Entscheidungsstichwort (Thema)

Gründe für die Ablehnung eines Richters wegen Besorgnis der Befangenheit

 

Leitsatz (NV)

1. Ein im Rahmen der richterlichen Sachaufklärungspflicht gebotenes Verhalten rechtfertigt grundsätzlich keine Ablehnung eines Richters wegen Besorgnis der Befangenheit. Gleiches gilt auch bei Verfahrensverstößen.

2. Etwas anderes kommt nur dann in Betracht, wenn Gründe dafür dargetan werden, daß ein Verfahrensverstoß auf einer unsachlichen Einstellung des Richters gegenüber dem ihn ablehnenden Beteiligten oder auf Willkür beruht.

 

Normenkette

FGO § 51 Abs. 1 S. 1; ZPO § 42 Abs. 2

 

Verfahrensgang

FG Düsseldorf

 

Tatbestand

Die Beteiligten streiten u. a. um die Höhe des Nutzungswerts der eigengenutzten Wohnung der Kläger und Beschwerdeführer (Kläger).

Im Laufe des Verwaltungsvorverfahrens behaupteten die Kläger, es liege ein Grund vor, der geeignet sei, Mißtrauen gegen die Unparteilichkeit des zuständigen Sachbearbeiters der Rechtsbehelfsstelle des Beklagten und Beschwerdegegners (Finanzamt - FA -) zu rechtfertigen. Der Vorsteher des FA verneinte dies. Daraufhin erklärten die Kläger, sie erteilten dem Sachbearbeiter der Rechtsbehelfsstelle, der ihre Wohnung besichtigen wollte, Hausverbot.

Das Finanzgericht (FG) beschloß am 21. Mai 1986, es solle Beweis über die jeweiligen Jahresmietwerte der von den Klägern bewohnten Wohnung für die Jahre 1979 bis 1982 durch Einholung eines Sachverständigengutachtens erhoben werden. Der Berichterstatter Richter am FG X sandte den Beweisbeschluß unter dem 27. Juni 1986 an den Sachverständigen mit der Bitte, das Gutachten zu erstatten und zur Ortsbesichtigung das FA zu laden.

Zugleich schickte er hiervon eine Durchschrift an die Kläger mit der Auflage: ,,Den Klägern wird aufgegeben, dem bzw. den beauftragten Beamten des Beklagten - wer das auch immer sei - den Zutritt zu dem vom Sachverständigen anzuberaumenden Ortstermin zu gestatten. Sollten die Kläger den Zutritt verweigern, müssen sie damit rechnen, daß der Senat eine solche evtl. Weigerung als Behinderung der gerichtlichen Sachaufklärung mit den entsprechenden für sie nachteiligen Folgen wertet."

Daraufhin lehnten die Kläger den Richter am FG X wegen Besorgnis der Befangenheit ab. Er habe mit seiner Verfügung vom 27. Juni 1986 das von ihnen dem zuständigen Sachbearbeiter der Rechtsbehelfsstelle erteilte Hausverbot übergangen. Dieser habe während des Verwaltungsvorverfahrens wiederholt versucht, die Kläger zu bedrängen und über den Klägervertreter hinaus tätig zu werden. Eine Besichtigung ihrer Wohnung durch den Beamten würde in ihr Grundrecht auf Unverletzlichkeit ihrer Wohnung (Art. 13 Abs. 1 des Grundgesetzes - GG -) eingreifen.

. . .

Das FG wies das Ablehnungsgesuch der Kläger zurück.

Mit ihrer hiergegen gerichteten Beschwerde machen die Kläger geltend, der abgelehnte Richter habe aufgrund seines Schreibens vom 27. Juni 1986 eine hinsichtlich des Verfahrensausgangs festgelegte Meinung erkennen lassen. Die in Aussicht gestellten prozessualen Nachteile ließen auf eine eindeutige Parteinahme schließen.

 

Entscheidungsgründe

Die Beschwerde der Kläger gegen die Zurückweisung ihres Ablehnungsgesuchs ist unbegründet. Die Kläger haben aufgrund der Verfügung vom 27. Juni 1986 keinen Anlaß zur Besorgnis, dem von ihnen abgelehnten Richter am FG X fehle ihnen gegenüber die gebotene Unbefangenheit.

Eine Richterablehnung wegen Besorgnis der Befangenheit kann zum Erfolg führen, wenn ein Grund vorliegt, der geeignet ist, Mißtrauen gegen die Unparteilichkeit des Richters zu rechtfertigen (§ 51 Abs. 1 Satz 1 der Finanzgerichtsordnung - FGO - i. V. m. § 42 Abs. 2 der Zivilprozeßordnung - ZPO -). Gründe für ein solches Mißtrauen sind gegeben, wenn ein Beteiligter von seinem Standpunkt aus bei vernünftiger, objektiver Betrachtung davon ausgehen kann, daß der Richter nicht unvoreingenommen entscheiden werde. Hierbei kommt es nicht darauf an, ob die Entscheidung wirklich von Voreingenommenheit beeinflußt ausfiele. Ausschlaggebend ist vielmehr, ob der Beteiligte, der das Ablehnungsgesuch angebracht hat, von seinem Standpunkt aus bei Anlegung des angeführten objektiven Maßstabs Anlaß hat, Voreingenommenheit zu befürchten (Beschluß des Bundesfinanzhofs - BFH - vom 4. Juli 1985 V B 3/85, BFHE 144, BStBl II 1985, 555).

Ein im Rahmen der richterlichen Sachaufklärungspflicht gebotenes Verhalten begründet grundsätzlich keinen Ablehnungsgrund. Dies gilt selbst für Verfahrensverstöße; etwas anderes kommt nur dann in Betracht, wenn Gründe dargetan werden, die dafür sprechen, daß die Fehlerhaftigkeit auf einer unsachlichen Einstellung des Richters gegenüber dem ihn ablehnenden Beteiligten oder auf Willkür beruht (Zöller, Zivilprozeßordnung, 14. Aufl., 1984, § 42 Anm. 26 f.).

Die von den Klägern beanstandeten verfahrensleitenden Maßnahmen des abgelehnten Berichterstatters lassen keine Voreingenommenheit gegenüber den Klägern erkennen. Es war sachlich gerechtfertigt, daß der Berichterstatter sich bei seiner Auflage vom 27. Juni 1986, zu dem vom Sachverständigen anzuberaumenden Ortstermin dem Beamten des FA den Zutritt zu gestatten, weigerte, auf das von den Klägern für den zuständigen Sachbearbeiter der Rechtsbehelfsstelle des FA ausgesprochene Hausverbot Rücksicht zu nehmen.

Ihr Vorbringen, der Beamte habe versucht, sie im Rechtsbehelfsverfahren zu bedrängen und über den Klägervertreter hinaus tätig zu werden, gibt nichts dafür her, daß die bloße Anwesenheit des Beamten bei dem Ortstermin in ihrer Wohnung für sie unzumutbar sein könnte.

Der Hinweis des abgelehnten Richters auf etwaige prozessuale Nachteile einer Weigerung der Kläger, einen Beamten des FA an dem Ortstermin in ihrer Wohnung teilnehmen zu lassen, hält sich im Rahmen seiner Kompetenz als Berichterstatter, diejenigen Vorbereitungen zu treffen, die erforderlich sind, um den Rechtsstreit möglichst in einer mündlichen Verhandlung zu erledigen (§ 79 FGO). Dazu gehört es insbesondere, die Sach- und Rechtslage mit den Beteiligten zu erörtern (§ 79 Satz 2 FGO). Der Berichterstatter verwies die Kläger auf den Grundsatz, daß das Gericht in freier Beweiswürdigung beweiserleichternde Schlüsse aus dem Verhalten eines Beteiligten ziehen darf, der die Beweisführung vorsätzlich oder fahrlässig vereitelt (vgl. dazu BFH-Urteil vom 20. Mai 1969 II 25/61, BFHE 96, 129, 135, BStBl II 1969, 550, 553, sowie Baumbach / Lauterbach / Albers /Hartmann, Zivilprozeßordnung, 45. Aufl. 1987, Anh. 3 C zu § 286).

Der Senat braucht sich in diesem Zusammenhang nicht mit der von den Klägern aufgeworfenen Frage auseinanderzusetzen, wie weit ihr Grundrecht auf Unverletztlichkeit ihrer Wohnung (Art. 13 Abs. 1 GG) reicht. Wenn die Kläger mit ihrer Klage gegen die Bemessung des Nutzungswerts ihrer Wohnung durch das FA obsiegen wollen, so erfordert dies eine Ortsbesichtigung unter Beachtung des für eine Beweiserhebung vorgeschriebenen Verfahrensrechts. Dies schließt das Recht eines jeden Beteiligten auf Teilnahme an der Beweiserhebung ein. Verweigern die Kläger aber dem FA ihre Zustimmung zur Teilnahme an der Ortsbesichtigung, so müssen sie mit den vom Berichterstatter angedeuteten prozessualen Nachteilen rechnen: Das FA ist dann nicht hinreichend imstande, zu dem Beweisergebnis Stellung zu nehmen; das Gericht darf sein Urteil aber nur auf Tatsachen und Beweisergebnisse stützen, zu denen sich die Beteiligten äußern konnten (§ 96 Abs. 2 FGO). Das Gericht müßte sodann in freier Beweiswürdigung darüber entscheiden, welche beweiserleichternden Schlüsse aus dem Verhalten der Kläger zu ziehen sind.

 

Fundstellen

Haufe-Index 414952

BFH/NV 1987, 382

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