Leitsatz (amtlich)

Eine Erstattung der im Vorverfahren entstandenen Gebühren und Auslagen eines Bevollmächtigten oder Beistandes ist nach § 139 Abs. 3 Satz 3 FGO nicht möglich, wenn das gerichtliche Verfahren vor dem 1. Januar 1966 rechtskräftig abgeschlossen wurde.

 

Normenkette

FGO § 139 Abs. 1, 3 S. 3, § 143

 

Tatbestand

Der IV. Senat des BFH hat durch Beschluß IV B 5/66 vom 1. und 9. Dezember 1966 (BFH 87, 66) den Großen Senat des BFH zur Entscheidung folgender Rechtsfrage angerufen:

Ist eine Erstattung der im Vorverfahren entstandenen Gebühren und Auslagen des Bevollmächtigten möglich, wenn das gerichtliche Verfahren vor dem 1. Januar 1966 rechtskräftig abgeschlossen worden ist?

Dieser Rechtsfrage liegt folgender Sachverhalt zugrunde:

Das FG hatte im Hauptverfahren durch rechtskräftiges Urteil vom 18. Dezember 1964 den Berufungen des Stpfl. in den Einkommensteuersachen 1953 bis 1957 teilweise stattgegeben und die Kosten des Einspruchsverfahrens zu 9/20 dem Stpfl. und zu 11/20 dem Land Rheinland-Pfalz auferlegt. Der Stpfl. war im Einspruchsverfahren von einer AG als Bevollmächtigte vertreten worden. Sein Antrag auf Erstattung der Gebühren der Bevollmächtigten für das Einspruchsverfahren wurde vom FA abgelehnt; die Erinnerung hatte keinen Erfolg. Das FG setzte durch Beschluß vom 6. August 1965 die Entscheidung über die Berufung nach § 264 AO a. F. aus, bis das BVerfG über die Rechtsgültigkeit des § 316 AO a. F. auf Grund des Vorlagebeschlusses des FG Kassel vom 30. Oktober 1964 (EFG 1965, 39) entschieden habe. Nach Inkrafttreten der FGO beantragte der Stpfl., die Zuziehung der Bevollmächtigten für das Einspruchsverfahren gemäß § 139 Abs. 3 Satz 3 FGO für notwendig zu erklären. Das FG wies den Antrag durch Beschluß vom 18. Februar 1966 (EFG 1966, 182) als unbegründet zurück; nach seiner Ansicht ist § 139 Abs. 3 Satz 3 FGO nicht anwendbar, wenn der Rechtsstreit vor Inkrafttreten der FGO rechtskräftig entschieden wurde. Gegen den Beschluß hat der Stpfl. Beschwerde eingelegt.

Der IV. Senat hat wegen der obigen Rechtsfrage nach § 11 Abs. 4 FGO den Großen Senat angerufen und nach § 11 Abs. 2 Satz 2 FGO einen Richter zur Sitzung des Großen Senats entsandt.

 

Entscheidungsgründe

Aus den Gründen:

Die Vorlage an den Großen Senat nach § 11 Abs. 4 FGO ist als zulässig anzusehen. Nach den zu § 11 Abs. 4 FGO ergangenen Beschlüssen Gr. S. 4/66 vom 16. Januar 1967 (BFH 88, 3, BStBl III 1967, 240) und Gr. S. 1/66 vom 17. Juli 1967 (zur Veröffentlichung bestimmt) bestehen gegen die Entsendung eines Richters nach § 11 Abs. 2 Satz 2 FGO im Hinblick auf Art. 101 Abs. 1 GG keine verfassungsrechtlichen Bedenken; auf die oben bezeichneten Entscheidungen wird Bezug genommen.

Der IV. Senat begehrt eine Entscheidung nach den am 1. Januar 1966 in Kraft getretenen Vorschriften der FGO. Er ist der Ansicht, daß eine Erstattung der im Vorverfahren entstandenen Gebühren und Auslagen eines Bevollmächtigten oder Beistandes nach § 139 FGO nicht möglich ist, wenn das gerichtliche Verfahren vor dem 1. Januar 1966 rechtskräftig abgeschlossen wurde. Dieser Rechtsansicht tritt der Große Senat bei.

Gemäß § 135 Abs. 1 und 2 FGO hat der endgültig Unterliegende die Kosten des gesamten Verfahrens zu tragen; die Kosten eines ohne Erfolg eingelegten Rechtsmittels fallen dem zur Last, der das Rechtsmittel eingelegt hat. Diese Vorschriften entsprechen den §§ 91 Abs. 1 Satz 1 und 97 Abs. 1 ZPO. Wesentlicher Teil dieser Kostenpflicht ist die Pflicht, die dem anderen Teil entstandenen Aufwendungen zu erstatten (vgl. auch § 91 Abs. 1 Satz 1 ZPO: "Die unterliegende Partei hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen, insbesondere die dem Gegner erwachsenen Kosten zu erstatten. In § 135 Abs. 1 FGO hat der Gesetzgeber die Kostenerstattungspflicht nicht besonders hervorgehoben; den §§ 139 Abs. 2 bis 4, 149 Satz 1 FGO ist jedoch zu entnehmen, daß die FGO von den gleichen Grundsätzen ausgeht wie die ZPO (vgl. auch Barske-Woerner, Buchreihe "Finanz und Steuern", Finanzgerichtsordnung, S. 150 oben, und Klinger, Kommentar zur Verwaltungsgerichtsordnung, 2. Aufl., Anm. A 1 Abs. 3 zu § 154 Abs. 1 der VwGO, der dem § 135 Abs. 1 FGO entspricht). Die Kostenpflicht und Kostenerstattungspflicht sind Ausfluß des - zumindest zwischen den Beteiligten - bestehenden Prozeßrechtsverhältnisses (vgl. auch Baumbach-Lauterbach, Kommentar zur Zivilprozeßordnung, 29. Aufl., Übersicht 3 A vor § 91 ZPO). Dieses Verhältnis entsteht mit der Klageerhebung und endet mit dem Abschluß des Prozesses (vgl. auch Baumbach-Lauterbach, a. a. O., Grundzüge 2 C vor § 128; Schönke-Schröder-Niese, Lehrbuch des Zivilprozeßrechts, 8. Aufl., S. 22 ff.; Lent-Jauerig, Juristische Kurz-Lehrbücher, Zivilprozeßrecht, 12. Aufl., § 32). Über die Kosten des Verfahrens und damit über Kostenerstattungspflicht hat das Gericht durch Urteil oder, wenn das Verfahren in anderer Weise beendet wurde, durch Beschluß von Amts wegen zu befinden, bei Rücknahme eines Rechtsmittels jedoch nur, wenn ein Beteiligter Kostenerstattung beantragt (§§ 143, 144 FGO).

Die Frage, wann nach der AO a. F. ein Kostenerstattungsanspruch im finanzgerichtlichen Verfahren entstand, ist von der Rechtsprechung unterschiedlich beurteilt worden. Während der RFH im Gutachten IV D 1/24 vom 25. April 1924 (RFH 13, 264) davon ausging, ein solcher Anspruch entstehe schon durch eine nicht rechtskräftige Rechtsmittelentscheidung, vertrat er im Beschluß VI A 2321/30 vom 18. März 1931 (RStBl 1931, 251) die Auffassung, daß erst die letztinstanzliche gerichtliche Entscheidung, die die Kostenfreiheit ausspricht, für den Steuerpflichtigen den Erstattungsweg eröffne; vorher sei kein Erstattungsanspruch vorhanden, auch nicht in bedingter oder betagter Form. Der II. Senat des BFH ließ es im Urteil II 128/55 S vom 23. Februar 1956 (BFH 62, 316, BStBl III 1956, 117) dahingestellt, ob vor der rechtskräftigen Rechtsmittelentscheidung ein auflösend bedingter Kostenerstattungsanspruch des obsiegenden Steuerpflichtigen vorhanden ist; nach seiner Ansicht entstand der "endgültige" Anspruch jedenfalls erst mit der rechtskräftigen Entscheidung, die den Steuerpflichtigen nach § 309 AO a. F. von den Kosten freistellte.

Nach Auffassung des Großen Senats entsteht nach der FGO ein Kostenerstattungsanspruch mit dem Erlaß der gerichtlichen Kostenentscheidung nach §§ 143, 144 FGO. In dieser Entscheidung befindet das Gericht über die Kostentragungs- und Kostenerstattungspflicht nach Person und Umfang; die Entscheidung legt für die Beteiligten verbindlich fest, wer die Kosten des gesamten Verfahrens oder einer Rechtsmittelinstanz zu tragen hat (§§ 135, 136 Abs. 1 Satz 3, 136 Abs. 2, 138 Abs. 2 FGO), in welchem Verhältnis die Kosten auf die Beteiligten zu verteilen sind, wenn mehrere die Kosten tragen müssen (§ 136 Abs. 1 Satz 1, 137 Satz 1 FGO) und ob einem Beteiligten wegen eigener Verursachung oder Schuld ein besonderer Teil der Kosten aufzuerlegen ist (§§ 136 Abs. 3, 137 Satz 2 FGO). Die Kostenentscheidung wird wirksam mit dem Zeitpunkt ihres Erlasses und nicht erst mit dem Eintritt der Rechtskraft. Der Erstattungsanspruch ist bis zum Eintritt der Rechtskraft jedoch auflösend bedingt, da die Möglichkeit besteht, daß der BFH im Rechtsmittelverfahren die Kostenentscheidung des FG aufhebt. Endgültig steht die Kostenerstattungspflicht daher erst fest, wenn die Kostenentscheidung rechtskräftig, die auflösende Bedingung also fortgefallen ist. Der Große Senat folgt damit der herrschenden Meinung im Zivilprozeß, die ebenfalls davon ausgeht, daß der Kostenerstattungsanspruch mit dem Erlaß der in die Kosten verurteilenden Sachentscheidung des Gerichts erwachse, auflösend bedingt durch den Eintritt der Rechtskraft (vgl. z. B. Wieczorek, Kommentar zur Zivilprozeßordnung, Bd. I Teil 1 § 91 Anm. B II; Stein-Jonas, Kommentar zur Zivilprozeßordnung, Vorbem. II 4 vor § 91; Rosenberg, Lehrbuch des deutschen Zivilprozeßrechts, § 79 IV 2; Urteil des Oberlandesgerichts Frankfurt U 19/57 vom 28 Februar 1958, Juristenzeitung 1958 S. 404; Beschluß des Bundesgerichtshofs VI ZR 19/54 vom 30. April 1955, Lindenmaier-Möhring, § 79 des Gerichtskostengesetzes - GKG - Nr. 2). Die Übernahme zivilprozeßrechtlicher Anschauungen entspricht dem § 155 FGO, nach dem Vorschriften der ZPO - und damit auch ihre Grundsätze - für das finanzgerichtliche Verfahren sinngemäß anwendbar sind, soweit die grundsätzlichen Unterschiede der Beiden Verfahrensarten dem nicht entgegenstehen.

Auf der Grundlage dieses Kostenerstattungsanspruchs ist eine Erstattung der im Vorverfahren entstandenen Gebühren und Auslagen eines Bevollmächtigten oder Beistandes nicht möglich, wenn das gerichtliche Verfahren vor dem 1. Januar 1966 rechtskräftig beendet war. Aufwendungen der Beteiligten sind zu erstatten, wenn sie gemäß § 149 Satz 1 FGO auf Antrag eines Beteiligten vom Urkundsbeamten des Gerichts des ersten Rechtszuges festgesetzt sind. Dieses Festsetzungsverfahren teilt unmittelbar das Schicksal der Kostenentscheidung des Prozeßgerichts (vgl. auch Beschluß des Reichsgerichts 20 W 7250/34 vom 27. Oktober 1934, Juristische Wochenschrift 1934 S. 3146); im Kostenfestsetzungsbeschluß wird die Kostenentscheidung nur durch den zu erstattenden Kostenbetrag ergänzt (Baumbach-Lauterbach, a. a. O., Einführung 2 A vor § 103 ZPO). Der Urkundsbeamte kann daher grundsätzlich nur die Aufwendungen der Beteiligten der Höhe nach festsetzen, die unter die gerichtliche Kostenentscheidung fallen oder als Kosten des Kostenfestsetzungsverfahrens anzusetzen sind (Baumbach-Lauterbach, a. a. O., § 104 ZPO Anm. 1 C c) und 2 B). Dies gilt auch für die Gebühren und Auslagen eines Bevollmächtigten oder Beistandes für das Vorverfahren. Diese Aufwendungen sind nach § 139 Abs. 3 Satz 3 FGO erstattungsfähig, wenn das Gericht - d. h. nach dem Beschluß des Großen Senats Gr. S. 5-7/66 vom 18. Juli 1967 (BStBl II 1968, 56) grundsätzlich das Kostenfestsetzungsgericht - die Zuziehung des Bevollmächtigten oder Beistandes im Vorverfahren für notwendig erklärt. Eine Entscheidung nach § 139 Abs. 3 Satz 3 FGO kann das Gericht im Kostenfestsetzungsverfahren ebenfalls nur treffen, wenn die Gebühren und Auslagen unter die gerichtliche Kostenentscheidung fallen. Der Urkundsbeamte kann die Aufwendungen sonst nicht festsetzen; die Erklärung nach § 139 Abs. 3 Satz 3 FGO würde also ins Leere gehen. Entscheidet das Gericht durch Urteil oder Beschluß über die Kosten des Verfahrens nach §§ 143, 144 FGO, so schließt die Entscheidung nach § 139 Abs. 1 FGO grundsätzlich auch die Kosten des Bevollmächtigten oder Beistandes im Vorverfahren mit ein (Beschluß Gr. S. 5-7/66 a. a. O.), vorausgesetzt, daß der Bevollmächtigte oder Beistand dem FA gegenüber auch wirklich aufgetreten ist. Eine Erstattung dieser Aufwendungen ist aber nicht möglich, wenn die Kostenentscheidung vor dem 1. Januar 1966 rechtskräftig wurde und das gerichtliche Verfahren damit beendet war. Hier hat das Gericht nicht nach den Vorschriften der FGO, sondern nach den zum 31. Dezember 1965 außer Kraft getretenen Bestimmungen der AO a. F. über die Kosten entschieden; diese sahen in § 316 AO a. F. jedoch eine Erstattung von Gebühren und Auslagen eines Bevollmächtigten oder Beistandes im Einspruchsverfahren oder verwaltungsbehördlichen Beschwerdeverfahren nicht vor. Die bis zum 31. Dezember 1965 bestehende Rechtslage hat sich durch das Inkrafttreten der FGO am 1. Januar 1966 nicht rückwirkend geändert. Die FGO konnte die Erstattungsfähigkeit dieser Aufwendungen nicht mehr begründen, weil sie auf ein bereits abgeschlossenes Verfahren keinen Einfluß mehr nimmt. Ein Anspruch auf Erstattung von Kosten konnte nicht mehr entstehen, da die Kostenerstattungspflicht mit der Rechtskraft der Kostenentscheidung endgültig feststand. Es bestand zum 1. Januar 1966 auch kein Prozeßrechtsverhältnis mehr, das die Grundlage für die Entstehung eines Kostenerstattungsanspruchs hätte bilden können.

 

Fundstellen

BStBl II 1968, 59

BFHE 90, 156

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