Tz. 1

Stand: 22. Auflage – ET: 10/2018

Offenbare Unrichtigkeiten sind – wie auch die beispielhafte Aufzählung in § 107 Abs. 1 FGO zeigt – Flüchtigkeitsfehler der formalen Sphäre, nicht hingegen im Bereich des Überlegens, Folgerns und Urteilens (= Bildung des Entscheidungswillens); sie haften dem äußeren Zustandekommen des Urteils an. Bei einem Rechtsirrtum oder einem Denkfehler findet § 107 FGO keine Anwendung (BFH v. 17.03.2000 IX 111/99, BFH/NV 2000, 1127). Derartige Fehler können nur im Rechtsmittelverfahren korrigiert werden (BFH v. 10.02.2004, X B 75/03, BFH/NV 2004, 663). Eine berichtigungsfähige Unrichtigkeit liegt schon dann nicht mehr vor, wenn die Möglichkeit einer fehlerhaften Rechtsanwendung besteht (BFH v. 19.08.2015, V B 26/15, BFH/NV 2015, 1599). Berichtigt werden kann das Urteil, also sowohl Rubrum, Tenor, Tatbestand als auch die Entscheidungsgründe. Allerdings muss sich die Unrichtigkeit nicht unmittelbar aus dem Urteil ergeben. So ist die Urteilsberichtigung auch zulässig, wenn der Fehler sich einwandfrei aus den Akten ergibt (BFH v. 04.09.1984, VIII B 157/83, BStBl II 1984, 834). Als typische offenbare Unrichtigkeiten nennt § 107 Abs. 1 FGO Schreib- und Rechenfehler. Die Nennung ist, wie das Tatbestandsmerkmal "ähnliche offenbare Unrichtigkeiten" zeigt, nicht abschließend. Ähnlich sind offenbare Unrichtigkeiten, wenn es sich um Erklärungsmängel handelt, die zu dem Erklärungswillen des Gerichts erkennbar im Widerspruch stehen. Offenbar ist die Unrichtigkeit, wenn sie – objektiv gesehen – augenfällig auf der Hand liegt, sie durchschaubar und eindeutig ist (BFH v. 22.07.2005, V B 84/02, BFH/NV 2005, 2218; BFH v. 20.09.2010, V R 2/09, BFH/NV 2011, 302; BFH v. 06.10.2010, I R 12/09, BFH/NV 2011, 275). Dies kann auch bei einer fehlerhaften Beteiligtenbezeichnung, auch nach einem Zuständigkeitswechsel, der Fall sein (BFH v. 28.11.2011, III B 96/09, BFH/NV 2012, 742; BFH v. 30.09.2013, XI B 57/13, BFH/NV 2014, 61) oder auch wenn ein verhindertes Urteil in der schriftlichen Form als Gerichtsbescheid versendet wird (BFH v. 24.10.2012, X B 161/11, BFH/NV 2013, 392). Auch eine Auslassung kann eine offenbare Unrichtigkeit sein (BFH v. 24.08.2011, IX B 49/11, BFH/NV 2012, 54). Zu Einzelfällen offenbarer Unrichtigkeiten s. § 129 AO Rz. 6 ff.

 

Tz. 2

Stand: 22. Auflage – ET: 10/2018

Auch wenn die FGO nicht den durch das Rechtsinstitut der Festsetzungsfrist (§§ 169ff. AO) bedingten Besonderheiten ausdrücklich angepasst ist, besteht u. E. kein Zweifel, dass die für die Berichtigung gem. § 129 AO geltenden einschlägigen Regelungen entsprechend auf die Fehlerberichtigung gem. § 107 FGO anzuwenden sind. Damit ist auch eine Urteilsberichtigung nur zulässig, solange die Festsetzungsfrist noch nicht abgelaufen ist (§ 169 Abs. 1 Satz 2 AO). Für den Ablauf der Festsetzungsfrist gilt § 171 Abs. 2 AO entsprechend, wobei für die Berechnung der hiernach zu beachtenden Jahresfrist die Zustellung des zu berichtigenden Urteils maßgebend ist.

 

Tz. 3

Stand: 22. Auflage – ET: 10/2018

Die Berichtigung bedarf keines Antrages; sie kann auch von Amts wegen erfolgen. Entscheiden muss das Gericht, jedoch nicht notwendig in der Besetzung bei Fällung des Urteils. Der Berichtigungsbeschluss ist durch den Urkundsbeamten sowohl auf dem Urteil als auch auf den Ausfertigungen zu vermerken. Letztere sind ggf. bei den Beteiligten zur Anbringung des Vermerks anzufordern. Bei elektronischer Urteilsabfassung ist auch der Beschluss elektronisch abzufassen und mit dem Urteil untrennbar zu verbinden. Dies gilt u. E. sowohl für die elektronische Fassung des Urteils als auch für das unterzeichnete Originalurteil, sodass stets ein Ausdruck des Berichtigungsbeschlusses erforderlich sein dürfte. Den Ausfertigungen ist in diesem Fall ebenfalls ein Ausdruck der Berichtigung beizufügen. Die praktische Umsetzung der gesetzlichen Vorgaben erweist sich als schwierig. Es ist schon unklar, wie der elektronische Beschluss mit dem Urteil untrennbar verbunden werden soll. Möglich ist dies nur durch die Erstellung eines neuen elektronischen Dokuments. Dieses neue Dokument ist sodann den Beteiligten zu übermitteln. Sind die vorherigen Ausfertigungen, die zu berichtigen sind, elektronisch übersandt worden, kann auf deren Rückforderung verzichtet werden. Zum einen kann nach einem elektronischen Versand schon nicht sichergestellt werden, dass nicht bereits weitere Ausfertigungen ausgedruckt wurden, zum anderen kann auf die elektronisch versandten Dokumente ohnehin kein Berichtigungsvermerk angebracht werden. Es bleibt dann allein bei der Versendung des neuen, berichtigten Dokuments. Gegen den Beschluss findet Beschwerde statt (§ 128 FGO). Desgleichen findet Beschwerde statt gegen den eine beantragte Berichtigung ablehnenden Beschluss (BFH v. 17.02.2011, IX B 160/10, BFH/NV 2011, 831). Die Beschwerde ist anders als das Berichtigungsverfahren selbst nicht kostenfrei (st. Rspr., u. a. BFH v. 26.07.1999, V 71/99, BFH/NV 2000, 66; BFH v. 11.05.2010, IX B 209/09, BFH/NV 2010, 14...

Das ist nur ein Ausschnitt aus dem Produkt Kühn, Abgabenordnung und Finanzgerichtsordnung (Schäffer-Poeschel). Sie wollen mehr?

Anmelden und Beitrag in meinem Produkt lesen


Meistgelesene beiträge