4.3.3.1 Allgemeine Bedeutung und Auslegung der testamentarischen Anordnung

 

Rz. 243

Zu einer der schwierigsten Fragen des Erbrechts und des Erbschaftsteuerrechts gehört die Abgrenzung zwischen einer Teilungsanordnung (s. § 2048 BGB) und einem Vorausvermächtnis (s. § 2150 BGB); s. Rn. 133 f. Diese Unterscheidung spielt nicht nur für die Quotenbildung beim Erbschein und bei der Erbberechtigung eine Rolle, sondern darüber hinaus für das praxisrelevante Steuerprivileg des nach § 13a ErbStG a. F. erworbenen Produktivvermögens und seiner Gefährdung durch eine steuerschädliche Weitergabeverpflichtung (s. § 13a Abs. 3 ErbStG a. F.). Darüber hinaus ist diese Thematik im Ertragsteuerrecht bei der Auseinandersetzung einer Miterbengemeinschaft von großer Bedeutung (s. BMF vom 11.01.1993, BStBl I 1993, 62 Tz. 72 ff.) – Vorausvermächtnis einerseits und in Tz. 76 des BMF-Schreibens Teilungsanordnung andererseits. Die identische Unterscheidung findet sich bei R E 3.1 Abs. 1 ErbStR (Teilungsanordnung) und bei R E 3.1 Abs. 4 ErbStR (Vorausvermächtnis; in H E 3.1 Abs. 4 ErbStH auch "unechte Teilungsanordnung" genannt).

 

Rz. 244

Im Zivilrecht sind beide Anwendungsfälle (Teilungsanordnung/Vorausvermächtnis) gemeinsam dadurch gekennzeichnet, dass einem Miterben testamentarisch ein Gegenstand zugewendet wird, der einen objektiv höheren Wert hat, als ihm bei der Auseinandersetzung zukäme. Für den Fall, dass der begünstigte Miterbe mit dem Gegenstand einen zusätzlichen Vorteil – ohne Anrechnung auf die Quote – erhalten soll, nimmt die BGH-Rechtsprechung ein Vorausvermächtnis an. Sollte hingegen eine Wertverschiebung dadurch ausgeschlossen sein, dass der Begünstigte den Mehrwert aus "seiner eigenen Tasche" (mit einer sog. "Ausgleichsverpflichtung") zahlen muss, nimmt man eine Teilungsanordnung an.

 

Rz. 245

Die Unterscheidung wurde auch für das Steuerrecht übernommen: Eine vom Erblasser gewollte wertmäßige Begünstigung ("ein Extra ohne Ausgleich") führt demnach zu einem Vorausvermächtnis.

 
Praxis-Beispiel

A und B sind Miterben zu je 50 %. Zum Nachlass gehören zwei gleichwertige Betriebe (je 1 Mio. EUR Verkehrswert) und ein Aktienpaket im Wert von 100 TEUR. Das Testament sieht vor, dass jeder der Erben einen Betrieb erhalten soll und A bekommt zusätzlich das Aktienpaket.

a) A erhält die Aktien ohne Ausgleichsverpflichtung.

b) A hat an B 50 TEUR zu zahlen.

Lösung:

Zunächst die rein gesetzestechnische Unterscheidung:

  • Beim Vorausvermächtnis (s. § 2150 BGB) erhält der Erbe zusätzlich zu seinem Erbteil einen Vermögensvorteil vom Erblasser.
  • Bei der Teilungsanordnung (s. § 2048 BGB) nimmt der Erblasser Einfluss auf die Aufteilung des Nachlassvermögens.

In der Auslegung hat sich nachfolgendes Kriterium als nützlich erwiesen: Nur, wenn einer der Erben einen zusätzlichen Zuwendungsgegenstand (Aktienpaket) ohne Anrechnung auf die Quote erhält, liegt ein Vorausvermächtnis (§ 2150 BGB) vor, a). Andererseits, bei interner Ausgleichverpflichtung, b), wird nur eine Teilungsanordnung angenommen (Tz. 77 des BMF-Schreibens a. a. O.).

 

Rz. 246

Die Grundsätze zur Abgrenzung der Teilungsanordnung vom Vorausvermächtnis gelten unabhängig davon, wie der Miterbe, dem einzelne Gegenstände aus dem Nachlass zukommen sollen, zu bestimmen ist (s. BFH vom 30.03.2009, BFH/NV 2009, 1653). In vorliegendem Fall hatte der BFH darüber zu entscheiden, ob der Grundstückserwerb im Rahmen einer unter den Erben durchgeführten Versteigerung ein Kaufrechtsvermächtnis in Höhe der Differenz zwischen dem Verkehrswert der Immobilie und dem Kaufpreis darstellt. Dies sei zu bejahen, wenn erblasserseitig der Wille erkennbar ist, einem Miterben über seine Erbquote hinaus einen Mehrwert zuzuwenden. Die Verfügung des Erblassers, das Grundstück an den Meistbietenden zu versteigern, habe allerdings einen solchen Willen nicht erkennen lassen. Es handele sich daher um eine steuerlich unbeachtliche Teilungsanordnung.

4.3.3.2 Die grundsätzliche Unterscheidung im Erbschaftsteuergesetz

 

Rz. 247

Das oben (s. Rn. 245) aufgeführte Beispiel wird der erbschaftsteuerlichen Lösung zugeführt.

Erbschaftsteuerlich ist zunächst der technische Unterschied hervorzuheben. Nachdem das Vermächtnis eine Nachlassverbindlichkeit darstellt, ist es als solche beim Erbanfall des/der Erben vom Erwerb abzuziehen (s. § 10 Abs. 5 Nr. 2 ErbStG). Der Vermächtnisnehmer hat es gleichzeitig als Erwerb von Todes wegen nach § 3 Abs. 1 Nr. 1 ErbStG zu versteuern.

 

Sachverhalt wie im obigen Beispiel (s. Rn. 245).

Lösung: Bei einem Vorausvermächtnis (1. Alternative) gelten grundsätzlich die gleichen Regeln:

Bei einer (steuerirrelevanten) Teilungsanordnung (Alternative 2) versteuern A und B den Nachlass je zur Hälfte. Die noch 1983 von der Verwa...

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