Ausgewählte Rechtsprechung:

BFH vom 14.07.2011, BFH/NV 2011, 1881;

FG Berlin vom 10.03.1992, EFG 1992, 470.

 

Rz. 10

Eine Steuerermäßigung gem. § 27 Abs. 1 ErbStG kann nur gewährt werden, wenn beide Vermögensübergänge innerhalb der Steuerklasse I erfolgt sind. Entscheidend ist dabei die Betrachtung des jeweiligen Erwerbvorgangs; ohne Bedeutung ist die Frage, in welchem Verhältnis der Letzterwerber zum ursprünglichen Vermögensübertragenden steht.

 
Praxis-Beispiel

In 2015 stirbt der A. Erbe ist sein Sohn S. In 2019 verstirbt der S und wird beerbt von

  1. seiner Ehefrau E,
  2. seinem Bruder B.

Lösung:

  1. § 27 ErbStG ist anwendbar, da der Erwerb von A auf S innerhalb der Steuerklasse I erfolgte, ebenso wie der Erwerb von S auf E. Die Tatsache, dass die E im Verhältnis zu A in Steuerklasse II fällt, ist ohne Bedeutung.
  2. § 27 ErbStG ist nicht anwendbar, da der Erwerb von S auf B innerhalb der Steuerklasse II erfolgt. Dass der B im Verhältnis zum A in Steuerklasse I fällt, ist ohne Bedeutung.
 

Rz. 11

Nach Ansicht der Rechtsprechung sind die Steuerklassen maßgeblich, die im Zeitpunkt des zu besteuernden (Letzt-)Erwerbs gelten (s. FG Berlin vom 10.03.1992, EFG 1992, 470). Dies ist bspw. von Bedeutung, wenn sich die Zuordnungen zu den Steuerklassen ändern (z. B. im Jahr 1997 Zusammenfassung der Steuerklassen I und II zu Steuerklasse I).

 
Praxis-Beispiel

In 1996 vererbt die T ihrer Mutter M ein Grundstück. In 2005 stirbt die M, Erbe ist ihr Sohn S.

Lösung:

Obwohl der Erwerb in 1996 in Steuerklasse II erfolgte (§ 15 Abs. 1 Steuerklasse II Nr. 2 ErbStG a. F.), ist § 27 Abs. 1 ErbStG anwendbar, da die M im Verhältnis zu ihrer Tochter T nach dem in 2005 geltenden § 15 Abs. 1 Nr. 1 Steuerklasse I Nr. 4 ErbStG in die Steuerklasse I fällt.

 

Rz. 12

Diese Rechtsprechung bezieht sich allerdings nur auf eine Änderung der rechtlichen Regelungen. Fraglich ist, ob die gleichen Grundsätze gelten, wenn sich das Angehörigenverhältnis zwischenzeitlich geändert hat. Meincke plädiert dafür, auch in diesem Fall auf den Zeitpunkt des Letzterwerbs abzustellen (s. Hannes/Holtz in M/H/H, § 27 Rn. 6). Hierfür finden sich jedoch keinerlei Anhaltspunkte im Gesetz. Zu Recht vertritt Jülicher (in T/G/J/G, § 27 Rn. 6) daher die Ansicht, dass tatsächliche Änderungen zwischen den beiden Erwerben wie Heirat oder Adoption nicht auf den Zeitpunkt des Vorerwerbs zurückbezogen werden können.

 
Praxis-Beispiel

In 2010 schenkt der E seiner Verlobten V ein Grundstück. In 2012 heiraten sie. In 2019 verstirbt die V und vererbt das Grundstück an ihren Sohn S.

Lösung:

Die Voraussetzungen für eine Ermäßigung gem. § 27 Abs. 1 ErbStG sind nicht gegeben, da der Erwerb der V im Verhältnis zu E in Steuerklasse III fällt, da die beiden zum Zeitpunkt des Erwerbs nicht verheiratet waren.

 

Rz. 13

Ist das Vermögen innerhalb des Zehnjahreszeitraums mehr als zweimal übergegangen, so ist es unschädlich, wenn zwischenzeitlich auch Erwerbe in anderen Steuerklassen vorgekommen sind (s. Jülicher in T/G/J/G, § 27 Rn. 5). Die Höhe der Steuerermäßigung richtet sich dann nach der Frage, wann das Vermögen zuletzt innerhalb der Steuerklasse I übergegangen ist.

 
Praxis-Beispiel

Am 14.05.2011 stirbt der E. Erbin ist seine Tochter T. Diese verstirbt ihrerseits am 07.07.2015 und wird von ihrem Bruder B beerbt. Der B stirbt am 15.12.2019, Erbe ist sein Sohn S.

Lösung:

§ 27 ErbStG ist anwendbar, da das Vermögen, das der S erhalten hat, vor mehr als acht, aber weniger als zehn Jahren bereits einmal von einer Person der Steuerklasse I, nämlich der T erworben worden ist.

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