Leitsatz (amtlich)

1. Der gegenüber dem Inhaber der Einfuhrlizenz auszusprechende Widerruf einer in der Form der Genehmigung zur abschöpfungsfreien Einfuhr von Getreide gewährten Erstattung bewirkt, daß für die zuvor eingeführte Ware die Abschöpfungsschuld entsteht. Die Verjährung dieser Abschöpfungsschuld beginnt mit Ablauf des Kalenderjahres, in dem der Erstattungswiderruf wirksam geworden ist.

2. Zu den Voraussetzungen, unter denen eine zu Unrecht gewährte Erstattung dieser Art widerrufen werden kann, wenn Inhaber der Einfuhrlizenz und Erstattungsberechtigter verschiedene Personen sind.

 

Normenkette

EWGV 91/62 Art. 3; EWGV 92/62 Art. 2; ErstVOGetr: § 4 Abs. 2; AO § 145 Abs. 1

 

Tatbestand

I.

Die Antragstellerin hatte in den Jahren 1963 und 1964 aufgrund der ihr erteilten Einfuhrgenehmigungen 349 216 kg Weizen ohne Entrichtung einer Abschöpfung aus Drittländern eingeführt. In den Einfuhrlizenzen war von der Einfuhr- und Vorratsstelle für Getreide und Futtermittel (EVSt Getr) als Erstattung für die Ausfuhr von Getreideerzeugnissen, welche die Firma A zuvor getätigt hatte, die abschöpfungsfreie Einfuhr des Weizens genehmigt worden. Später ergab sich infolge einer im August 1966 bei der Fa. A vorgenommenen Marktordnungsprüfung der Verdacht, daß die von ihr ausgeführten Waren falsch deklariert worden seien und die Voraussetzungen für die Erstattung nicht vorgelegen hätten. Aufgrund der daraufhin durchgeführten weiteren Ermittlungen widerrief die EVSt Getr durch Bescheid vom 12. Dezember 1967 gegenüber der Fa. A die Erstattung bezüglich einer Vielzahl von Auslieferungen. Dazu gehörten u. a. auch diejenigen Sendungen, welche den der Antragstellerin erteilten Genehmigungen zur abschöpfungsfreien Einfuhr von Weizen zugrunde lagen. Zugleich erließen die Zollbehörden gegen verschiedene Personen, denen sie in diesem Zusammenhang die Hinterziehung von Abschöpfungen vorwerfen, Abschöpfungs- und Abschöpfungshaftungsbescheide.

Durch Bescheid vom 12. März 1970 widerrief die EVSt Getr die gewährte Abschöpfungsfreiheit auch der Antragstellerin gegenüber.

Die Antragstellerin erhob gegen den Widerrufsbescheid der EVSt Getr Einspruch und beantragte außerdem, die Vollziehung dieses Verwaltungsaktes ohne Sicherheitsleistung auszusetzen.

Das Finanzgericht (FG) hat diesem Antrag durch Beschluß vom 7. Juli 1971 entsprochen. Nach seiner Ansicht bestehen ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angefochtenen Widerrufsbescheids, weil die Abschöpfungsnachforderungen gegen die Antragstellerin, sofern es sich nicht um hinterzogene Beträge handle, verjährt seien.

Mit der gegen diesen Beschluß erhobene Beschwerde macht die EVStGetr geltend, daß die Auffassung des FG im Widerspruch zur Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs (BFH) stehe.

Die EVSt Getr beantragt, den Beschluß des FG aufzuheben und die Aussetzung der Vollziehung abzulehnen.

Die Antragstellerin beantragt, die Beschwerde als unbegründet zurückzuweisen.

 

Entscheidungsgründe

II.

Die Beschwerde hat keinen Erfolg.

Allerdings vermag der Senat der Auffassung des FG nicht zu folgen, daß die Abschöpfungsschulden der Antragstellerin insoweit, als es sich nicht um hinterzogene Beträge handle, verjährt seien und es aus diesem Grunde zweifelhaft sei, ob die ihr in den Einfuhrlizenzen erteilte Genehmigung zur abschöpfungsfreien Einfuhr widerrufen werden durfte.

Die Vorinstanz geht bei ihrer rechtlichen Beurteilung des Streitfalles davon aus, daß die Erstattung in der Form der Genehmigung zur abschöpfungsfreien Einfuhr von Getreide durch zwei selbständige Verwaltungsakte erfolge, nämlich die Gewährung der Erstattung an den Exporteur und die Vorausfixierung des sich daraus ergebenden Abschöpfungssatzes null in der Einfuhrlizenz des Importeurs. Diese Voraussetzung bilde einen Teil der Abschöpfungsfestsetzung und könne aus diesem Grund nur so lange geändert werden, als der Abschöpfungsanspruch nicht verjährt sei. Der Lauf der Verjährungsfrist werde durch den Widerruf der Erstattung gegenüber dem Exporteur ausgelöst, da dieser als rechtsgestaltender Verwaltungsakt den Abschöpfungsanspruch zur Entstehung bringe.

Diese Betrachtungsweise verkennt das Wesen der im Bereich der europäischen Getreidemarktordnung in der Form der Genehmigung der abschöpfungsfreien Einfuhr gewährten Erstattungen. Dieses Institut geht auf Art. 3 der Verordnung (EWG) Nr. 91/62 – VO (EWG) 91/62 – (Amtsblatt der Europäischen Gemeinschaften 1962 S. 1904 – ABlEG 1962, 1904 –) und Art. 2 VO (EWG) 92/62 (ABlEG 1962, 1906) zurück in denen bestimmt war, daß bei der Ausfuhr von Getreideverarbeitungserzeugnissen die Erstattung in der Form der Genehmigung zur abschöpfungsfreien Einfuhr einer bestimmten Menge des Grunderzeugnisses gewährt werden kann. In Übereinstimmung damit schrieb § 4 Abs. 2 der Fünften Verordnung zur Durchführung des Gesetzes zur Durchführung der Verordnung Nr. 19 (Getreide) des Rates der EWG (Erstattungsverordnung Getreide) vom 8. März 1963 – ErstVOGetr – (Bundesgesetzblatt I S. 149 – BGBl I 1963 149 –, BZBl 1963, 178) vor, daß Erstattungen für die Ausfuhr nach dritten Ländern in der Form gewährt werden, daß die abschöpfungsfreie Einfuhr von Getreide genehmigt wird. Aus der Fassung dieser Vorschriften ergibt sich, daß die in der Erstattung liegende Leistung nicht in der unmittelbaren Freistellung des betreffenden Getreides von der Abschöpfung bestand, sondern in der Erteilung einer Genehmigung, mittels deren der Betroffene das Recht erwarb, Getreide bestimmter Art und Menge abschöpfungsfrei einzuführen. Das bedeutet, daß Inhalt des mit der Ausfuhr von Getreideerzeugnissen erworbenen Erstattunsanspruchs das Recht war, die Genehmigung zur abschöpfungsfreien Einfuhr einer entsprechenden Menge Grunderzeugnisse zu verlangen und, wie der erkennende Senat wiederholt entschieden hat (vgl. Beschluß VII B 15/70 vom 20. April 1971, Sammlung der Entscheidungen des Bundesfinanzhofs Bd. 102 S. 1 – BFH 102, 1 –) erst durch diese, in der Einfuhrlizenz erteilte Genehmigung das weitere Recht – des Lizenznehmers – auf die Abschöpfungsfreiheit des Getreides begründet wurde. Dieses Recht zur abschöpfungsfreien Einfuhr bewirkte, daß bei der auf Grund der Lizenz vorgenommenen Abfertigung des Getreides zum freien Verkehr gemäß § 2 Abs. 1 AbG in Verbindung mit § 36 ZG keine Abschöpfung zu erheben war, die Zollstelle die Ware von dieser Abgabe freizustellen hatte und deshalb auch keine Abschöpfungsschuld entstehen konnte.

Weiter ergibt sich aus dem Gesagten, daß über die Erstattung nicht – wie das FG meint – durch zwei Verwaltungsakte entschieden wurde, von denen der eine, an den Ausführer gerichtete, die Erstattung gewährt und der andere, an den Einfuhrlizenznehmer ergehende, den Abschöpfungssatz für die einzuführende Ware auf null festgesetzt hätte. Denn da die Genehmigung zur abschöpfungsfreien Einfuhr den Inhalt der Erstattungsleistung bildete, war die Erteilung dieser Genehmigung mit der Gewährung der Erstattung identisch. Folglich wurde dadurch, daß die EVSt Getr in der Einfuhrlizenz die Genehmigung zur abschöpfungsfreien Einfuhr aussprach, dem Erstattungsanspruch des Ausführers entsprochen und blieb somit kein Raum für einen weiteren, denselben Erstattungsanspruch regelnden Verwaltungsakt.

Wenn nun in der Genehmigung zur abschöpfungsfreien Einfuhr der Akt der Erstattungsgewährung zu erblicken ist und durch sie, wie dargelegt, das Recht des Lizenznehmers auf die Abschöpfungsfreiheit des betreffenden Getreides begründet wurde, so stellt diese Genehmigung einen rechtsgestaltenden Verwaltungsakt dar und kann nicht, wie die auf Art. 17 Abs. 2 VO (EWG) 19/62 (ABlEG 1962, 933) beruhende Voraussetzung der Abschöpfung, als Teil der Abgabenfestsetzung beurteilt werden (vgl. Beschluß des BFH VII B 165/67 vom 22. November 1968, BFH 94, 472).

Aus diesen Gründen kann eine derartige Erstattung, wenn sie zu Unrecht gewährt worden ist, nur dadurch rückgängig gemacht werden, daß die dem Einfuhrlizenznehmer erteilte Genehmigung zur abschöpfungsfreien Einfuhr widerrufen wird, und zwar rückwirkend auf den Zeitpunkt der Einfuhr. Dieser Widerruf beseitigt die durch die Genehmigung begründete Abschöpfungsfreiheit der eingeführten Ware, was zur Folge hat, daß für sie bei der Abfertigung zum freien Verkehr Abschöpfung zu erheben gewesen wäre und ihre Freigabe ohne Abgabenerhebung deshalb § 2 AbG in Verbindung mit § 36 Abs. 3 ZG widerspricht. Auf Grund dessen entsteht für die Ware gemäß § 58 Abs. 1 Satz 1 ZG rückwirkend auf den Zeitpunkt ihrer bei der Abfertigung zum freien Verkehr erfolgten Freigabe die Abschöpfungsschuld. Der Widerruf ist also ebenso wie die Genehmigung zur abschöpfungsfreien Einfuhr ein rechtsgestaltender Verwaltungsakt.

Für den Streitfall bedeutet dies, daß der von der EVSt Getr durch Bescheid vom 12. Dezember 1967 an die Fa. A gerichtete Erstattungswiderruf insoweit als die Genehmigung zur abschöpfungsfreien Einfuhr von Getreide nicht dieser Firma, sondern der Antragstellerin erteilt worden war, keine Rechtswirkung zu erzeugen vermochte. Denn, wie der erkennende Senat ebenfalls wiederholt entschieden hat (vgl. Urteil VII R 101/68 vom 13. Juli 1971, BFH 103, 377, und VII R 9/69 vom 14. März 1972, BFH 105, 92), kann diese Genehmigung nur gegenüber der Person wirksam widerrufen werden, auf deren Namen sie erteilt wurde. Der Widerruf der Erstattung gegenüber der Antragstellerin als Inhaberin der Einfuhrlizenzen erfolgte aber erst durch den Bescheid der EVSt Getr vom 12. März 1970, weshalb auch erst in diesem Zeitpunkt die Abschöpfungsfreiheit für den betreffenden, in den Jahren 1963 und 1964 eingeführten Weizen (ex tunc) weggefallen ist und mit Ablauf des Jahres 1970 die Verjährung der dadurch begründeten Abschöpfungsansprüche begann (vgl. Beschluß des BFH VII B 15/70, a.a.O.).

Ergeben sich sonach unter dem Gesichtspunkt der Verjährung der durch den Erstattungswiderruf ausgelösten Abschöpfungsansprüche keine Bedenken gegen den angefochtenen Bescheid der EVSt Getr, so bestehen doch in anderer Hinsicht ernstliche Zweifel an seiner Rechtmäßigkeit. Sie beruhen darauf, daß die im Rahmen der EWG-Agrarmarktordnungen gewährten Erstattungen nicht frei widerrufen werden können, sondern daß dabei die im allgemeinen Verwaltungsrecht für den Widerruf begünstigender Verwaltungsakte entwickelten Grundsätze zu beachten sind. Ob im Streitfall die Erstattung gegenüber der Antragstellerin zu Recht widerrufen wurde, hängt demnach davon ab, ob ihr diese Leistung zu Unrecht gewährt worden war und wie ggf. das öffentliche Interesse an der Beseitigung dieses rechtswidrigen Zustandes gegenüber entgegenstehenden schutzwürdigen Interessen der Antragstellerin zu bewerten ist (vgl. Urteil des BFH VII R 22/69 vom 9. Mai 1972, BFH 106, 150). Bei einer summarischen Abwägung dieser beiderseitigen Interessen, wie sie im Verfahren der Vollziehungsaussetzung geboten ist, sprechen gewichtige Gründe zugunsten der Antragstellerin.

In tatsächlicher Hinsicht ist davon auszugehen, daß die Antragstellerin von dem Sachverhalt, den die EVSt Getr der Fa. A als Hinterziehung von Abschöpfungen vorwirft und auf den sie den angefochtenen Widerrufsbescheid stützt, keine Kenntnis hatte. Die Behörde ist nämlich ihrem diesbezüglichen Vorbringen nicht entgegengetreten und die bisherigen Ermittlungen der Zollbehörden haben offenbar auch keinen Anhaltspunkt in dieser Richtung ergeben.

Dieser Umstand allein würde freilich einem Widerruf der ihr gewährten Erstattungen kaum entgegenstehen. Denn die der Antragstellerin erteilten Genehmigungen zur abschöpfungsfreien Einfuhr von Weizen beruhten auf den Erstattungsanträgen, welche die Fa. A aufgrund der von ihr getätigten Ausfuhren von Getreideerzeugnissen gestellt hatte. Mängel, die den von dieser Firma geltend gemachten Erstattungsansprüchen anhafteten, wird sich deshalb auch die Antragstellerin als Empfängerin der Erstattungsleistungen entgegenhalten lassen müssen. Ebenso dürfte ein schuldhaftes Verhalten der Fa. A, welches Ursache für eine rechtswidrige Gewährung von Erstattungen war, dem Verantwortungsbereich der Antragstellerin zuzurechnen sein mit der Folge, daß sie insoweit keinen Vertrauensschutz beanspruchen kann (vgl. Urteil des BVerwG III C 219.64 vom 7. Juli 1966, Entscheidungen des Bundesverwaltungsgerichts Bd. 24 S. 295, 299).

Im Streitfall kommt indessen hinzu, daß die EVSt Getr, nachdem die gepflogenen Ermittlungen hinreichend fortgeschritten waren, gegenüber der Fa. A im Dezember 1967 den Widerruf der Erstattungen erklärte und die Zollbehörden verschiedene Personen als Haftende für die auf die Einfuhren der Antragstellerin entfallenden Abschöpfungen in Anspruch nahmen. Dagegen haben EVSt Getr und Zollbehörden gegenüber der Antragstellerin selbst keinerlei Maßnahmen ergriffen, um die an sie in Gestalt der Genehmigung zur abschöpfungsfreien Einfuhr gewährten Erstattungen rückgängig zu machen. Dies ist vielmehr erst im März 1970, also mehr als zwei Jahre später geschehen.

Ein derart langes Zuwarten der zuständigen Behörden war nach Ansicht des Senats geeignet, bei den Importeuren, denen aufgrund von Erstattungsanträgen der Fa. A die abschöpfungsfreie Einfuhr von Getreide genehmigt worden war, das Vertrauen zu erwecken und zu bestärken, daß sie nicht zur Rückgewähr der von ihnen erlangten Abschöpfungsvergünstigung herangezogen würden. Dieses Vertrauen erscheint im Hinblick darauf, daß es auf einem Verhalten der Verwaltung beruht, das erst nach Aufdeckung der Widerrufsgründe für die Erstattung liegt, in den Fällen auch schutzwürdig, in denen der betroffene Lizenznehmer von den Widerrufsgründen keine Kenntnis hatte. Davon ist aber, wie dargelegt, hinsichtlich der Person der Antragstellerin auszugehen.

Nach alldem ist es ernstlich zweifelhaft, ob die EVSt Getr die der Antragstellerin gewährten Erstattungen im März 1970 noch widerrufen durfte.

 

Fundstellen

Dokument-Index HI514621

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