Tz. 6

Stand: 22. Auflage – ET: 10/2018

Auch im finanzgerichtlichen Verfahren besteht ein Interesse an einer effizienten Sachaufklärung. Deshalb verweist § 96 Abs. 1 Satz 1 FGO auf einige Beweisregeln der AO. Allerdings beschränkt sich die Verweisung auf eine sinngemäße Anwendung auf die § 158 AO (Beweiskraft der Buchführung), § 160 AO (Empfängernachweis) und § 162 AO (Schätzung).

Nach § 158 AO begründet eine formell ordnungsgemäße Buchführung die Vermutung der sachlichen Richtigkeit, sodass deren Ergebnisse auch vom Gericht zugrunde zu legen sind. Erst wenn konkreter Anlass zu Zweifeln an der Richtigkeit bestehen, darf das Gericht die Buchführung "verwerfen" und besteht ggf. Anlass zu einer Schätzung.

§ 160 AO macht die steuerliche Berücksichtigung typischerweise steuermindernder Sachverhalte davon abhängig, dass der Stpfl. einer besonderen Nachweispflicht nachkommt, er nämlich den Empfänger bestimmter steuermindernder Leistungen benennt. Wegen der Verweisung auf die Vorschrift ist das Gericht also nicht nur zur Prüfung verpflichtet, ob die Finanzbehörde im Rahmen der angefochtenen Steuerfestsetzung § 160 AO zutreffend angewandt hat, sondern zugleich berechtigt, auch im finanzgerichtlichen Verfahren von der Möglichkeit des Benennungsverlangens Gebrauch zu machen und im Falle der Nichterfüllung die Folgen bei seiner Entscheidung zugrunde zu legen. Macht das FG von der Möglichkeit Gebrauch, muss es – wie auch die Finanzbehörde – eine zweistufige Ermessensentscheidung treffen, nämlich zum einen, ob überhaupt eine Empfängerbenennung verlangt wird, zum anderen welche Rechtsfolgen aus der Nichtbenennung zu ziehen sind (auch s. § 160 AO Rz. 9). Die Ermessensausübung ist nicht durch § 102 FGO beschränkt, weil es sich um eine originäre Ermessensentscheidung des Gerichts handelt.

Die Bezugnahme auf § 162 AO eröffnet dem FG eine eigenständige Schätzungsbefugnis, wenn sich die Besteuerungsgrundlagen auch nach Ausschöpfung der zur Verfügung stehenden Erkenntnisquellen nicht ermitteln lassen. Dabei stehen dem FG die gleichen Schätzungsbefugnisse wie der Finanzbehörde zu. Dies ist erforderlich, um in den Fällen, in denen eine sichere Feststellung der Besteuerungsgrundlagen nicht möglich ist, Vorteile für den nicht mitwirkenden Stpfl. oder den Beweisverderber zu vermeiden. Das FG kann auch seine eigene Schätzung an die der Finanzbehörde setzen (BFH v. 28.10.2015, X R 47/13, BFH/NV 2016, 171). Als Tatsachenfeststellung ist der BFH im Revisionsverfahren an die Feststellungen gebunden (§ 118 Abs. 2 FGO); ihm steht keine eigene Schätzungsbefugnis zu.

 

Tz. 7

Stand: 22. Auflage – ET: 10/2018

Mangels Verweisung finden § 159 AO, § 161 AO im gerichtlichen Verfahren keine sinngemäße Anwendung (BFH v. 17.12.1997, IX R 30/94, BStBl II 1997, 406; a. A. Seer in Tipke/Kruse, § 96 FGO Rz. 53: redaktionelles Versehen). Abgesehen davon ergeben sich weitere Begrenzungen der Sachaufklärungspflicht und damit Einschränkungen des entscheidungserheblichen Prozessstoffs aus einer Verletzung sonstiger Mitwirkungs- und Nachweispflichten, die sich sowohl aus der AO als auch aus den Einzelsteuergesetzen ergeben können. In diesem Zusammenhang können auch die nicht von der Verweisung erfassten Normen von § 159 AO und § 161 AO Bedeutung gewinnen. Zwischen Sachaufklärungspflicht und Verletzung der Mitwirkungspflicht besteht eine Wechselwirkung. So kommt es nach dem Grad der Verletzung der Mitwirkungspflicht zu einer stufenweisen Verminderung der Sachaufklärungspflicht (BFH v. 01.12.1998, III B 78/97, BFH/NV 1999, 741; BFH v. 18.09.2013, X B 38/13, BFH/NV 2014, 54).

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