Entscheidungsstichwort (Thema)

Keine Befangenheit durch Setzen einer Ausschlußfrist

 

Leitsatz (NV)

Die Besorgnis der Befangenheit eines Richters ist nicht gegeben, wenn dieser einem Steuerpflichtigen, der sich mit seiner Klage gegen Schätzungsbescheide des FA wendet, eine Ausschlußfrist gemäß §79 b FGO zur Vorlage bestimmter Buchhaltungsunterlagen setzt. Eine solche Besorgnis ist auch nicht deshalb gegeben, wenn der Richter den Kläger zur unmittelbaren Vorlage der Unterlagen beim FA auffordert.

 

Normenkette

FGO § 51 Abs. 1 S. 1, § 79b; ZPO § 42

 

Tatbestand

Die Klägerin und Beschwerdeführerin (Klägerin) klagt vor dem Finanzgericht (FG) u. a. gegen für die Streitjahre 1989 bis 1992 ergangene Körperschaftsteuer- und Umsatzsteuerbescheide des Beklagten und Beschwerdegegners (Finanzamt -- FA --). Die Besteuerungsgrundlagen hatte das FA geschätzt.

Der Berichterstatter, Richter am FG Dr. A, setzte der Klägerin -- nach zweimaliger vorheriger Aufforderung -- Ausschlußfristen gemäß §62 Abs. 3 Satz 3 der Finanzgerichtsordnung (FGO) zur Vorlage der Prozeßvollmacht sowie gemäß §65 Abs. 2 Satz 2 FGO zur Bezeichnung des Klage begehrens. Daraufhin wurde die Vollmacht fristgerecht vorgelegt. Gleichermaßen wurde die Klage wegen Umsatzsteuer begründet und beziffert. Hinsichtlich der Körperschaftsteuerbescheide behauptete die Klägerin, keine endgültigen Steuererklärungen fertigen zu können, weil die Steuerfahndungsbehörden hierfür benötigte wesent liche Unterlagen beschlagnahmt hätten. Die Klägerin und das FA verständigten sich deshalb darauf, daß zunächst Veranlagungen unter dem Vorbehalt der Nachprüfung durchgeführt werden sollten. Anschließend teilte das FA jedoch mit, solche Veranlagungen nicht durchführen zu können, weil die eingereichten vorläufigen Bilanzen und Jahresabschlüsse nicht den Anforderungen der §§238 ff. des Handelsgesetzbuches (HGB) entsprächen.

Daraufhin forderte Richter am FG Dr. A die Klägerin auf, dem FA die einschlägigen Unterlagen vorzulegen. Weil die Klägerin hierauf nicht reagierte, setzte er sodann eine Ausschlußfrist gemäß §79 b FGO zur Vorlage von Sachkonten, Journalen, Kassenbüchern, Kassenbelegen usw. Die Unterlagen sollten unmittelbar beim FA vorgelegt werden.

Die Klägerin lehnt Richter am FG Dr. A wegen Besorgnis der Befangenheit ab. Er habe sich durch die ihr gesetzte Ausschlußfrist gemäß §79 b FGO zum Werkzeug des FA gemacht.

Richter am FG Dr. A hat sich dienstlich zu diesem Ablehnungsgesuch geäußert. Er hält sich nicht für befangen. Auch das FG hält das Gesuch für nicht begründet. Es liege kein Anlaß vor, der geeignet sei, Mißtrauen gegen die Unparteilichkeit von Richter am FG Dr. A zu rechtfertigen. Gemäß §76 Abs. 1 FGO erforsche das FG den Sachverhalt von Amts wegen und könne in diesem Zusammenhang die Vorlage von Büchern, Aufzeichnungen, Geschäftspapieren und anderen Urkunden zur Einsicht und Prüfung an Amtsstelle verlangen. Da auch das FA gemäß §78 Abs. 1 FGO berechtigt sei, in die dem Gericht vorgelegten Akten Einsicht zu nehmen, erscheine es unbedenklich, wenn Richter am FG Dr. A die Klägerin aufgefordert habe, die angeforderten Unterlagen direkt dem FA vorzulegen. Sofern die Klägerin annehme, Richter am FG Dr. A habe einen Rechtsverstoß begangen, sei sie auf die allgemeinen Rechtsmittel zu verweisen. Das Befangenheitsgesuch sei in derartigen Fällen allenfalls dann einschlägig, wenn Gründe dafür sprächen, daß die mögliche Fehlerhaftigkeit auf einer unsachlichen Einstellung des Richters gegenüber der ablehnenden Partei oder auf Willkür beruhe. Dafür sei vorliegend nichts dargetan.

Die Klägerin hat gegen den Beschluß des FG Beschwerde eingelegt, der nicht abgeholfen wurde. Sie beantragt zudem Vorlage sämtlicher Akten durch das FA und anschließend Akteneinsicht durch ihren Prozeßbevollmächtigten. Das FG habe auf der Basis des falschen Vortrages des FA entschieden. Ihr sei keine angemessene Frist zur Stellungnahme zur dienstlichen Äußerung von Richter am FG Dr. A vom 17. Oktober 1996 gewährt worden. Diese sei erst am 18. Oktober 1996 abgesandt worden; das FG habe am 28. Oktober 1996 entschieden. Ihr seien außerdem die Gerichtsakten, die Zählkarten 1996 und die Liste über die Vergabe der Aktenzeichen für 1996 beim FG vorzulegen. Da beim Hessischen FG die Zählkarten für die Bestimmung des Berichterstatters (Einzelrichters) maßgeblich seien, entscheide bei gleichzeitigem Eingang mehrerer Sachen letztlich die Poststelle des FG, wer Berichterstatter werde. Damit beruhe die Bestimmung des Berichterstatters auf dem Zufallsprinzip.

Der Prozeßbevollmächtigte der Klägerin hat Akteneinsicht genommen. Die angeforderten Unterlagen wurden ihm übersandt.

 

Entscheidungsgründe

Die Beschwerde bleibt ohne Erfolg.

Das FG hat die Ablehnungsgesuche zu Recht zurückgewiesen.

Nach §51 Abs. 1 Satz 1 FGO i. V. m. §42 der Zivilprozeßordnung (ZPO) kann ein Richter wegen Besorgnis der Befangenheit abgelehnt werden, wenn ein Grund vorliegt, der geeignet ist, Mißtrauen gegen die Unparteilichkeit des Richters zu rechtfertigen. Ein derartiger Grund ist gegeben, wenn ein Beteiligter von seinem Standpunkt aus, jedoch nach Maßgabe einer vernünftigen, objektiven Betrachtung, davon ausgehen kann, der Richter werde nicht unvoreingenommen entscheiden. Unerheblich ist, ob ein solcher Grund wirklich vorliegt (ständige Rechtsprechung; vgl. Beschluß des Bundesfinanzhofs -- BFH -- vom 4. Juli 1985 V B 3/85, BFHE 144, 144, BStBl II 1985, 555).

Wird die Befangenheit aus Verfahrensfehlern hergeleitet, so müssen zusätzliche Anhaltspunkte vorliegen, die dafür sprechen, daß das Fehlverhalten aus der Sicht des Beteiligten auf einer unsachlichen Einstellung des Richters beruht. Die Besorgnis der Befangenheit kann deshalb nur dann gerechtfertigt sein, wenn die verfahrensrechtlichen Entscheidungen unter Berücksichtigung der Prozeßlage bei einer Gesamtschau der für das Ablehnungsgesuch vorgetragenen Gründe (Verfahrensverstöße und sonstige Verhaltensweisen) auch für einen objektiven Dritten nicht mehr nachvollziehbar sind (vgl. hierzu BFH-Beschluß vom 21. November 1991 VII B 53--54/91, BFH/NV 1992, 526).

Der Ablehnungsgrund muß weiter substantiiert dargelegt werden (vgl. Gräber/Koch, Finanzgerichtsordnung, 2. Aufl., §51 Rdnr. 23, m. w. N.). Es müssen also Tatsachen vorgetragen werden, die bei objektiver Betrachtung die Besorgnis rechtfertigen könnten, der Richter werde nicht unvoreingenommen entscheiden. Diese Tatsachen sind schließlich nach §51 Abs. 1 Satz 1 FGO i. V. m. §44 Abs. 2 ZPO glaubhaft zu machen (siehe z. B. BFH-Beschlüsse vom 8. Mai 1992 III S 3/92, BFH/NV 1993, 108, und vom 11. August 1992 III S 21/92, BFH/NV 1993, 183).

Diesen Anforderungen hat das Ablehnungsgesuch der Klägerin gegen Richter am FG Dr. A nicht genügt. Die der Klägerin von diesem gesetzte Ausschlußfrist ist nicht geeignet, den Vorwurf der Unvoreingenommenheit zu rechtfertigen. Nach §79 Abs. 1 FGO hat der Berichterstatter vor der mündlichen Verhandlung alle Anordnungen zu treffen, die notwendig sind, um den Rechtsstreit möglichst in einer mündlichen Verhandlung zu erledigen. Dazu gehört auch, daß er versucht, bei der Vorbereitung der mündlichen Verhandlung aufgetretene Fragen zu klären, und den Kläger auffordert, dem Gericht bestimmte Unterlagen vorzulegen. Gelangt der Berichterstatter dabei zu der Erkenntnis, es sei im Einzelfall sachgerecht, wenn eine solche Aufforderung -- wohl aus Gründen der beschleunigten verfahrensmäßigen Abwicklung -- darauf gerichtet ist, die fraglichen Unterlagen unmittelbar dem beklagten FA vorzulegen, so mag dies ungewöhnlich sein. Ein solches Vorgehen rechtfertigt gleichwohl nicht die Besorgnis der Befangenheit. Der Richter macht sich durch eine derartige Aufforderung nicht "zum Werkzeug" des FA und gibt auch nicht zu erkennen, daß er dem Kläger gegenüber eine unsachliche Einstellung hätte.

Das von der Klägerin beanstandete Verhalten des Richters am FG Dr. A kann damit bei objektiver Beurteilung nicht Anlaß geben, an der Unvoreingenommenheit des Berichterstatters zu zweifeln. Dies hat das FG allein unter Berücksichtigung des festgestellten, der Klägerin bekannten Verfahrensablaufs richtig entschieden. Etwaige Tatsachen aus der der Klägerin nach deren Annahme verspätet mitgeteilten dienstlichen Äußerung des Richters am FG Dr. A hat das FG nicht verwertet. Der der Klägerin zustehende Anspruch auf rechtliches Gehör ist deshalb auch dann nicht verletzt, wenn deren Annahme zuträfe (z. B. BFH- Beschluß vom 12. Juli 1991 III B 151/87, BFH/NV 1992, 122).

Die Einwendungen der Klägerin gegen die Art und Weise der Bestimmung des Berichterstatters haben keinen sachlichen Bezug zu §42 ZPO.

 

Fundstellen

Haufe-Index 66799

BFH/NV 1998, 34

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