Entscheidungsstichwort (Thema)

Sachwalter (§ 91 VerglO) als Verfügungsberechtigter (§ 35 AO 1977)

 

Leitsatz (NV)

1. Verpflichtung des gesetzlichen Vertreters oder Verfügungsberechtigten zur Abführung der Umsatzsteuer aufgrund von Vorausabtretungen.

2. Ist der Sachwalter nach §§ 91, 92 VerglO bevollmächtigt, über die Konten des Vergleichsschuldners zu verfügen und hat er hiervon Gebrauch gemacht, so ist er Verfügungsberechtigter nach § 35 AO 1977 und haftet als solcher für die durch Umsätze des Vergleichsschuldners bewirkten Umsätze.

3. Zum Auftreten als Verfügungsberechtigter im Rechtsverkehr.

4. Zur groben Fahrlässigkeit bei Pflichtverletzungen des Verfügungsberechtigten.

 

Normenkette

AO 1977 §§ 35, 69

 

Tatbestand

Der Kläger war in der Zeit ab April 1971 Vergleichsverwalter im Vergleichsverfahren über das Vermögen einer KG.

Das Vergleichsverfahren wurde nach Annahme des Vergleichs durch die Gläubiger im Mai 1971 aufgehoben. Bereits vorher - nämlich mit Notarvertrag vom Mai 1971 - hatte die KG ihr Anlage- und Umlaufvermögen auf den Kläger als Treuhänder zu Eigentum übertragen, und zwar mit der Maßgabe, die aus der Verwertung dieses Vermögens erzielten Erlöse nach Abzug bestimmter Kosten usw. an die Vergleichsgläubiger bis zu deren Befriedigung nach dem Vergleichsvorschlag auszuschütten. Der Kläger war zu diesem Zweck allein befugt, über die Bank- und Postscheckkonten der KG zu verfügen und Anweisungen an die Kassenverwaltung der KG zu erteilen. Dementsprechend nahm der Kläger die ihm übertragenen Rechte in der Folgezeit als Treuhänder der Gläubiger wahr. Die Verwertung des Anlage- und Umlaufvermögens (einschließlich des Grundbesitzes) nahm er entsprechend der Ermächtigung in dem Notarvertrag vom Mai 1971 im Namen und für Rechnung der KG vor.

Der Kläger hat auch die Auszahlungsanordnungen, Banküberweisungen und Schecks der KG für diese unterschrieben.

Zur Abgabe der Umsatzsteuer-Voranmeldungen war der KG die einmonatige Dauerfristverlängerung gewährt worden. Die Voranmeldungen gingen - bis einschließlich Januar 1979 - jeweils innerhalb dieser Frist beim FA ein. Die fälligen Vorauszahlungen führte die KG jedoch weitgehend nicht mehr an das FA ab.

Im Oktober 1978 teilte das FA dem Kläger die Höhe der inzwischen rückständigen Umsatz-, Lohn- und Kirchensteuern mit und kündigte diesem unter Bezugnahme auf § 34 AO 1977 an, daß es gegen ihn wegen dieser Steuerrückstände möglicherweise einen Haftungsbescheid erlassen werde. Nachdem der Kläger sich hiergegen verwahrt hatte, teilte ihm das FA mit Schreiben vom 11. Dezember 1978, eingegangen beim Kläger am 15. Dezember 1978, mit, es werde geprüft, ob der Kläger nicht aufgrund von § 35 AO 1977 als Haftungsschuldner in Anspruch zu nehmen sei.

Mit Beschluß vom März 1979 hat das zuständige Amtsgericht den Antrag auf Eröffnung des Konkursverfahrens über das Vermögen der KG mangels Masse abgelehnt. Daraufhin erließ das FA im Oktober 1979 einen auf §§ 35, 34 i. V. m. § 69 AO 1977 gestützten Haftungsbescheid, wobei es in der Einspruchsentscheidung als Grundlage für die Haftungssumme von den rückständig gebliebenen Umsatzsteuer-Vorauszahlungen Oktober 1978 bis März 1979 ausging. Von diesem Rückstand setzte das FA rd. 40 v. H. als Haftungssumme fest. Die Haftquote in Höhe von 40 v. H. beruht auf einer überschlägigen Berechnung. Sie ergibt sich aus einer Gegenüberstellung der in den Jahren 1978 und 1979 von der KG an andere Gläubiger getilgten Verbindlichkeiten und der in der Zeit ab Oktober 1978 bis März 1979 nicht mehr getilgten Steuerschulden.

Das FG hat die Haftungssumme herabgesetzt und im übrigen die Klage abgewiesen.

Die Herabsetzung der Haftungssumme hat das FG damit begründet, daß der Kläger wegen der rückständigen Umsatzsteuer-Vorauszahlungen für die Monate Februar und März 1979 nicht mehr in Haftung zu nehmen sei, weil diese Vorauszahlungen wegen der Dauerfristverlängerung erst nach Ablehnung der Konkurseröffnung mangels Masse (März 1979) fällig geworden seien. Von diesem Zeitpunkt an sei die KG zahlungsunfähig und daher zur Tilgung der Umsatzsteuer nicht mehr in der Lage gewesen (Hinweis auf das Urteil des Bundesfinanzhofs - BFH - vom 8. Juli 1982 V R 7/76, BFHE 137, 1, BStBl II 1983, 249). Auszugehen sei daher von einem Steuerrückstand von . . . DM. Bei Gesamtverbindlichkeiten von . . . DM und hierauf erbrachten Zahlungen von . . . DM ergebe sich im Ergebnis eine Tilgungsquote von rd. 33 v. H. und somit eine Haftungssumme von . . . DM.

Im übrigen - also dem Grunde nach -, so wird vom FG ausgeführt, bestehe die Haftung des Klägers zu Recht. Denn der Kläger sei kraft der ihm als Treuhänder eingeräumten Rechte in dem Notarvertrag vom Mai 1971 Verfügungsberechtigter i. S. von § 35 AO 1977 gewesen und auch als solcher aufgetreten. Die ihm eingeräumte Position sei rechtlich und tatsächlich über diejenige eines - einfachen - Sachwalters i. S. von § 92 Abs. 1 VerglO hinausgegangen. Denn im Streitfall sei nicht von der in der VerglO getroffenen Regelung, sondern von dem Inhalt des Treuhandvertrages als der Grundlage der Vereinbarungen zwischen den Vergleichsgläubigern und dem Vergleichsschuldner auszugehen. Dieser Vertrag lasse aber keinen Raum für die Annahme einer - neben derjenigen des Klägers fortbestehenden zusätzlichen - Verfügungsbefugnis des Geschäftsführers der KG über deren Vermögen. Soweit der Geschäftsführer der KG seinerseits Verfügungen getroffen habe, handele es sich um eine aus der Rechtsposition des Klägers abgeleitete Befugnis. Der Sachverhalt sei insoweit anders gelagert, als derjenige, über den das Niedersächsische FG mit Urteil vom 30. Oktober 1981 XI (VI) 220/80 (EFG 1982, 386) entschieden habe. Auf dieses Urteil könne sich der Kläger daher nicht berufen.

Der Kläger habe seine Pflichten zur Abführung der ab Oktober 1978 bis März 1979 fällig gewordenen Umsatzsteuervorauszahlungen auch grob fahrlässig verletzt. Ihm sei spätestens mit dem Zugang des Schreibens des FA vom Oktober 1978 bekannt gewesen, daß der Geschäftsführer der KG dieser Verpflichtung nicht nachgekommen war und - unter Hinweis auf den Kläger als Verwalter der finanziellen Mittel der KG - dieser Verpflichtung auch für die Zukunft nicht nachzukommen gedachte. Unter diesen Umständen hätte das Schreiben des FA vom Oktober 1978 - unabhängig davon, welche internen Vereinbarungen bisher das Verhältnis des Geschäftsführers und des Klägers hinsichtlich der verschiedenen steuerlichen Verpflichtungen bestimmt hätten - für den Kläger ein hinreichender Anlaß sein müssen, sich nunmehr selbst um die ordnungsgemäße Abführung der Umsatzsteuern zu kümmern. Er könne sich nicht darauf berufen, nicht gewußt zu haben, daß er Verfügungsberechtigter i. S. des § 35 AO 1977 sei und welche Pflichten ihm insoweit gegenüber dem FA oblägen. Über diese Pflichten hätte er sich bereits bei Übernahme seines Amtes, spätestens aber nach Zugang des Schreibens des FA vom Oktober 1978 erkundigen müssen. Dabei hätte sich ergeben, daß Treuhänder seit jeher als die typischen Verfügungsberechtigten kraft Rechtsgeschäfts angesehen würden (Hinweis auf Offerhaus in Hübschmann/Hepp/Spitaler, Abgabenordnung-Finanzgerichtsordnung, 7. Aufl., Anm. 12 zu § 35 AO 1977; Tipke/ Kruse, Abgabenordnung-Finanzgerichtsordnung, 12. Aufl., Tz. 2 zu § 35 AO 1977).

Schließlich habe das FA auch sein Ermessen zutreffend ausgeübt, nachdem - wie in der Einspruchsentscheidung ausgeführt - weder von der KG (nach Ablehnung der Konkurseröffnung) noch von dem persönlich haftenden Gesellschafter- Geschäftsführer (wegen Zahlungsunfähigkeit und Vermögenslosigkeit) weitere Zahlungen zu erwarten gewesen seien und ein anderer Haftungsschuldner nicht vorhanden gewesen sei.

Mit der Revision verfolgt der Kläger das Klagebegehren, die Aufhebung des Haftungsbescheids, weiter. Hilfsweise beantragt er die Aufhebung der Vorentscheidung und Zurückverweisung der Sache an das FG.

Der Kläger rügt wesentliche Verfahrensmängel und unrichtige Anwendung von § 35 AO 1977. Als wesentlichen Verfahrensmangel betrachtet es der Kläger, daß es das FG unterlassen habe, seinem Vorbringen nachzugehen, er habe auf die Verwendung der Erlöse aus dem Verkauf von Anlage- und Umlaufvermögen der KG keinen Einfluß gehabt, weil die Banken kraft des ihnen eingeräumten Sicherungseigentums diese Erlöse in vollem Umfang - also einschließlich der von den Abnehmern vereinnahmten Umsatzsteuerbeträge - ihrerseits beansprucht hätten. Da er dies nicht habe verhindern können, hätten ihm, dem Kläger, zur Bezahlung der Steuerschulden keine Mittel zur Verfügung gestanden. Den hierfür, durch die Vernehmung des Steuerberaters der KG, angetretenen Beweis habe das FG nicht erhoben, was als weiterer Verfahrensfehler gerügt werde.

In materieller Hinsicht bestreitet der Kläger, unter erneutem Hinweis auf das Urteil des Niedersächsischen FG in EFG 1982, 386, als Verfügungsberechtigter nach § 35 AO 1977 aufgetreten zu sein. Dies gelte sowohl hinsichtlich der Geschäftsgebarung der KG gegenüber Lieferanten und Kunden wie insbesondere hinsichtlich seines Verhaltens gegenüber dem FA. Die Verhandlungen mit dem FA (Stundungsanträge usw.) habe seit dem Jahre 1971 durchgängig der Geschäftsführer der KG geführt und nicht der Kläger. Das FA seinerseits habe sich - in Kenntnis der Sachwalterposition des Klägers - annähernd sieben Jahre hiermit abgefunden. Erstmals mit dem Schreiben vom Oktober 1978 sei es an ihn, den Kläger, herangetreten, und auch dies in nur recht allgemein gehaltener Form. Erst mit dem Schreiben vom Dezember 1978 habe das FA seinen Standpunkt dahin präzisiert, daß es den Kläger als Verfügungsberechtigten nach § 35 AO 1977 in Haftung nehmen werde.

Sollte aber, wie bestritten, dem Kläger dennoch eine Pflichtverletzung in dem vom FG angenommenen Umfang anzulasten sein, so läge jedenfalls keine grobe Fahrlässigkeit vor (§ 69 AO 1977). Und zwar zum einen, weil der Kläger keine Möglichkeit gehabt habe, die Beanspruchung der Verwertungserlöse für das Anlage- und Umlaufvermögen der KG durch die Banken zu verhindern oder auch nur zu beeinflussen, und zum anderen, weil sich das FA seinerseits wegen der steuerlichen Angelegenheiten der KG ab dem Jahre 1971 bis Oktober bzw. Dezember 1978 durchgängig ausschließlich an den Geschäftsführer der KG gehalten und mit dem Herantreten an den Kläger solange zugewartet habe, bis Steuerrückstände von über . . . DM aufgelaufen gewesen seien.

Im übrigen könnte, wenn trotz alledem doch eine schuldhafte Pflichtverletzung gegeben sein sollte, diese allenfalls in der Zeit nach Erhalt des finanzamtlichen Schreibens vom Dezember 1978 anerkannt werden. Denn vor Erhalt dieses Schreibens habe er, der Kläger, mit einer Inanspruchnahme als Haftungsschuldner weder gerechnet noch zu rechnen brauchen. In die Haftungssumme könnten daher allenfalls die nach dem Dezember 1978 bis einschließlich Januar 1979 entstandenen Umsatzsteuern als Berechnungsgrundlage einbezogen werden, nicht aber die vorher entstandenen oder fällig gewordenen. Die Berechnung der Haftungssumme im Urteil des FG ab Oktober 1978 sei schon aus diesem Grund nicht haltbar.

Das FA beantragt, die Revision zurückzuweisen.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision ist unbegründet.

1. Die gerügten Verfahrensmängel sind nicht gegeben. Da der Kläger nach den revisionsrechtlich verbindlichen Feststellungen des FG (§ 118 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung - FGO -) die im Besitz der KG verbliebenen Gegenstände des Anlage- und Umlaufvermögens (vgl. Seite 3 oben des Treuhandvertrages vom Mai 1971) im Namen und für Rechnung der KG veräußert hat, handelte es sich gegenüber den Erwerbern der Gegenstände um Veräußerungsgeschäfte und damit um Umsätze der KG und nicht um solche der Sicherungsnehmer (Banken) aus eigenem Recht. Dies gilt sinngemäß für die unter Eigentumsvorbehalt stehenden Gegenstände der KG, auch soweit bei deren Verwertung der Erlös den Vorbehaltseigentümern zugeflossen sein sollte (vgl. hierzu Rau/Dürrwächter/Flick/Geist, Umsatzsteuergesetz, 5. Aufl., Tz. 140 zu § 3 mit Hinweisen). Die Beanspruchung der Veräußerungs(Verwertungs-)erlöse durch die Sicherungsnehmer bzw. Vorbehaltseigentümer beruhte darauf, daß die KG die Kaufpreisforderungen den Sicherungsnehmern bzw. Vorbehaltseigentümern im voraus abgetreten hatte. Hierzu hat der BFH wiederholt entschieden, daß durch solche Vorausabtretungen - sei es im Ganzen (Globalzession), sei es im Einzelfall (bezogen auf bestimmte Verkäufe) - die Verpflichtungen des gesetzlichen Vertreters (§ 34 AO 1977) bzw. des Verfügungsberechtigten (§ 35 AO 1977) zur Abführung der Umsatzsteuer weder objektiv noch subjektiv begrenzt oder eingeschränkt werden (vgl. zur Globalzession BFH-Urteile vom 26. April 1984 V R 128/79, BFHE 141, 443, BStBl II 1984, 776, und zur Einzelabtretung vom 14. Juli 1987 VII R 188/82, BFHE 150, 312, BStBl II 1988, 172). Dieser Grundsatz beruht - letzten Endes - auf der Erwägung, daß diese Verpflichtungen öffentlich-rechtlicher Natur sind und daher nicht durch privatrechtliche Abmachungen - gleich welcher Art auch immer - abbedungen werden können (vgl. Tipke/Kruse, a. a. O., Tz. 11 zu § 34 AO 1977 mit Hinweisen). Hinzu kommt, daß die Inanspruchnahme von Verwertungserlösen oder Kundengeldern durch die Banken in aller Regel auf einer vorangegangenen Kreditgewährung beruht, durch die dem Unternehmen Geldmittel zugeführt werden. Im Ergebnis können sich jedenfalls Vertreter (§ 34 AO 1977) oder Verfügungsbefugte (§ 35 AO 1977) regelmäßig nicht auf das Fehlen von Mitteln zur Tilgung von Steuerrückständen berufen, wenn dieses Fehlen seine Ursache in Vorausabtretungen an andere Gläubiger hat.

Wurden aber - wie ausgeführt - die Pflichten des Klägers durch die den Sicherungsnehmern oder Vorbehaltseigentümern eingeräumte Beanspruchung der Verwertungserlöse nicht berührt, so kommt es im Haftungsfall (vgl. hierzu unter Ziff. 2) nicht darauf an, in welchem zeitlichen oder betragsmäßigen Umfang eine solche hier vorgenommen wurde. Die von dem Kläger in dieser Hinsicht vermißte Sachaufklärung und das Unterbleiben der beantragten Beweiserhebung stellen keinen Verfahrensmangel dar, weil die Frage nicht entscheidungserheblich ist und die Vorentscheidung daher auf den gerügten Mängeln nicht beruhen kann (vgl. § 118 Abs. 1 Satz 1 FGO).

2. Der Kläger war, wie das FG zu Recht entschieden hat, ab Mai 1971, dem Tag seiner Bestellung als Treuhänder der KG und Sachwalter der Vergleichsgläubiger (§ 91 Abs. 1 VerglO), Verfügungsberechtigter i. S. von § 35 AO 1977 und hatte damit die Pflichten eines gesetzlichen Vertreters (Geschäftsführers) nach § 34 Abs. 1 AO 1977. Denn er war infolge des Notarvertrages vom Mai 1971 berechtigt, über das Anlage- und Umlaufvermögen der KG - wenn auch mit einer gewissen Zweckbindung der Verwertungserlöse zugunsten der Vergleichsgläubiger - zu verfügen und alle hierzu erforderlichen Maßnahmen zu treffen (vgl. Bley/Mohrbutter, VerglO, Großkommentar, 4. Aufl., Tz. 6 zu § 91 und Tz. 4 zu § 92), wenngleich im Namen und für Rechnung der KG (§§ 164 ff. des Bürgerlichen Gesetzbuches - BGB -). Durch die ihm übertragene Verfügungsbefugnis (§ 185 BGB) ging die Stellung des Klägers über diejenige eines gewöhnlichen Sachwalters i. S. von § 91 VerglO, der regelmäßig nur Überwachungsfunktionen hat, hinaus. Es handelte sich um eine besonders ausgestaltete Sachwaltertätigkeit i. S. von § 92 Abs. 4 VerglO (vgl. auch § 91 Abs. 2 Satz 2 VerglO). Die KG hatte sich mit der Übertragung der Verfügungsbefugnis auf den Kläger in dem Notarvertrag ihrer eigenen Verfügungsbefugnis über das Anlage- und Umlaufvermögen begeben.

Auf das Urteil des Niedersächsischen FG in EFG 1982, 386 kann sich der Kläger aus mehrfachen Gründen nicht zu Recht berufen. Zum einen betrifft dieses Urteil nicht die Haftung des Verfügungsberechtigten nach § 35 AO 1977 für Umsatzsteuerschulden, sondern diejenige des Sachwalters (nach § 92 Abs. 1 VerglO) für Lohnsteuerschulden. Zum anderen und vor allem war das FG in dem diesem Urteil zugrundeliegenden Fall davon ausgegangen, daß der Vergleichsschuldner uneingeschränkt verfügungsbefugt geblieben, die Verfügungsbefugnis also nicht auf den Sachwalter übergegangen war. Insofern liegt der dort entschiedene Fall in einem entscheidungserheblichen Punkt anders als der hier vorliegende.

3. Zutreffend hat das FG weiter entschieden, daß der Kläger auch als Verfügungsberechtigter im Rechtsverkehr aufgetreten ist. Ein solches Auftreten liegt bereits darin, daß der Kläger zufolge der revisionsrechtlich verbindlichen Feststellungen des FG (§ 118 Abs. 2 FGO) die Tilgung der Verbindlichkeiten der KG an die Vergleichsgläubiger durch eigene Auszahlungsanordnungen (Unterzeichnung von Überweisungen usw.) vorgenommen hat. Ein besonderes Auftreten als Verfügungsberechtigter dem FA gegenüber ist nach herrschender Meinung nicht erforderlich (vgl. Tipke/Kruse, a. a. O., Tz. 3 zu § 35 AO 1977 mit Hinweisen). Im übrigen ist zu dem Vorbringen des Klägers, gegenüber dem FA sei jahrelang unbeanstandet der Geschäftsführer der KG aufgetreten, darauf hinzuweisen, daß der Kläger erstmals für den Voranmeldungszeitraum Oktober 1978 als Haftungsschuldner in Anspruch genommen wird, also nicht für vorangegangene Vorauszahlungszeiträume, obwohl in diesen erhebliche Umsatzsteuerrückstände der KG aufgelaufen waren.

4. Die ab Mai 1971 hinsichtlich des Anlage- und Umlaufvermögens getätigten Umsätze waren solche der KG. Denn diese Umsätze wurden zufolge des Notarvertrages im Namen und für Rechnung der KG bewirkt. Der Kläger handelte insoweit in rechtlicher und wirtschaftlicher Hinsicht mit Wirkung für den Vergleichsschuldner, die KG. Steuerschuldner der durch die Veräußerungsgeschäfte entstandenen Umsatzsteuer war mithin die KG. Der erkennende Senat schließt sich insoweit dem Urteil des BFH vom 18. Mai 1988 X R 27/80 (BFHE 153, 299) ohne Einschränkung an.

Daß die in Frage stehenden Umsätze der KG - als Steuerschuldner (§ 13 Abs. 2 des Umsatzsteuergesetzes - UStG - 1967 bzw. 1973) - zuzurechnen sind, ist ohne Einfluß auf die Stellung des Klägers als Verfügungsberechtigter nach § 35 AO 1977. Denn die Vorschrift schließt ausdrücklich auch das Auftreten ,,im fremden Namen" in ihren Geltungsbereich ein.

5. Der Kläger hat seine steuerlichen Pflichten als Verfügungsberechtigter (§ 35 i. V. m. § 34 Abs. 1 AO 1977) auch grob fahrlässig i. S. von § 69 Satz 1 AO 1977 verletzt. Denn spätestens nach Erhalt des finanzamtlichen Schreibens vom Oktober 1978 (und nicht erst desjenigen vom Dezember 1978) war ihm bekannt, daß der Geschäftsführer der KG deren steuerliche Pflichten nicht ordnungsgemäß erfüllte und das FA ihn als Haftungsschuldner in Anspruch zu nehmen beabsichtigte. Das Schreiben des FA ist in diesem Punkt jedenfalls eindeutig. Daß das FA zunächst eine Haftung als Vermögensverwalter (§ 34 Abs. 3 AO 1977) in Betracht gezogen hat, ist nicht maßgebend; dies um so weniger, als die Tätigkeit des Vermögensverwalters und diejenige des Verfügungsberechtigten die Haftung gleichermaßen begründen können.

Der Kläger hätte daher jedenfalls für die Tilgung der ab Oktober 1978 bis einschließlich Januar 1979 - dem vom FG angesetzten Haftungszeitraum - fällig gewordenen Umsatzsteuervorauszahlungen in anteiliger, d. h. in etwa der Befriedigungsquote anderer Verbindlichkeiten entsprechender Höhe (vgl. Urteil des BFH in BFHE 150, 312, BStBl II 1988, 172) Sorge tragen müssen. Das gilt um so mehr, als er nach den Feststellungen des FG über die Bank- und Postscheckkonten der KG allein verfügungsberechtigt war. Dies hat er unterlassen.

Dem Umstand, daß die KG im Haftungszeitraum nicht mehr in der Lage gewesen ist, die Umsatzsteuervorauszahlungen in vollem Umfang zu erbringen, hat das FG mit einer in vertretbarer Weise ermittelten Haftungsquote von 33 v. H. und der sich hieraus ergebenden Haftungssumme von . . . DM ausreichend Rechnung getragen.

 

Fundstellen

BFH/NV 1989, 139

ZIP 1989, 657

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