Rz. 21

In der Praxis sind letztwillige Verfügungen oftmals auslegungsbedürftig (instruktiv: OLG Braunschweig, Beschluss vom 13.05.2020, ZEV 2020, 687). Das Gesetz enthält hierzu einige Vermutungen, die i. R.d. Auslegung zu berücksichtigen sind. So enthält die Einsetzung als Nacherbe im Zweifel auch die Einsetzung als Ersatzerbe (§ 2102 Abs. 1 BGB). Stirbt daher der Vorerbe vor Eintritt des Erbfalls, so wird der im Testament benannte Nacherbe Ersatzerbe für den Vorerben. Bei Zweifeln über die Einsetzung als Nacherbe oder Ersatzerbe ist von einem Ersatzerben auszugehen (§ 2102 Abs. 2 BGB). Hat der Erblasser eine Person als Vorerben eingesetzt, ohne einen Nacherben zu benennen, so ist im Zweifel davon auszugehen, dass die gesetzlichen Erben – mit Ausnahme des Fiskus – zu Nacherben berufen sind (§ 2104 BGB; vgl. auch OLG Oldenburg vom 23.02.2010, ZEV 2010, 635 bei unwirksamer Nacherbeneinsetzung). Entsprechendes gilt bei fehlender Einsetzung eines Vorerben. Im Zweifel sind dies auch die gesetzlichen Erben, wobei hier das Erbrecht des Fiskus nicht ausgeschlossen ist (§ 2105 BGB). Ist Nacherbschaft angeordnet, ohne dass der Zeitpunkt des Beginns der Nacherbschaft bestimmt ist, so tritt die Nacherbfolge mit dem Tod des Vorerben ein (§ 2106 BGB). Haben sich Ehegatten in einem gemeinsamen Testament gegenseitig als Erben eingesetzt und bestimmt, dass nach dem Tod des Letztversterbenden der Nachlass an einen Dritten fallen soll, ist der Dritte Schlusserbe des Letztversterbenden (sog. Berliner Testament, § 2269 BGB; s. auch BFH vom 09.07.2009, BFH/NV 2009, 1994). Die Anordnung einer Vor- und Nacherbschaft ist im Zweifel nicht anzunehmen. Allerdings soll bei der testamentarischen Anordnung einer Erbeneinsetzung und einer weiteren gegenständlich beschränkten Erbeneinsetzung eine Umdeutung in eine Vor- und Nacherbschaft in Frage kommen können (OLG Düsseldorf vom 20.09.2017, ZEV 2017, 733 (LS); OLG Hamburg vom 06.10.2015, ZEV 2016, 385; vgl. auch Hahn, ZEV 2016, 360).

 

Rz. 22

Für die Abgrenzung zwischen Vorerbschaft einerseits und Vermächtnisnießbrauch anderseits sieht das Gesetz keine Auslegungsregel vor. Es kann daher nur auf sonstige Indizien zurückgegriffen werden, um zu ermitteln, ob eine Vorerbschaft oder ein Vermächtnisnießbrauch gewollt war (vgl. auch FG Köln vom 29.06.2017, ZEV 2017, 727 m. Anm. Wacker sowie OGL Düsseldorf Beschluss vom 16.03.2021 ErbR 2021, 603 mit Anm. Reinert ErbR 2021, 933). Wollte der Erblasser dem Erstberufenen die Erbschaft zu eigenem Recht überlassen, so ist eine Vorerbschaft gegeben. Wollte dem hingegen der Erblasser dem Erstberufenen nur die Nutzungsmöglichkeit am Nachlass einräumen, den Nachlass aber von vornherein anderen Personen zukommen lassen, so ist ein Nießbrauchsvermächtnis gegeben.

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