Rz. 20

Bei der Berechnung des Kapitalwerts nach § 14 Abs. 1 BewG ist die durchschnittliche Lebenserwartung auch in den Fällen maßgebend, wenn offensichtlich ist, dass die individuelle Lebenserwartung wesentlich kürzer sein wird (z. B. wenn der Berechtigte schwer erkrankt ist). Diese Fälle greift § 14 Abs. 2 BewG auf. Hat eine nach § 14 Abs. 1 BewG bewertete Nutzung oder Leistung bis zu einem bestimmten Alter jeweils eine bestimmte tatsächliche Laufzeit (Mindestdauer) nicht überschritten und beruht der Wegfall auf dem Tod des Berechtigten oder Verpflichteten, so ist nach § 14 Abs. 2 Satz 1 BewG die Festsetzung der nicht laufend veranlagten Steuern (z. B. Erbschaft- und Schenkungsteuer; damit ist die Vorschrift ausschließlich auf das Steuerrecht beschränkt und ist z. B. bei zivilrechtlichen Kapitalwertberechnungen nicht zu beachten; s. a. Rn. 8) auf Antrag nach der wirklichen Dauer der Nutzung oder Leistung zu berichtigen. Die Einschränkung auf eine genau bestimmte tatsächliche Laufzeit lässt erkennen, dass der Gesetzgeber nur in ausdrücklich genannten Ausnahmefällen die Berichtigung zulassen will. Die Einschränkung wäre unverständlich, wenn § 14 Abs. 2 BewG nur der Ausdruck des allgemeinen Grundsatzes sein sollte, dass jede Bewertung eines Nutzungsrechtes oder einer Leistung nachträglich berichtigt werden kann.

Übersteigt die tatsächliche Lebensdauer die durchschnittlich unterstellte, ist vom Gesetz jedoch keine Berichtigung vorgesehen.

 

Rz. 21

Wie in den Fällen des § 5 Abs. 2 und § 6 Abs. 2 BewG ist die ursprüngliche bestandskräftige Steuerfestsetzung nach § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AO (rückwirkendes Ereignis) mit Wirkung für die Vergangenheit zu berichtigen.

 

Rz. 22

Der Antrag ist bis zum Ablauf des Jahres zu stellen, das auf den Wegfall der Nutzung oder Leistung folgt (§ 14 Abs. 2 Satz 2 i. V. m. § 5 Abs. 2 Satz 2 BewG) und ist sinnvoll, da sich die Neubewertung zugunsten des Stpfl. auswirkt (niedrigere Erbschaft- oder Schenkungsteuer).

 

Rz. 23

Ist eine Last weggefallen, so bedarf die Berichtigung keines Antrags (§ 14 Abs. 2 Satz 3 BewG). Die Berichtigung erfolgt in diesen Fällen von Amts wegen (höhere Erbschaft- oder Schenkungsteuer).

 

Rz. 24

Kommt eine Berichtigung nach § 14 Abs. 2 BewG in Betracht, so erfolgt die Neubewertung des Kapitalwerts nach § 13 Abs. 1 Satz 1 BewG. Dabei wird die tatsächliche Laufzeit zugrunde gelegt.

 

Rz. 25

Zur Kollision des § 198 BewG mit der Regelung des § 14 Abs. 2 BewG vgl. Krause/Grootens (NWB 2011, 1142), die insoweit auf Gestaltungsspielräume hinweisen.

 

Rz. 26

Der BFH (Urteil vom 28.06.1989, BStBl II 1989, 896) ist der Auffassung, dass keine Berichtigung des Erbschaftsteuerbescheides nach § 14 Abs. 2 BewG erfolgt, wenn der Nießbrauchsberechtigte auf das geerbte Nießbrauchsrecht verzichtet (u. E. wäre jedoch die Anwendung des § 5 Abs. 2 oder § 7 Abs. 2 BewG möglich).

 

Rz. 27

Wird i. R. einer Zugewinngemeinschaft der ausgleichsverpflichtete Ehegatte beim Tod des ausgleichsberechtigten Ehegatten dessen Alleinerbe, steht nach Ansicht des BFH (Urteil vom 22.08.2018, BStBl II 2020 II, 662) der fingierte Fortbestand von Zugewinnausgleichsforderung und -verbindlichkeit nach § 10 Abs. 3 ErbStG der Berichtigung des Kapitalwerts nach § 14 Abs. 2 BewG des als Vorerwerb anzusetzenden Nutzungsvorteils nicht entgegen.

 

Beispiel 1:

Durch ein testamentarisches Rentenvermächtnis erhält ein 49-Jähriger eine Leibrente ab dem 01.03.2021 i. H. v. 800 EUR (Monat). Er verstirbt jedoch bereits 9 Jahre nach Rentenbeginn.

Lösung:

Die Leibrente muss für den Vermögensanfall des Vermächtnisnehmers (§ 3 Abs. 1 Nr. 1, 2. Alt. ErbStG) bewertet werden; das Wahlrecht zur Jahresversteuerung nach § 23 ErbStG ist dabei zu beachten. Auch für den Ansatz der Nachlassverbindlichkeiten (§ 10 Abs. 5 Nr. 2, 1. Alt. ErbStG) bei den/dem Erben ist der Kapitalwert des Rentenvermächtnisses zu ermitteln.

Die Bewertung einer Leibrente erfolgt (zunächst) nach § 14 Abs. 1 BewG mit ihrem Kapitalwert. Er berechnet sich nach der Formel:

Jahreswert × Vervielfältiger (Kapitalisierungsfaktor) = Kapitalwert

Nach dem BMF-Schreiben vom 28.10.2020 (BStBl I 2020, 1048) ergibt sich für den Vermächtnisnehmer ein Vervielfältiger von 15,176 bei einer durchschnittlichen Lebenserwartung von 31,25 Jahren.

 
Jahreswert 9.600 EUR
Vervielfältiger 15,176
Kapitalwert 145.689 EUR

Bis zum Ende des Jahres 2031 haben die Erben des Vermächtnisnehmers die Möglichkeit, einen Antrag auf Berichtigung der ursprünglichen Erbschaftsteuerfestsetzung nach § 14 Abs. 2 BewG zu stellen. Die Voraussetzung nach § 14 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 BewG ist erfüllt, da die tatsächliche Laufzeit der Rente nicht mehr als 9 Jahre beträgt. Der (berichtigte) Kapitalwert berechnet sich nach § 13 Abs. 1 Satz 1 BewG i. V. m. Tabelle 6 des Kapitalisierungserlasses vom 10.10.2010 (BStBl I 2010, 810) bzw. Anlage 9a zum BewG wie folgt:

 
Jahreswert 9.600 EUR
Vervielfältiger (Laufzeit 9 Jahre) 7,143
Kapitalwert 68.572 EUR

Das FA muss die ursprüngliche Erbschaftsteuerfestsetzung zugunsten des Vermächtnisnehmers änd...

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