Entscheidungsstichwort (Thema)
Beschwerde gegen Zurückweisung eines Ablehnungsgesuchs
Leitsatz (NV)
- Eine Partei kann einen Richter nicht mehr wegen Besorgnis der Befangenheit ablehnen, wenn sie sich bei ihm, ohne den ihr bekannten Ablehnungsgrund geltend zu machen, in eine Verhandlung eingelassen oder Anträge gestellt hat. Anträge in diesem Sinne sind auch Prozessanträge wie die Beantragung einer mündlichen Verhandlung nach Ergehen eines Gerichtsbescheids.
- Über ein Ablehnungsgesuch entscheidet das Gericht, dem der abgelehnte Richter angehört, grundsätzlich ohne dessen Mitwirkung. Der abgelehnte Richter wirkt jedoch ausnahmsweise dann bei der Entscheidung über das Ablehnungsgesuch mit, wenn dieses missbräuchlich ist. Dann bedarf es auch nicht seiner dienstlichen Äußerung. Gleich zu behandeln ist ein Ablehnungsgesuch, wenn es aus anderen Gründen offensichtlich unzulässig ist.
- Als Beschwerdegericht ist der BFH nicht gehindert, hinsichtlich des Ablehnungsgesuchs in der Sache selbst zu entscheiden.
Normenkette
FGO §§ 51, 128; ZPO §§ 42-43, 45, 47
Tatbestand
I. 1. Der Kläger, Antragsteller und Beschwerdeführer (Kläger) hat beim Finanzgericht (FG) Klage erhoben.
Das FG wies die Klage gemäß § 79a Abs. 2 und Abs. 4 der Finanz-gerichtsordnung (FGO) durch Gerichtsbescheid des Berichterstatters des zuständigen Senats B ab. Hierauf beantragte der Kläger mündliche Verhandlung. Aufgrund dessen wurde vom Vorsitzenden des zuständigen Senats Termin zur mündlichen Verhandlung angesetzt und dem Kläger und seinem Prozessbevollmächtigten die Ladung zugestellt. Darauf lehnte der Kläger B wegen Besorgnis der Befangenheit ab. Er wendet sich gegen den Inhalt des Gerichtsbescheids, rügt das Verhalten des Berichterstatters und Senats in anderen Verfahren und dass der Vorstand des Klägers erneut persönlich zur mündlichen Verhandlung geladen worden sei.
Das FG lehnte dieses Befangenheitsgesuch in seiner geschäftsplanmäßigen Besetzung (unter Mitwirkung des B) als unzulässig ab. Der Kläger habe sich durch die Beantragung der mündlichen Verhandlung nach Ergehen eines Gerichtsbescheids in eine Verhandlung eingelassen und Anträge gestellt. Er habe daher sein Ablehnungsrecht verloren.
2. Mit der Beschwerde verfolgt der Kläger sein Ablehnungsgesuch weiter. Er macht geltend, die Vorentscheidung sei im "Hauruckverfahren" ergangen. Der Senat sei auf die vorgetragenen Ablehnungsgründe nicht eingegangen, vielmehr habe er eine Formalie vorgeschoben. Bei der Beantragung der mündlichen Verhandlung habe es sich lediglich um einen formularmäßigen fristwahrenden Antrag ohne Begründung gehandelt. Daraus folge nach der Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs (BFH) kein Verlust des Ablehnungsrechts.
Verbunden mit der Beschwerde hat der Kläger beim FG ein Gesuch um Ablehnung des X als auch des Y, die an der Vorentscheidung mitgewirkt haben, angebracht.
Entscheidungsgründe
II. Die Beschwerde hat keinen Erfolg.
Auch unter Berücksichtigung des Beschwerdevorbringens ist dem Ablehnungsgesuch des Klägers nicht zu entsprechen.
1. Die Vorentscheidung des FG ist in der Sache nicht zu beanstanden.
Die Ablehnung eines Richters wegen Besorgnis der Befangenheit setzt einen Grund voraus, der geeignet ist, Misstrauen gegen die Unparteilichkeit des Richters zu rechtfertigen (§ 51 Abs. 1 Satz 1 FGO i.V.m. § 42 Abs. 1 und 2 der Zivilprozeßordnung ―ZPO―). Ein derartiger Grund liegt vor, wenn ein Beteiligter von seinem Standpunkt aus, jedoch nach Maßgabe einer vernünftigen, objektiven Betrachtung, davon ausgehen kann, der Richter werde nicht unvoreingenommen entscheiden (ständige Rechtsprechung, vgl. BFH-Beschlüsse vom 30. September 1998 XI B 22/98, BFH/NV 1999, 348; vom 4. Juli 1985 V B 3/85, BFHE 144, 144, BStBl II 1985, 555).
Allerdings kann eine Partei einen Richter wegen Besorgnis der Befangenheit nicht mehr ablehnen, wenn sie sich bei ihm, ohne den ihr bekannten Ablehnungsgrund geltend zu machen, in eine Verhandlung eingelassen oder Anträge gestellt hat (§ 51 Abs. 1 Satz 1 FGO i.V.m. § 43 ZPO).
"Anträge" in diesem Sinne sind neben Sachanträgen auch Prozessanträge wie im Streitfall die Beantragung einer mündlichen Verhandlung nach Ergehen eines Gerichtsbescheids (BFH-Beschluss vom 22. März 1994 X B 81/93, BFH/NV 1994, 498). Zweck des § 43 ZPO ist es, den möglicherweise zur Ablehnung Berechtigten zu veranlassen, sich sofort nach Kenntnis des Ablehnungsgrundes zu entscheiden, ob er sich auf diesen Grund berufen will. Es kann nicht in der Schwebe bleiben, ob ein Richter am Verfahren mitwirken darf oder nicht (BFH-Beschlüsse vom 21. Juli 1993 IX B 50/93, BFH/NV 1994, 50; vom 10. Juni 1998 IV B 114/97, BFH/NV 1999, 57; BFH-Urteil vom 4. April 1996 IV R 55/94, BFH/NV 1996, 801).
Dem Kläger waren die von ihm geltend gemachten Ablehnungsgründe bei Ergehen des Gerichtsbescheids bekannt. Durch seinen Antrag auf mündliche Verhandlung hat er sich rügelos in eine Verhandlung eingelassen. Er hat daher insoweit sein Ablehnungsrecht verloren.
Die zusätzliche Rüge des Klägers, das FG habe im laufenden Verfahren erneut den Vorstand des Klägers zur mündlichen Verhandlung geladen, vermag das Ablehnungsgesuch offensichtlich nicht zu rechtfertigen.
2. Allerdings entscheidet über das Ablehnungsgesuch das Gericht, dem der abgelehnte Richter angehört, grundsätzlich ohne dessen Mitwirkung (§ 51 Abs. 1 Satz 1 FGO i.V.m. §§ 45, 47 ZPO). Der abgelehnte Richter wirkt jedoch ausnahmsweise dann bei der Entscheidung über das Ablehnungsgesuch mit, wenn dieses missbräuchlich ist (BFH-Beschlüsse vom 30. August 1995 XI B 114/95, BFH/NV 1996, 225; vom 12. Februar 1998 VII B 219/97, BFH/NV 1998, 872; vom 9. September 1998 I B 47/98, BFH/NV 1999, 786; Gräber/Koch, Finanzgerichtsordnung, 4. Aufl., § 51 Anm. 55, m.w.N.). Dann bedarf es auch nicht der ―grundsätzlich gesetzlich vorgeschriebenen (§ 51 Abs. 1 Satz 1 FGO i.V.m. § 44 Abs. 3 ZPO)― dienstlichen Äußerung des abgelehnten Richters (BFH-Beschluss in BFH/NV 1998, 872; Gräber/Koch, a.a.O., § 51 Anm. 52, m.w.N.). Das Ablehnungsgesuch des Klägers ist nicht missbräuchlich. Gleich zu behandeln ist ein Ablehnungsgesuch jedoch, wenn es aus anderen Gründen "offensichtlich unzulässig" ist (BFH-Entscheidungen vom 2. Juli 1976 III R 24/74, BFHE 119, 227, BStBl II 1976, 627; vom 27. März 1992 VIII B 31/91, BFH/NV 1992, 619; vom 14. Juni 1991 VI B 6/91, BFH/NV 1991, 761; in BFH/NV 1996, 801; Beschluss des Bundesverfassungsgerichts ―BVerfG― vom 22. Februar 1960 2 BvR 36/60, BVerfGE 11, 1, 3).
Auch im Falle eines ―wegen rügeloser Beantragung mündlicher Verhandlung wie vorliegend― unzulässigen Ablehnungsgesuchs hat der BFH im Beschluss in BFH/NV 1994, 498 eine Entscheidung darüber in der geschäftsplanmäßigen Besetzung des Senats des FG nicht beanstandet. Der Senat kann offen lassen, ob er dem folgt, insbesondere ob er vorliegend eine "offensichtliche" Unzulässigkeit bejaht. Denn auch wenn die Vorentscheidung ohne Mitwirkung des abgelehnten B hätte ergehen müssen und folglich der Senat des FG bei der Entscheidung über das Ablehnungsgesuch nicht ordnungsgemäß besetzt war, hat die Beschwerde keinen Erfolg.
Als Beschwerdegericht ist der BFH ―trotz Mitwirkung eines kraft Gesetzes ausgeschlossenen Richters in der Vorinstanz― nicht gehindert, hinsichtlich des Ablehnungsgesuchs in der Sache selbst zu entscheiden (BFH-Beschlüsse vom 15. Oktober 1996 VII B 272/95, BFH/NV 1997, 357; vom 12. August 1997 VII B 73/97, BFH/NV 1998, 328; Gräber/Koch, a.a.O., § 51 Anm. 67). Vorliegend kann der Senat ohne weitere Sachverhaltsermittlungen und ohne dienstliche Stellungnahme des abgelehnten B entscheiden, da jedenfalls das Ablehnungsrecht des Klägers durch seinen Antrag auf mündliche Verhandlung entfallen ist. Er weist die Beschwerde daher als unbegründet zurück.
Fundstellen
Haufe-Index 424835 |
BFH/NV 2000, 1130 |