder in der Lage, die Leistungen eines Prüfungskandidaten unvoreingenommen und sachlich zu beurteilen.

Die Klage war nach alledem abzuweisen.

 

Fundstellen

Haufe-Index 70553

BStBl II 1973, 747

BFHE 1974, 94

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