Rz. 26

Die dogmatische Behandlung der Besteuerung der Vorerbschaft stößt unter zwei Aspekten auf Aufmerksamkeit und Kritik (vgl. Crezelius, Erbschaftsteuer und Schenkungsteuer in zivilrechtlicher Sicht, 1979, 104 ff.; Crezelius in Bork/Hoeren/Pohlmann, FS Kohlhosser, 65 ff.; Gerken, ZErb 2003, 72; Gottschalk in T/G/J/G, § 36 Rn. 12 f.; Geck, in K/E, § 6 ErbStG Rn. 18 f.; Löcherbach in V/S/W, § 6 Rn. 8 f.; a. A. Hannes/Holtz in M/H/H, § 6 Rn. 35 f.; Weinmann in M/W, § 6 Rn. 7 f.). Zum einen behandelt der Gesetzgeber den Vorerben – unbesehen seiner tatsächlichen Stellung als befreiter oder nicht befreiter Vorerbe – stets als Vollerbe mit der Folge der vollen Besteuerung. Dies wird den tatsächlichen wirtschaftlichen Verhältnissen beim nicht befreiten Vorerben, dessen Stellung der eines Nießbrauchers deutlich angenähert ist, nicht gerecht. Auch wird dadurch, dass der Vorerbe die Erbschaftsteuerbelastung gem. § 20 Abs. 4 ErbStG aus den Mitteln der Vorerbschaft begleichen kann, keine ausreichende Kompensation erreicht. Im Ergebnis führt daher die Begründung von zwei erbschaftsteuerbelasteten Vorgängen beim nicht befreiten Vorerben zu einer Überbelastung. Der BFH (s. BFH vom 23.08.1995, BStBl II 1996, 137; BFH vom 17.09.1997, BFH/NV 1998, 587; BFH vom 21.12.2000, BFH/NV 2001, 798; BFH vom 06.05.2003, BFH/NV 2003, 1185; BFH vom 06.11.2006, BFH/NV 2007, 242; BFH vom 13.04.2016, BStBl II 2016, 746; ebenso FG Köln vom 29.06.2017, ZEV 2017, 727 m. Anm. Wacker; ebenso für Vorvermächtnis FG Düsseldorf vom 22.11.2016, ZEV 2017, 111) ist der in der Literatur geäußerten Kritik allerdings nicht gefolgt. Auch seitens des Gesetzgebers sind keine Bestrebungen erkennbar, hier eine Änderung der Gesetzeslage herbeizuführen. I.R.d. Gestaltungsberatung ist daher zu überlegen, ob anstelle eines nicht befreiten Vorerben nicht besser ein Vermächtnisnießbrauch vorgesehen werden sollte. Dies drängt sich bereits deshalb auf, weil § 25 ErbStG a. F., wonach der Nießbrauch beim Belasteten im Regelfall nicht abzugsfähig war, zum 01.01.2009 aufgehoben wurde und damit die Abzugsfähigkeit beim Nießbrauchsbelasteten seither gegeben ist (Einzelheiten s. Rn. 76).

 

Rz. 27

Zum anderen ist die unter Rn. 62 ff. dargestellte gesetzliche Regelung des § 6 Abs. 3 ErbStG zumindest hinterfragenswert (s. Gottschalk in T/G/J/G, § 6 Rn. 13 am Ende). Zwar ist anzuerkennen, dass der Gesetzgeber hier versucht hat, die oben dargestellte Überbelastung durch eine Anrechnung beim Nacherben zu kompensieren. Es ist aber kein einleuchtender Grund ersichtlich, weshalb vom allgemeinen bewertungsrechtlichen Grundsatz des § 5 Abs. 2 BewG abgewichen wird und die in § 6 Abs. 3 Satz 2 ErbStG stattdessen vorgesehene Anrechnungsregelung dem Nacherben und nicht dem Vorerben, dessen Erbanfall zeitlich befristet ist, zu Gute kommen soll. Die Regelung des § 6 Abs. 3 Satz 2 ErbStG führt daher zu einer den tatsächlichen Verhältnissen nicht entsprechenden Lastenverteilung zwischen Vor- und Nacherbe (ähnlich s. Jülicher, ZEV 2003, 350, 351 und Kobor in F/P/W, § 6 Rn. 9, 41). Der Gesetzgeber sollte daher de lege ferenda diese Regelung überdenken. I.R.d. anwaltlichen Beratung sollten derartige Gestaltungen unter steuerrechtlichen Aspekten möglichst vermieden werden (Einzelheiten s. Rn. 62 ff.).

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