Stehengelassenes Gesellschafterdarlehens

Bei der Prüfung der Einkünfteerzielungsabsicht im Rahmen des § 20 EStG ist zwar im Grundsatz jede Kapitalanlage getrennt zu beurteilen. Allerdings bedarf es im Fall einer stehen gelassenen Gesellschafterbürgschaft einer „Gesamtbetrachtung“ von Beteiligung und Bürgschaft/Regressforderung. Danach sind die gesamten „aus der Beteiligung“ erzielten Einkünfte maßgebend, d. h. sowohl Wertsteigerungen als auch Ausschüttungen. Von einer fehlenden Einkünfteerzielungsabsicht ist auch ohne Vereinbarung einer Bürgschaftsprovision nur dann auszugehen, wenn die Erzielung von positiven Einkünften insgesamt ausscheidet.

Findet der Ausfall der Regressforderung aus einer stehen gelassenen Bürgschaft im Rahmen des § 17 EStG keine Berücksichtigung, weil der gemeine Wert der Forderung im Zeitpunkt des Stehenlassens mit 0 EUR zu bewerten ist, steht § 20 Abs. 8 EStG einer Berücksichtigung der Forderung mit ihrem nicht werthaltigen Teil (Nennwert) nicht entgegen.

Hintergrund: Gesetzliche Regelung

Nach § 20 Abs. 2 Satz 1 Nr. 7 EStG gehört zu den Einkünften aus Kapitalvermögen auch der Gewinn aus der Veräußerung von sonstigen Kapitalforderungen jeder Art i. S. d. § 20 Abs. 1 Nr. 7 EStG. Dabei gilt als Veräußerung auch die Einlösung, Rückzahlung, Abtretung oder verdeckte Einlage in eine Kapitalgesellschaft (§ 20 Abs. 2 Satz 2 Halbsatz 1 EStG). Nach § 20 Abs. 4 Satz 1 Halbsatz 1 EStG ist Gewinn i. S. d. § 20 Abs. 2 EStG der Unterschied zwischen den Einnahmen aus der Veräußerung nach Abzug der Aufwendungen, die im unmittelbaren sachlichen Zusammenhang mit dem Veräußerungsgeschäft stehen, und den Anschaffungskosten.

§ 20 Abs. 8 Satz 1 EStG regelt, dass Einkünfte der in § 20 Abs. 1, 2 und 3 EStG bezeichneten Art, soweit sie zu den Einkünften aus Land- und Forstwirtschaft, aus Gewerbebetrieb, aus selbständiger Arbeit oder aus Vermietung und Verpachtung gehören, diesen Einkünften zuzurechnen sind.

Sachverhalt: Verlust aus einer Gesellschafterbürgschaft

Der Kläger und sein Bruder waren zu je 50 % am (vollständig erbrachten) Stammkapital i. H. v. 25.000 EUR der im Jahr 2009 gegründeten B-GmbH beteiligt. Über das Vermögen der B-GmbH wurde im Dezember 2012 das Insolvenzverfahren eröffnet.

Der Kläger war im Streitjahr zudem Kommanditist der C-GmbH & Co. KG und allein am Vermögen der KG beteiligt. Komplementärin der KG und nicht an deren Vermögen beteiligt war die C-GmbH, deren Alleingesellschafter wiederum der Kläger war.

Die B-GmbH und die KG nahmen bei der F-Bank und G-Bank mehrere Darlehen auf, für die der Kläger sich selbstschuldnerisch verbürgte. Der vereinbarte Höchstbetrag der selbstschuldnerischen Bürgschaft belief sich auf 346.000 EUR. In diesem Zusammenhang verpfändete er die bei der F-Bank verwahrten Wertpapiere.

Am 27.12.2012 kündigte die F-Bank die mit der B-GmbH bestehenden Darlehensverhältnisse und nahm den Kläger aus seinen Bürgschaften in Anspruch. In Folge der Eröffnung des Insolvenzverfahrens schlossen der Kläger und sein Bruder unter Einbindung der KG umfassende Zahlungs- und Verzichtsvereinbarungen mit den beiden Banken ab. Die Brüder verpflichteten sich gesamtschuldnerisch, Beträge in einer näher bestimmten Größenordnung an die Banken zu zahlen. Dabei wurden Beträge, die die F-Bank bereits aus der Verwertung des verpfändeten Wertpapierdepots des Klägers erhalten hatte, abgezogen. Im Gegenzug verzichteten die beiden Banken auf sämtliche gegenüber dem Kläger bestehende Forderungen, soweit sie aus der Besicherung der der B-GmbH gewährten Darlehen resultierten.

Die Zahlung des überwiegenden Teils dieser Beträge erfolgte von einem Konto der KG. Darüber hinaus zahlten die Brüder gesamtschuldnerisch einen Betrag von 15.000 EUR an die Insolvenzmasse und 7.262,00 EUR an den Vermieter des von der B-GmbH genutzten Ladenlokals.

Der Kläger machte für das Jahr 2014 in seiner Einkommensteuererklärung einen Auflösungsverlust nach § 17 Abs. 1, 4 EStG von insgesamt 242.036 EUR (145.221 EUR nach Anwendung des Teileinkünfteverfahrens) geltend. Das Finanzamt hingegen berücksichtigte nur einen Verlust i. H. v. 23.631 EUR (im Teileinkünfteverfahren: 14.178 EUR). Dieser setzte sich zusammen aus dem anteiligen Stammkapital (12.500,00 EUR) sowie der Hälfte der Zahlungen an den Insolvenzverwalter (7.500,00 EUR) und an den Vermieter (3.631 EUR).

Das FG hat der Klage teilweise stattgegeben. Es hat entschieden, dass statt eines Verlusts des Klägers nach § 17 Abs. 4 EStG i. H. v. 14.178 EUR nur ein Verlust i. H. v. 7.500 EUR (nach Anwendung des Teileinkünfteverfahrens, hälftiges Stammkapital zu 60 %) sowie ein Verlust nach § 20 Abs. 2 Satz 1 Nr. 7 EStG von 114.768 EUR (die Hälfte des verbleibenden Restbetrags von 229.536 EUR) bei den Einkünften des Klägers aus Kapitalvermögen anzusetzen ist, der nach § 32d Abs. 2 Nr. 1 Buchst. b EStG nicht dem gesonderten Steuertarif i. S. d. § 32d Abs. 1 EStG unterfällt.

Entscheidung: BFH weist Revision des Finanzamts zurück

Der BFH bestätigt die Rechtsauffassung der Vorinstanz, wonach beim Kläger ein Verlust nach § 20 Abs. 2 Satz 1 Nr. 7 EStG i. H. v. 114.768 EUR zu berücksichtigen ist.

Steuerbarer Verlust aufgrund eines Forderungsausfalls

Der endgültige Ausfall einer Kapitalforderung i. S. d. § 20 Abs. 1 Nr. 7 EStG in der privaten Vermögenssphäre führt nach Einführung der Abgeltungsteuer zu einem steuerlich anzuerkennenden Verlust nach § 20 Abs. 2 Satz 1 Nr. 7, Satz 2, Abs. 4 EStG. Zwar fehlt es bei einem Forderungsausfall an dem für eine Veräußerung notwendigen Rechtsträgerwechsel. Aus der Gleichstellung der Rückzahlung mit dem Tatbestand der Veräußerung einer Kapitalforderung in § 20 Abs. 2 Satz 2 EStG folgt jedoch, dass auch eine endgültig ausbleibende Rückzahlung zu einem Verlust nach § 20 Abs. 4 Satz 1 EStG führen kann.

Wie die Veräußerung ist die Rückzahlung ein Tatbestand der Endbesteuerung. Ein steuerbarer Verlust aufgrund eines Forderungsausfalls liegt daher grundsätzlich erst dann vor, wenn bei objektiver Betrachtung bereits zu diesem Zeitpunkt nicht mehr mit Rückzahlungen auf die Forderung zu rechnen ist und ausreichende Anhaltspunkte für eine Uneinbringlichkeit der Forderung vorliegen. Die Eröffnung eines Insolvenzverfahrens über das Vermögen des Schuldners reicht hierfür regelmäßig nicht aus. Etwas anderes gilt aber ausnahmsweise, wenn die Eröffnung des Insolvenzverfahrens mangels Masse abgelehnt worden ist oder aus anderen Gründen feststeht, dass nicht mehr mit einer wesentlichen Änderung des Verlusts nach der Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen des Insolvenzschuldners zu rechnen ist.

In Anwendung dieser Grundsätze hat das FG den Ausfall der Bürgschaftsregressforderungen i. H. v. 114.768 EUR zu Recht nach § 20 Abs. 2 Satz 1 Nr. 7, Satz 2, Abs. 4 EStG berücksichtigt.

Einkunftserzielungsabsicht des Klägers gegeben

Bei der Prüfung der Einkünfteerzielungsabsicht im Rahmen des § 20 EStG ist zwar im Grundsatz jede Kapitalanlage getrennt zu beurteilen. Allerdings bedarf es in Fällen wie dem vorliegenden einer „Gesamtbetrachtung“ von Beteiligung und Bürgschaft/Regressforderung. Danach sind die gesamten „aus der Beteiligung“ erzielten Einkünfte maßgebend, d. h. sowohl Wertsteigerungen als auch Ausschüttungen. Von einer fehlenden Einkünfteerzielungsabsicht ist nur dann auszugehen, wenn die Erzielung von positiven Einkünften insgesamt ausscheidet. Dies ist hier nicht der Fall. Das Fehlen einer Bürgschaftsprovision allein führt nicht zu einer anderen Beurteilung.

Entsprechendes gilt für die Feststellung des FG, bereits im Streitjahr sei nicht mehr mit Zahlungen auf die Forderungen zu rechnen gewesen, vielmehr hätten ausreichende objektive Anhaltspunkte für eine Uneinbringlichkeit der Forderungen vorgelegen. Dabei habe das FG maßgebend auf den Abschluss der Zahlungs- und Verzichtsvereinbarung mit dem Insolvenzverwalter im Februar 2014 abgestellt; diese habe sämtliche Ansprüche der Beteiligten abschließend regeln sollen.

Subsidiaritätsklausel steht Verlustberücksichtigung nicht entgegen

Vor diesem Hintergrund steht die Subsidiaritätsklausel einer Verlustberücksichtigung nach § 20 Abs. 2 EStG nicht entgegen, obschon der Tatbestand des § 17 Abs. 1, 4 EStG (dem Grunde nach) erfüllt ist. Die in § 20 Abs. 8 Satz 1 EStG geregelte Sperrwirkung der Einkünfte aus Gewerbebetrieb (nach § 17 EStG) erstreckt sich nur auf den von § 17 EStG positiv erfassten Forderungsverlust nach gesellschaftsrechtlicher Verstrickung der Bürgschaft (hier: 0 EUR), nicht aber auf den zuvor eingetretenen Wertverlust. Nur „soweit“ Anschaffungskosten als Teil der Veräußerungseinkünfte i. S. d. § 20 Abs. 2 EStG (im Zusammenhang mit der Bürgschaftsregressforderung) zu den Anschaffungskosten als Teil der Veräußerungseinkünfte i. S. d. § 17 EStG (im Zusammenhang mit der GmbH-Beteiligung) gehören (hier: 0 EUR), ist § 20 Abs. 2 EStG nach dem Wortlaut des § 20 Abs. 8 EStG anwendungsgesperrt.

Hinweis: Ausgleichsansprüche des Klägers gegenüber Bruder

Die auf der Grundlage der Zahlungs- und Verzichtsvereinbarungen geleisteten Zahlungen konnten aufgrund der hälftigen Ausgleichsansprüche des Klägers gegenüber seinem Bruder (§ 426 BGB) nur zur Hälfte berücksichtigt werden. Bei der Ermittlung des Gewinns oder Verlusts i. S. d. § 17 Abs. 2 und 4 EStG ist die Inanspruchnahme eines Gesellschafters aus einer Bürgschaft dann nicht ohne Weiteres in voller Höhe zu berücksichtigen, wenn sich mehrere Bürgen für dieselbe Schuld verbürgt haben. Zwar kann der Gläubiger die Zahlung nach § 421 BGB von jedem Bürgen fordern, so dass dieser grundsätzlich auch mit seiner Inanspruchnahme rechnen muss. Da die Bürgen als Gesamtschuldner im Innenverhältnis aber grundsätzlich zu gleichen Anteilen verpflichtet sind (§ 426 Abs. 1 BGB), erwirbt der Bürge, der eine über seinen Anteil hinausgehende Zahlung leistet, beim Fehlen anderweitiger Vereinbarungen einen Ausgleichsanspruch (§ 426 Abs. 2 BGB). Er wäre deshalb bei einer seinen Anteil übersteigenden Zahlung insoweit wirtschaftlich nur dann belastet, wenn gleichzeitig feststünde, dass die Ausgleichsforderung gegen den oder die anderen Gesamtschuldner (Mitbürgen) nicht realisierbar und damit wertlos ist. Entsprechendes gilt für die Ermittlung des Gewinns oder Verlusts i. S. d. § 20 Abs. 2 EStG.

Auf der Grundlage der von dem Kläger vorgelegten Unterlagen vermochte das FG nicht festzustellen, dass der Bruder des Klägers zahlungsunfähig ist und die gegen ihn gerichteten Ausgleichsansprüche des Klägers daher wertlos sind.

BFH, Urteil v. 20.6. 2023, IX R 2/22; veröffentlicht am 24.8.2023