Schrifttum

Heimann, Bindungswirkungen von Gerichtsentscheidungen für die Verwaltung. Zur Rechtmäßigkeit von Nichtanwendungserlassen, FS 30 Jahre Fachhochschule des Bundes für öffentliche Verwaltung, 2009, 223;

Weber-Grellet, Die positive Bedeutung von Nichtanwendungserlassen, FS Lang, 2010, 927;

Nöcker, Nichtanwendungserlasse und Vertrauensschutz, AO-StB 2011, 313;

Wohlleb, Wirkung und Bindung von Normen, Urteilen und Anweisungen, StW 2011, 63;

Michl, Gegenstand des Klagebegehrens/Streitgegenstand im finanzgerichtlichen Verfahren, UR 2017, 826.

A. Allgemeines, Bedeutung

 

Tz. 1

Stand: 22. Auflage – ET: 10/2018

Die Vorschrift regelt die Bindungswirkung rechtskräftiger Urteile. Sie gilt gleichermaßen für zum Urteil erstarkte Gerichtsbescheide (§ 90a FGO). Mit der Bindungswirkung soll sichergestellt werden, dass eine rechtskräftige Entscheidung nicht nochmals Gegenstand eines gerichtlichen Verfahrens ist. Mit der Erstreckung der Bindungswirkung auf Dritte sollen zudem widersprüchliche Entscheidungen über den gleichen Streitgegenstand verhindert werden. Von der Rechtskraftwirkung zu unterscheiden ist die Tatbestandswirkung von Gestaltungsurteilen, die von anderen Gerichten oder Behörden zu beachten ist.

B. Formelle Rechtskraft

 

Tz. 2

Stand: 22. Auflage – ET: 10/2018

Nur formell rechtskräftige Urteile sind der materiellen Rechtskraft fähig. Formelle Rechtskraft finanzgerichtlicher Urteile tritt ein, wenn ein Urteil nicht mehr mit Rechtsmitteln angegriffen werden kann, sei es, dass kein Rechtsmittel gegeben ist, sei es, dass die Frist für die Einlegung eines Rechtsmittels ungenützt verstrichen ist und keine Wiedereinsetzung erfolgt ist (s. § 56 FGO) oder dass Rechtsmittelverzicht erklärt wurde (§§ 566, 514 ZPO i. V. m. § 155 FGO). Wird ein Rechtsmittel (NZB, Revision) verworfen oder zurückgewiesen, so tritt formelle Rechtskraft mit der Rechtskraft der BFH-Entscheidung ein. Auch die Rücknahme eines Rechtsmittels führt zur Rechtskraft des erstinstanzlichen Urteils. Sagt das FA im Klageverfahren die Änderung des angefochtenen Bescheids zu und erklären daraufhin die Beteiligten die Hauptsache für erledigt, ist ein erneuter Rechtsbehelf gegen den entsprechend der Zusage ergangenen Abhilfebescheid unzulässig (FG Mchn v. 23.02.2015, 7 K 3229/14, n. v.).

C. Tatbestandliche Voraussetzungen

I. Reichweite der materiellen Rechtskraft

 

Tz. 3

Stand: 22. Auflage – ET: 10/2018

Die Vorschrift betrifft die materielle Rechtskraft und regelt sie in objektiver und subjektiver Weise. Die materielle Rechtskraft reicht so weit, wie über den Streitgegenstand entschieden ist, setzt mithin ein Sachurteil voraus. Ein Prozessurteil entfaltet daher keine Bindungswirkung, die über die Entscheidung über die Sachurteilsvoraussetzungen hinausgeht (BFH v. 27.10.2010, VIII S 44/10, BFH/NV 2011, 2845). Streitgegenstand ist das Klagebegehren, also die Rechtsfolge, die der Kläger aus dem vorgetragenen Sachverhalt herleitet. Dabei ergibt sich der Umfang der materiellen Rechtskraft vor allem aus der Urteilsformel, also dem Tenor. Nur ergänzend sind bei Unklarheiten Tatbestand und Entscheidungsgründe mit heranzuziehen (BFH v. 19.12.2006, VI R 63/02, BFH/NV 2007, 924; BFH v. 12.01.2012, IV R 3/11, BFH/NV 2012, 779). Soweit der sachliche Umfang der materiellen Rechtskraft reicht, müssen die Beteiligten (§ 57 FGO), bei einheitlicher Feststellung von Besteuerungsgrundlagen auch die nicht klageberechtigten Beteiligten (§ 48 Abs. 1 Nr. 1 FGO), im Falle des § 60a FGO diejenigen Personen, die keinen bzw. keinen fristgerechten Antrag gestellt haben, die Rechtsnachfolger von Beteiligten und auch die öffentlich-rechtliche Körperschaft, der die beteiligte Finanzbehörde angehört, die Feststellungen des Urteils gegen sich gelten lassen (BFH v. 14.10.2008, I B 88/08, BFH/NV 2009, 184). Weder die Finanzbehörde noch die ihr übergeordneten Behörden, insbes. nicht die Oberfinanzdirektion als Aufsichtsbehörde, sind berechtigt, aus dem Sachverhalt mittels abweichender rechtlicher Beurteilung anderweitige Folgerungen herzuleiten. Auch steht die Bindungswirkung einer abweichenden finanzgerichtlichen Entscheidung in derselben Sache zwischen den Beteiligten und ihren Rechtsnachfolgern entgegen. Allerdings entsteht keine Bindungswirkung über mehrere Veranlagungszeiträume hinweg, wenn jeder Veranlagungszeitraum Streitgegenstand eines finanzgerichtlichen Verfahrens war (BFH v. 10.05.2012, IV R 34/09, BStBl II 2013, 471). Kommt das FG trotz gleichen Sachverhalts und unveränderter Rechtslage zu widersprüchlichen Ergebnissen, kann gleichwohl jede Entscheidung in Rechtskraft erwachsen. Die Widersprüchlichkeit berührt die Bindungswirkung der jeweiligen Entscheidung nicht. In aller Regel dürfte auch eine Änderung der Steuerfestsetzungen nach den Korrekturvorschriften der AO ausscheiden (BFH v. 12.01.2012, IV R 3/11, BFH/NV 2012, 779). Im Ergebnis bedeutet das: Eine Kollision von Rechtskraftwirkungen verschiedener Entscheidungen ist stets ausgeschlossen, wenn sie zu verschiedenen Streitjahren ergangen sind (BFH v. 30.08.2012, X B 231/11, BFH/NV 2013, 56).

Nicht an dem Rechtsstreit beteiligte Dritte bindet die Entscheidung nicht; allerding...

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