Rz. 9

Zum besseren Verständnis der Neuregelung werden für Erwerbe ab 01.07.2016 Prüfungsschemata vorangestellt. Die verschiedenen Schemata hängen von der Erwerbsschwelle ab. Ein "führendes" Beispiel (leading case) führt in das komplexe Thema ein und erleichtert die Lektüre der Prüfungsschemata (s. 3.1 Rz. 11).

 
Praxis-Beispiel

Der kinderlose und geschiedene Unternehmer U will den Prokuristen P (Steuerklasse III) zum Alleinerben einsetzen.

Zum Nachlass gehört ein Betrieb mit einem Steuerwert von 4 Mio. EUR, ein GmbH-Geschäftsanteil (30 %-Beteiligung) mit einem Steuerwert von 1 Mio. EUR und Kapitalvermögen (Nominalwert = Steuerwert: 500.000 EUR). Betrieb wie GmbH-Geschäftsanteil haben kein Verwaltungsvermögen. Gewählt wird die Regelverschonung (15 %-Variante).

Lösung:

Lösung:

Bei einer Adoption des P (Steuerklasse I Nr. 2) ergeben sich Auswirkungen nur wegen des höheren persönlichen Freibetrags und beim übrigen Vermögen, das nunmehr mit dem Steuersatz der Steuerklasse I besteuert wird.

 

Rz. 10

Das Regelungswerk der Verschonungen wird m. E. erst nachvollziehbar, wenn man auf die bewährte und allgemein gültige Unterscheidung der Normenkomplexe nach Tatbestand und Rechtsfolge zurückgreift. Folglich wird im Schema § 13b Abs. 1 (und Abs. 4) ErbStG als objektiver Tatbestand vorgezogen. Die Rechtsfolgen werden in unmittelbare Folgen (beim Übergang) und spätere Konsequenzen innerhalb des zeitlichen Nachfolgekorridors unterschieden. Die neue Gesetzestechnik macht es auch erforderlich, eine Vorabdifferenzierung nach den Erwerbsvolumina/Erwerbern (unter/über 26 Mio. EUR bzw. ab 90 Mio. EUR) vorzunehmen. Außerdem werden die beiden Optionen aus Gründen der Übersichtlichkeit getrennt behandelt. Das Schema arbeitet mit drei Tabellen:

  • Tabelle 1: Regelverschonung,
  • Tabelle 2: Vollverschonung,
  • und Tabelle 3 (Finanzmitteltest), die bei beiden Verschonungen zu berücksichtigen ist.

3.1 Verschonungsregeln im engeren Sinne (§§ 13a, 13b ErbStG) bis 26 Mio. EUR

 

Rz. 11

a) Grundoption Regelverschonung (15 % Steuerpflicht/5 Jahre Kontinuität)

Tabelle 1

 
I. Tatbestandsvoraussetzungen für die Verschonungsregel
1. Prüfung (§ 13b Abs. 1 und § 13b Abs. 4 Nr. 1 Satz 2 a)–f) ErbStG): dem Grunde nach begünstigungsfähiges Vermögen
2.

Prüfung: 90-%-Test nach § 13b Abs. 2 Satz 2 ErbStG:

(Brutto-)Verwaltungs-/Produktivvermögen

a)

Bei bestandenem 90-%-Test weitere Prüfung nach § 13b Abs. 2 Satz 1 ErbStG

(schädliches vs. unschädliches Netto-Verwaltungsvermögen)

s. hierzu das Unterschema "Finanzmitteltest/Nettoverwaltungsvermögen" (Tabelle 3)

b)

GW des begünstigungsfähigen Vermögens

./. stpfl. Wert des Verwaltungsvermögens

+ unschädliches Verwaltungsvermögen (§ 13b Abs. 7 ErbStG)

= begünstigtes Vermögen

c) Negativ-Prüfung: § 13a Abs. 5 ErbStG (keine komplette Weitergabe an Dritte)
II. Primäre Rechtsfolgen
3. Primäre Rechtsfolgen:
a) Vorwegabschlag gem. § 13a Abs. 9 ErbStG? Ja, falls Familienunternehmen!
b) Verschonungsabschlag gem. § 13a Abs. 1 Satz 1 (85 %-Regelverschonung)
c) weitere Rechtsfolge: Entlastungsabzugsbetrag gem. § 13a Abs. 2 ErbStG (bis 150.000 EUR)
4. "Drittregelung" gem. § 13a Abs. 5 ErbStG beachten: anteilige Weitergabe an Dritte
5. Ergebnis: objektive Steuerpflicht von 15 % des begünstigten Vermögens nach der persönlichen Steuerpflicht gem. Steuerklasse I (ggf. gem. § 19a ErbStG)
a) Für das (verbleibende) Verwaltungsvermögen: volle Steuerpflicht gem. StKl. I, II, III
III. Sekundäre Rechtsfolgen: Nachsorge und Sanktionen
6.a)

Personal-(Beschäftigungs-)Komponente

Für die Lohnsumme (Fünfjahresberechnung) gilt:

bis 5 Arbeitnehmer (AN) keine Berechnung
zwischen 6 AN und 10 AN: Mindest-Lohnsumme 250 %
zwischen 11 AN und 15 AN: Mindest-Lohnsumme 300 %
  ab 16 AN: 400 %

=> § 13a Abs. 1 Satz 2 i. V. m. § 13a Abs. 3 ErbStG mit der Rechtsfolge der Pro-rata-temporis-Kürzung des Verschonungsabschlags bei Verstoß

b) Verbleibensregeln (fünfjährige Behaltensfristen), § 13a Abs. 6 Nr. 1, 2 und 4, 5 ErbStG mit der Folge des anteiligen Wegfalls der Verschonungsregelung (pro rata temporis) bei Verstoß; allerdings Reinvestitionsmöglichkeit beachten!
c)

Überentnahmeregelung bei Personenunternehmen (§ 13a Abs. 6 Nr. 3 Satz 1 ErbStG) bzw. bei "Überausschüttungen" bei KapG-Beteiligungen innerhalb der Fünfjahresfrist:

komplette Versagung der Verschonung bei Verstoß

IV. Verfahrensfragen/steuerliche Nebenleistungen/Sonstiges
7. Meldepflichten gem. § 13a Abs. 7 ErbStG; Festsetzungsfrist
8. Erstreckung auf ausländisches Vermögen gem. § 13a Abs. 8 ErbStG
9. Analogie gem. § 13a Abs. 11 ErbStG (z. B. für Erbersatzsteuer)
 

Rz. 12

b) Vollverschonung (volle Befreiung bei sieben Jahren Kontinuität gem. § 13a Abs. 10 ErbStG)

Tabelle 2

 
I. Tatbestandsvoraussetzungen für die Verschonungsregel
1. Prüfung (§ 13b Abs. 1 ErbStG): dem Grunde nach begünstigungsfähiges Vermögen
2.a) Erste Verwaltungsvermögens-Prüfung: 90-%-Test nach § 13b Abs. 2 und 3 ErbStG: (Brutto)-Verwaltungs-/Produktivvermögen
b) bei bestandenem 90-%-Test zweite Verwaltungsvermögens-Prüfung: 20-%-Test gem. § 13a Abs. 10 Nr. 6 ErbStG s. Tabelle 3 Finanzmitteltest
c) Negativ-Prüfung: § 13a Abs. 5 ErbStG (...

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