Entscheidungsstichwort (Thema)

Nachprüfungsvorbehalt; Fahrten zwischen Wohnung und Betriebsstätte

 

Leitsatz (NV)

1. Auch bei mehrfachen Änderungen eines Steuerbescheides bleibt der einmal ausgesprochene Nachprüfungsvorbehalt i. d. R. - d. h., sofern nicht nach § 164 Abs. 4 Satz 1 AO 1977 Festsetzungsverjährung eingetreten ist - solange wirksam, bis er ausdrücklich aufgehoben wird.

2. Die für einen ESt-Bescheid ausgesprochene Aufhebung des Nachprüfungsvorbehalts gilt - trotz § 35 b GewStG - nicht ,,automatisch" auch für den GewSt-Meßbescheid des gleichen Veranlagungszeitraumes.

3. Der Aufwand für Fahrten zwischen einer Wohnung mit häuslichem Arbeitszimmer und einer Betriebsstätte führt grundsätzlich nur in den Grenzen des § 4 Abs. 5 Satz 1 Nr. 6 EStG zur Minderung des Gewerbeertrages nach § 7 GewStG.

 

Normenkette

AO 1977 § 164; EStG § 4 Abs. 5 S. 1 Nr. 6; GewStG §§ 7, 35b

 

Verfahrensgang

FG Köln

 

Tatbestand

Der Kläger und Revisionsbeklagte (Kläger), der seit 1971 in B. eine Lichtpaus-/Fotokopieranstalt und Kleindruckerei betreibt, bewohnte im Streitjahr eine Mietwohnung in A. Dort hatte er einen von zwei Kellerräumen als Arbeitszimmer hergerichtet. Unter der Wohnanschrift war (als ,,Sitz der Geschäftsleitung") auch der Gewerbebetrieb gemeldet.

Das häusliche Arbeitszimmer ist vom Beklagten und Revisionskläger (dem Finanzamt - FA -) schließlich im Klageverfahren neben den Druckereiräumen in B. als weitere Betriebsstätte i. S. des § 12 AO 1977 anerkannt worden. Einigkeit erzielten die Beteiligten auch darin, daß der Kläger das Arbeitszimmer in A. tatsächlich für Büroarbeiten genutzt hat. Streitig aber blieb der Umfang der Nutzung.

Der Kläger fuhr in den Streitjahren an jedem Werktag, einschließlich der Samstage, morgens mit seinem privaten Pkw von seinem Wohnort zum Betrieb nach B. und abends zurück. Die dadurch entstandenen Kosten behandelte er bei der Ermittlung des Gewinns und des Gewerbeertrags für 1976 in vollem Umfang als Betriebsausgaben.

Das FA übernahm die erklärten Besteuerungsgrundlagen und erließ am 9. Mai 1979 unter dem Vorbehalt der Nachprüfung (§ 164 Abs. 1 AO 1977) einen entsprechenden Gewerbesteuermeßbescheid.

Unter Berufung auf § 35 b GewStG und ohne weiteren Zusatz erging am 4. Oktober 1979 ein erster Änderungsbescheid.

Im Anschluß an eine Außenprüfung vertrat das FA zunächst die Ansicht, der Kläger unterhalte eine Betriebsstätte nur in B. und nicht außerdem noch in A., sei also nur zum beschränkten Abzug von Betriebsausgaben berechtigt. Unter Berufung auf § 173 Abs. 1 Nr. 1 AO 1977 änderte das FA am 15. September 1983 die Einkommensteuerveranlagung entsprechend ab.

Wegen der Minderung der abzugsfähigen Betriebsausgaben hatte das FA zuvor schon, am 7. September 1983, den Gewerbesteuermeßbescheid für 1976 vom 4. Oktober 1979 abermals geändert, und zwar wiederum unter Berufung auf § 35 b GewStG und ohne weitere Erläuterung.

Mit dem dagegen eingelegten Einspruch erzielte der Kläger - ebenso wie in der Einkommensteuersache 1976 - nur einen Teilerfolg, u. a. deswegen, weil eine geringere Kilometer-Entfernung zugrunde gelegt wurde. Auch die Einspruchsentscheidung vom 17. September 1984, die wegen der Änderungen nur auf die Einspruchsentscheidung in der Einkommensteuersache verweist, äußert sich nicht zum Vorbehalt der Nachprüfung.

Im anschließenden, u. a. den Einkommensteuer- und den Gewerbesteuermeßbescheid 1976 betreffenden Klageverfahren erkannte das FA das häusliche Arbeitszimmer als zweite Betriebsstätte des Klägers an, sah infolgedessen in der Einkommensteuersache keine Rechtsgrundlage mehr für den Erlaß eines Änderungsbescheids und sagte dessen Aufhebung zu. Insoweit wurde daraufhin der Rechtsstreit in der Hauptsache für erledigt erklärt.

An dem Gewerbesteuermeßbescheid vom 7. September 1983 dagegen (in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 17. September 1984) hielt das FA weiterhin fest, indem es seine Änderungsbefugnis nunmehr aus § 164 Abs. 2 AO 1977 herleitete.

Die gegen diesen Bescheid gerichtete Klage hatte Erfolg und führte in dem in den Entscheidungen der Finanzgerichte (EFG) 1987, 276 veröffentlichten Urteil des Finanzgerichts (FG) zur Aufhebung des angefochtenen Bescheids.

Mit der Revision rügt das FA Verletzung des § 164 AO 1977: Der im ersten Bescheid vom 9. Mai 1979 ausgesprochene Vorbehalt der Nachprüfung habe mangels ausdrücklicher Aufhebung fortgegolten. Die Änderung rechtfertige sich daher aus § 164 Abs. 2 AO 1977.

Das FA beantragt, das FG-Urteil aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Der Kläger beantragt, die Revision als unbegründet zurückzuweisen.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision ist begründet. Sie führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und zur Abweisung der Klage (§ 126 Abs. 3 Nr. 1 der Finanzgerichtsordnung - FGO -). Zu Unrecht hat das FG die Befugnis des FA zur Änderung verneint. Auch seinem Inhalt nach ist der angefochtene Änderungsbescheid rechtmäßig.

I. Das FA war berechtigt, den Änderungsbescheid vom 7. September 1983 zu erlassen.

Das FA war aufgrund von § 164 Abs. 2 AO 1977 befugt, den Bescheid zu ändern. Es kann daher dahinstehen, ob auch die Änderungsvoraussetzungen des § 173 Abs. 1 Nr. 1 AO 1977 vorliegen.

Nach der auf den Streitfall generell anwendbaren Vorschrift des § 164 Abs. 2 AO 1977 (vgl. § 415 Abs. 1 AO 1977 i. V. m. Art. 97 § 9 EGAO 1977 vom 14. Dezember 1976, BGBl I 1976, 3341) kann die Steuerfestsetzung oder die Meßbetragsfestsetzung (§ 184 Abs. 1 Satz 3 AO 1977) aufgehoben oder geändert werden, solange ein gemäß § 164 Abs. 1 Satz 1 AO 1977 ausgesprochener Vorbehalt der Nachprüfung wirksam bleibt.

Das aber ist - mit Ausnahme des Ablaufs der Festsetzungsfrist (§ 164 Abs. 4 Satz 1 AO 1977) - solange der Fall, bis der Vorbehalt ausdrücklich aufgehoben wird (so schon zum entsprechenden Problem nach altem Recht: Urteil des BFH vom 23. Januar 1964 IV 168/61 S, BFHE 79, 559, BStBl III 1964, 436 unter Berufung auf das Urteil des RFH vom 17. April 1934 I A 290/33, RStBl 1934, 595; vgl. zum neuen Recht BFH-Urteile vom 1. August 1984 V R 91/83, BFHE 141, 492, BStBl II 1984, 788, 789; vom 16. Oktober 1984 VIII R 162/80, BFHE 143, 299, BStBl II 1985, 448, und vom 20. Januar 1987 IX R 49/82, BFH/NV 1987, 433, 436; Tipke/Kruse, AO/FGO u. a., § 164 AO 1977 Tz. 5; vgl. zum entsprechenden Problem bei § 165 AO 1977 BFH-Urteil vom 9. September 1988 III R 191/84, BFHE 154, 430, BStBl II 1989, 9).

Aus dem Charakter des Vorbehalts als einer unselbständigen Nebenbestimmung zum Steuerbescheid oder zum Meßbescheid (vgl. dazu BFH-Urteil vom 30. Oktober 1980 IV R 168-170/79, BFHE 132, 5, BStBl II 1981, 150, und Tipke/Kruse, a.a.O., jeweils m.w.N.) und der Gleichsetzung der Aufhebung des Vorbehalts mit einer Steuerfestsetzung ohne Vorbehalt (§ 164 Abs. 3 Satz 2 AO 1977) folgt, daß der Vorbehalt auch dann bestehenbleibt, wenn er im Falle einer Änderung des ursprünglichen Bescheids durch eine Einspruchsentscheidung oder einen weiteren Bescheid nicht (was klarstellungshalber sicherlich zweckmäßig wäre) ausdrücklich wiederholt wird (Urteile in BFHE 141, 492, BStBl II 1984, 788 und in BFHE 143, 299, BStBl II 1985, 448).

Dem steht auch nicht entgegen, daß der Vorbehalt der Nachprüfung beim Einkommensteuerbescheid für das Streitjahr ausdrücklich aufgehoben wurde: Der Gewerbesteuermeßbescheid für den gleichen Zeitraum nämlich enthält - trotz § 35 b GewStG, der nur als Vereinfachungsregelung anzusehen ist - hinsichtlich der Ermittlung des Gewerbeertrags im Verhältnis zum Einkommensteuerbescheid eine selbständige Regelung (vgl. BFH-Entscheidungen vom 17. Dezember 1969 I 252/64, BFHE 98, 152, BStBl II 1970, 257, 262 zu Ziff. 7, und vom 24. Oktober 1979 I S 8/79, BFHE 129, 11, BStBl II 1980, 104; ferner Glanegger/Güroff, GewStG, Kommentar, 1988, § 35 b Anm. 1 und Anm. 2).

Das FG übersieht in diesem Zusammenhang, daß der Beschluß des Großen Senats des BFH vom 25. Oktober 1972 GrS 1/72 (BFHE 108, 1, BStBl II 1973, 231) gegen seine Auffassung spricht: Da der Änderungsbescheid den Regelungsgehalt des ursprünglichen Bescheids in sich aufnimmt, wird der Vorbehalt der Nachprüfung - als unselbständige Nebenbestimmung - auch ohne ausdrückliche Wiederholung zum Gegenstand der Neuregelung.

II. Auch inhaltlich steht der angefochtene Gewerbesteuermeßbescheid (in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 17. September 1984) im Einklang mit den einschlägigen gesetzlichen Vorschriften.

1. Maßgeblich für diese rechtliche Würdigung sind die vom FG in der Parallelsache II K 142/84 (Revisionssache X R 15/87) festgestellten Tatsachen, auf welche die Vorentscheidung ausdrücklich Bezug nimmt (zur Zulässigkeit solcher Verweisungen vgl. Gräber, FGO, 2. Aufl., § 105 Rz. 20 f. und § 119 Rz. 23, m.w.N.).

2. Zu Recht hat das FA den geltend gemachten Aufwand nur in den Grenzen des § 4 Abs. 5 Satz 1 Nr. 6 EStG zum Betriebsausgabenabzug und zur Minderung des Gewerbeertrags nach § 7 GewStG zugelassen, weil die Fahrten des Klägers als Fahrten zwischen Wohnung und Betriebsstätte und nicht als solche zwischen zwei Betriebsstätten anzusehen sind.

Wegen der Einzelheiten der Begründung verweist der Senat auf sein Urteil X R 15/87 vom heutigen Tage (BFHE 155, 353, BStBl II 1989, 421) . . .

 

Fundstellen

Haufe-Index 416161

BFH/NV 1989, 663

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