Rz. 4

Mit Beschluss vom 27.09.2012 (ZEV 2012, 599) hatte der BFH (II. Senat) das ErbStG (2009) dem BVerfG zur Frage der Verfassungskonformität vorgelegt. Das vorgelegte ErbStG (2009) führte im Wesentlichen zu drei Beanstandungen des BVerfG in der Entscheidung vom 17.12.2014 (Az.: 1 BvL 21/12), die Viskorf, Steuerfachtagung Frankfurt am 02.02.2016 – wie folgt – zusammenfasste:

  • das Förderziel "Arbeitsplatzerhalt" ist durch die konkrete Ausgestaltung (mit der Freistellung zu bis 20 Arbeitnehmern) nicht tragfähig;
  • die Abgrenzung zwischen begünstigungswürdigem Betriebsvermögen und steuerpflichtigem Privatvermögen ist durch unangemessene Pauschalierungen und durch exzessive Gestaltungsmöglichkeiten (z. B. durch den Kaskadeneffekt bei Konzernstrukturen) missglückt;
  • die pauschale Verschonung ist nur bei KMU-Betrieben gerechtfertigt, bei größeren Unternehmen hingegen nicht hinnehmbar.
 

Rz. 5

Das BVerfG schließlich räumte dem Parlament eine Frist zur Beseitigung des verfassungswidrigen ErbStG (2009) bis zum 30.06.2016 ein. Der zum 24.06.2016 vorgelegte Gesetzesentwurf erfuhr durch den Vermittlungsausschuss noch einige Änderungen und wurde am 29.09.2016 vom Bundestag beschlossen. Der Bundesrat hat am 14.10.2016 dem Einigungsvorschlag zugestimmt. Am 04.11.2016 wurde das Gesetz zur Anpassung des Erbschaftsteuer- und Schenkungsteuergesetzes an die Rechtsprechung des BVerfG vom 04.11.2016 im Bundesgesetzblatt (BGBl I 2016, 2464) veröffentlicht (nachfolgend: ErbStG 2016). Am 22.06.2017 trat der Ländererlass zur Anwendung des neuen ErbStG (nachfolgend zitiert als ErbStErl) in Kraft. Mit Ausnahme Bayerns haben sich die restlichen 15 Bundesländer diesem Erlass angeschlossen.

 

Rz. 6

Ausgelöst durch das StUmgBG vom 23.06.2017 (BGBl I 2017, 1682), mit dem gemeinschaftsrechtliche Belange berücksichtigt werden, drohte dem aktuellen ErbStG 2016 das Urteil "europarechtswidrige Beihilfe" (vgl. Wachter, DB 2016, 1273). Die neuen Verschonungsregelungen gelten rückwirkend für alle Erwerbe ab dem 01.07.2016. Für Erwerbe zwischen dem 01.07.2016 und dem 14.10.2016 geht die amtliche h. M. (Finanzverwaltung) von einer verfassungsrechtlich zulässigen unechten Rückwirkung aus, da ab dem 24.06.2016 kein Steuerbürger auf den Fortbestand der alten Regelung vertrauen durfte (vgl. aber in diesem Zusammenhang den BVerfG-Beschluss vom 10.10.2012 zur unechten Rückwirkung: Vertrauensschutz bis zur Veröffentlichung des Ergebnisses des Vermittlungsausschusses).

 

Rz. 7

Zur Frage der "steuerbefreienden Rückwirkung" nimmt R E 13a.2 Abs. 3 Satz 3 ErbStR differenziert Stellung:

  • Für die Ermittlung des Schwellenwerts von 26 Mio. EUR werden auch Vorerwerbe innerhalb von zehn Jahren einbezogen, für welche die Steuer vor dem 30.06.2016 entstanden ist;
  • Die grundsätzliche Regel- bzw. Optionsverschonung (§ 13a Abs. 1 Satz 1 und § 13a Abs. 10 ErbStG) entfällt aber bei Überschreiten der Prüfschwelle nur für solche Zehnjahres-Erwerbe, bei denen die Steuer nach dem 20.06.2016 entstanden ist. Vordergründig gilt schließlich die Aussage einer zulässigen Rückwirkung auch für den ab 01.01.2016 geltenden Kapitalisierungsfaktor von 13,75 bei der Bewertung des Betriebsvermögens (statt des für 2016 bis dahin angesetzten Faktors von 17,86). Für den Fall jedoch, dass ein Erwerb in der ersten Halbjahreshälfte 2016 nach-(bzw. neu-)bewertet wird und sich dadurch eine nachteilige Vermögensverwaltungsquote (über 50 %) ergeben sollte, kann dies mit einer gravierenden Nachbesteuerung verbunden sein (vgl. Viskorf/Löcherbach/Jehle, DStR 2016, 2425).
  • Das BMF hatte mit Billigkeitserlass vom 11.05.2017 (BStBl I 2017, 751) zu dieser Frage Stellung genommen. Es unterscheidet zwischen den unmittelbaren Folgen und den mittelbaren Folgen der rückwirkenden Anwendung.
  • Zu den unmittelbaren Folgen zählt die rückwirkende Anwendung des § 203 BewG für nicht bestandskräftige Wertfeststellungen gem. § 151 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 und 3 BewG für die Stichtage in der 1. Halbjahreshälfte 2016. Bei Änderungen von bestandskräftigen Bescheiden zu Ungunsten ist § 177 Abs. 1 AO zu beachten.
  • Bzgl. der mittelbaren Folgen in der 1. Halbjahreshälfte 2016 wird – wörtlich – ausgeführt BMF-Schreiben vom 11.05.2017: Wenn sich der festgestellte gemeine Wert im Rahmen der Verschonung nach § 13a ErbStG a. F. bei der Festsetzung der Erbschaft- und Schenkungsteuer zum Nachteil des Erwerbers auswirkt, ist jedoch im Einzelfall auf Antrag beim zuständigen Erbschaft- bzw. Schenkungsteuerfinanzamt eine abweichende Steuerfestsetzung vorzunehmen. Den Berechnungen zur Prüfung der Grenze von 50 % bzw. 10 % bei der Quote des Verwaltungsvermögens (§ 13b Abs. 2 Satz 1 ErbStG a. F.) und der Berechnung des Sockelbetrags für die Finanzmittel (§ 13b Abs. 2 Satz 2 Nr. 4a ErbStG a. F., § 13a Abs. 8 Nr. 3 ErbStG a. F.) ist der im vereinfachten Ertragswertverfahren auf der Grundlage des Kapitalisierungsfaktors von 17,8571 errechnete Wert des Werts des Betriebsvermögens oder des Anteils am Betriebsvermögen oder von Anteilen an Kapitalgesellschaften zugrunde zu leg...

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