Entscheidungsstichwort (Thema)

Zur Ordnungsmäßigkeit einer Prozeßvollmacht

 

Leitsatz (NV)

1. Die Vollmachtsurkunde muß zumindest im Wege der Auslegung erkennen lassen, wer bevollmächtigt hat, wer bevollmächtigt worden ist und wozu er bevollmächtigt ist.

2. Die Vollmachtsurkunde muß sich auf einen konkreten Rechtsstreit beziehen. Dieser Zusammenhang kann sich daraus ergeben, daß die Vollmacht einem Schriftsatz beigeheftet ist, in dem der Rechtsstreit genau bezeichnet und auf die anliegende Vollmacht hingewiesen ist (Anschluß an BFH-Beschluß vom 27. Oktober 1989 VI B 163/89, BFH/NV 1990, 648).

3. Das Gericht muß ggf. berechtigten Zweifeln nachgehen, wenn Ungewißheit besteht, ob der Bevollmächtigte die Vollmacht so, wie sie vom Kläger erteilt worden ist, auf das konkrete gerichtliche Verfahren hat beziehen dürfen (Anschluß an Urteil des BFH vom 15. März 1991 III R 112/89, BFHE 164, 210, BStBl II 1991, 726).

 

Normenkette

FGO § 62 Abs. 3

 

Tatbestand

Mit einem am 8. April 1988 beim Beklagten und Revisionsbeklagten (Finanzamt - FA -) eingegangenem Schriftsatz erhob der Steuerberater des Klägers und Revisionsklägers (Kläger) Klage, ohne eine schriftliche Prozeßvollmacht beizufügen.

Mit Verfügung der Geschäftsstelle des Finanzgerichts (FG) vom 16. Mai 1988 wurde der Steuerberater aufgefordert, binnen Monatsfrist eine Vollmacht des Klägers nachzureichen. Mit Schreiben vom 20. Mai 1988 reichte er eine schriftliche, vom Kläger mit Vor- und Nachnamen unterschriebene Prozeßvollmacht ein. Sie enthielt kein Datum und keine Angaben, für welchen Rechtsstreit der Kläger die Vollmacht erteilt hatte. In der Vollmachtsurkunde heißt es, der Kläger bevollmächtige den Steuerberater,

,,mich/uns in meinen/unseren Steuer- und Buchführungsangelegenheiten vor allen Gerichten, Finanzämtern, Steuer- und sonstigen Behörden sowie Versorgungsämtern zu vertreten, gerichtliche und außergerichtliche Rechtsbehelfe abzuschließen, sonstige verbindliche Erklärungen abzugeben und rechtsverbindliche Unterschrift zu leisten. Die Vollmacht gilt u. a. für das Festsetzungs- und Erhebungsverfahren der Finanzämter (Merker 21) sowie für das Steuerstrafverfahren. Die Vollmacht schließt die Bevollmächtigung eines Unterbevollmächtigten ein.

Zustellungen, die statt an den Bevollmächtigten auch an die Partei unmittelbar zulässig sind, sollen nur an den Bevollmächtigten bewirkt werden."

Mit Verfügung vom 2. Februar 1989 wies der Berichterstatter des FG den Steuerberater darauf hin, daß die von ihm vorgelegte Prozeßvollmacht nicht den Anforderungen entspreche, die der Bundesfinanzhof (BFH) im Beschluß vom 9. Februar 1988 III R 180/82 (BFH/NV 1988, 509) an eine wirksame Prozeßvollmacht gestellt habe. Gleichzeitig wurde er aufgefordert, bis zum 28. Februar 1989 eine ordnungsgemäße Prozeßvollmacht vorzulegen.

Mit Schriftsatz vom 10. Februar 1989 teilte der Steuerberater dem FG mit, daß es sich bei der mit Schreiben vom 20. Mai 1988 vorgelegten Prozeßvollmacht um eine ordnungsgemäße Generalvollmacht handele.

Mit Verfügung vom 3. März 1989 setzte der Berichterstatter dem Steuerberater ohne Erfolg eine Ausschlußfrist nach Art. 3 § 1 des Gesetzes zur Entlastung der Gerichte in der Verwaltungs- und Finanzgerichtsbarkeit (VGFGEntlG) zur Vorlage der Vollmacht bis zum 5. April 1989.

Das FG wies die Klage als unzulässig ab. Es führte im wesentlichen aus:

Die Klage sei unzulässig, da die vorgelegte Prozeßvollmacht nicht den Anforderungen entspreche, die an eine ordnungsgemäße Vollmacht zu stellen seien. Sie müsse grundsätzlich erkennen lassen, wer bevollmächtigt sei, wer bevollmächtigt habe und wozu bevollmächtigt worden sei (BFH-Urteil vom 17. Juli 1984 VIII R 20/82, BFHE 141, 463, BStBl II 1984, 802) und sie müsse sich - sofern keine Generalvollmacht vorliege - auf das konkrete gerichtliche Verfahren beziehen (Beschluß in BFH/NV 1988, 509).

Diesen Voraussetzungen genüge die vom Steuerberater vorgelegte Vollmacht nicht. Einen Bezug zum konkreten Rechtsstreit enthalte die Vollmachtsurkunde nicht. Trotz der weitreichenden und umfassenden Bevollmächtigung stelle sie keine Generalvollmacht dar. Nach den Steuerakten und den vom FA vorgelegten Kopien habe der Steuerberater für Veranlagungszeiträume vor und nach dem Streitjahr 1989 jeweils Vollmachtsurkunden mit den Einkommensteuer-Erklärungen vorgelegt, die den gleichen Text aufwiesen wie hier im Klageverfahren. Aus diesem Verhalten sei der Schluß zu ziehen, daß er keine dieser Vollmachten als Generalvollmacht, sondern nur als Bevollmächtigung für den jeweiligen Veranlagungszeitraum angesehen habe.

Gegen das Urteil legte der Kläger Revision ein.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision ist zulässig und begründet.

Da der Steuerberater als Prozeßbevollmächtigter des Klägers keine besondere Vollmacht für das Revisionsverfahren vorgelegt hat, hängen Zulässigkeit und Begründetheit der Revision von der Frage ab, ob der Schriftsatz vom 20. Mai 1988 in Verbindung mit der beigefügten Vollmacht den Voraussetzungen des § 62 Abs. 3 der Finanzgerichtsordnung (FGO) entsprechen. Dies ist gemäß den Ausführungen des Senats im Beschluß vom 27. Oktober 1989 VI B 163/89 (BFH/NV 1990, 648) zu bejahen.

In jenem Verfahren trat derselbe Steuerberater als Prozeßbevollmächtigter mit einer Prozeßvollmacht gleichen Inhalts und gleichen Anschreibens wie hier auf. Der Senat entschied dort, die Zulässigkeit der Beschwerde wegen Nichtzulassung der Revision sei nicht deshalb zu verneinen, weil es an der Vorlage einer ordnungsgemäßen Prozeßvollmacht fehle. Die vom Steuerberater im vorangegangenen finanzgerichtlichen Verfahren eingereichte Vollmacht habe diesen u. a. zum Einlegen einer Beschwerde wegen Nichtzulassung der Revision ermächtigt. Sie lasse im Wege der Auslegung erkennen, wer bevollmächtigt habe, wer bevollmächtigt sei und wozu er bevollmächtigt worden sei. Die Urkunde weise einen hinreichenden Bezug zum Klageverfahren und zum Beschwerdeverfahren aus. Denn die Kläger hätten darin ihren (namentlich genannten) Bevollmächtigten u. a. ermächtigt, sie in ihren Steuerangelegenheiten vor allen Gerichten zu vertreten. Ein konkreter Zusammenhang zum vorliegenden Rechtsstreit ergebe sich daraus, daß die Vollmacht einem Schriftsatz beigeheftet worden sei, in dem der Rechtsstreit genau bezeichnet und auf die anliegende Vollmacht hingewiesen worden sei. Auf den Beschluß in BFH/NV 1990, 648 wird im übrigen Bezug genommen.

Der Senat hält an den Grundsätzen dieser Entscheidung fest. Ihr ist der III. Senat des BFH im Urteil vom 15. März 1991 III R 112/89 (BFHE 164, 210, BStBl II 1991, 726) mit der Maßgabe beigetreten, daß das Gericht unter Umständen berechtigten Zweifeln nachgehen müsse, ob der Bevollmächtigte die Vollmacht so, wie sie ihm vom Kläger erteilt worden sei, auf das konkrete gerichtliche Verfahren habe beziehen dürfen. Das Gericht könne ggf. die Vorlage einer neuen Urkunde verlangen, die diese Zweifel ausräume.

Im Streitfall ist die vom Steuerberater vorgelegte Vollmacht des Klägers nicht zu beanstanden. Sie wurde mit Schreiben des Steuerberaters vom 20. Mai 1988 an das FG gesandt, in dem unter Bezugnahme auf die beiliegende Vollmacht der Name des Klägers, der Name des FA, die Steuernummer, das Aktenzeichen des finanzgerichtlichen Klageverfahrens und der Gegenstand des Klageverfahrens betreffend Einkommensteuer 1982 angegeben war. Aus den Klage- und Revisionsakten ergeben sich keine Zweifel, daß der Steuerberater die Vollmacht so, wie sie ihm vom Kläger schriftlich erteilt war, auf das vorliegende gerichtliche Verfahren beziehen durfte.

Die Vorentscheidung ist aufzuheben, da das FG von anderen Rechtsgrundsätzen ausgegangen war. Die Sache ist an das FG zurückzuverweisen, damit es über die Klage materiell entscheidet.

 

Fundstellen

Haufe-Index 418124

BFH/NV 1992, 608

Das ist nur ein Ausschnitt aus dem Produkt Steuer Office Basic. Sie wollen mehr?

Anmelden und Beitrag in meinem Produkt lesen


Meistgelesene beiträge