Tz. 61

Stand: 22. Auflage – ET: 10/2018

Vom Tatbestandsirrtum zu unterscheiden ist der Verbotsirrtum. Er bezieht sich auf den Unrechtsgehalt des Täterverhaltens bzw. das Verbotensein der Tat. Das Bewusstsein des Täters, durch sein Handeln oder seine Untätigkeit etwas Verbotenes, mit Strafe Bedrohtes zu bewirken, ist ein zusätzliches Schuldelement (s. Rz. 55), auch wenn es nicht ausdrücklich in den gesetzlichen Straftatbestand Aufnahme gefunden hat (BFH v. 18.12.1986, I B 1/86, BStBl II 1988, 211). Entscheidend für das Vorliegen eines Verbotsirrtums sind die persönlichen Verhältnisse des Täters, insbes. der Grad seiner Fähigkeit, das Unrecht zu erkennen oder sich um eine einschlägige Erkenntnis zu bemühen. Ein Verbots- bzw. Gebotsirrtum liegt z. B. vor, wenn der Täter alle Umstände kennt, die eine steuerliche Handlungspflicht begründen und ihm lediglich die die Handlungspflicht begründende Vorschrift unbekannt ist (BGH v. 18.12.1985, 2 StR 461/85, wistra 1986, 219: Berichtigungspflicht nach § 17 UStG). Fehlte dem Täter, ohne dass ihm hieraus ein Vorwurf zu machen war, die Einsicht Unrecht zu tun, so schließt das seine Schuld und damit die Strafbarkeit seines Verhaltens aus. Ließ sich der Täter irrigerweise davon leiten, dass sein Verhalten erlaubt oder jedenfalls nicht strafbar sei, wäre dieser Irrtum aber bei hinreichender Sorgfalt vermeidbar gewesen, so kann die Strafe nach den Grundsätzen des § 49 Abs. 1 StGB gemildert werden. Im Falle der Steuerhinterziehung bedeutet dies, dass sich das Höchstmaß der Freiheitsstrafe von 5 Jahren auf 45 Monate und das Höchstmaß der Geldstrafe von 360 auf 270 Tagessätze verringert.

 

Tz. 62

Stand: 22. Auflage – ET: 10/2018

Da der entschuldbare, d. h. nach den persönlichen Verhältnissen des Täters und dem Grad seiner Einsichtsfähigkeit nicht vermeidbare Irrtum über das Unrecht seines Verhaltens eine Schuld schlechthin ausschließt, kommt auch eine Ahndung wegen bloßer Ordnungswidrigkeit, d. h. leichtfertiger Steuerverkürzung, im Sinne des § 378 AO nicht in Betracht (s. § 11 Abs. 2 OWiG). Hingegen steht der vermeidbare Irrtum des Täters der Bestrafung wegen Steuerhinterziehung nicht entgegen. Im Falle fahrlässiger Begehung lässt der vermeidbare Verbotsirrtum die Ahndung als Ordnungswidrigkeit nach § 378 AO unberührt, allerdings unter angemessener Berücksichtigung bei der Festsetzung der Geldbuße.

 

Tz. 62a

Stand: 22. Auflage – ET: 10/2018

Ein Verbotsirrtum ist unvermeidbar, wenn sich der Steuerpflichtige an einen rechtskundigen Steuerberater oder Rechtsanwalt wendet und dieser nach umfassender Prüfung der Sach- und Rechtslage eine Auskunft erteilt (BayObLG v. 08.09.1988, RReg 5 St 96/88, wistra 1989, 195); anders, wenn der Steuerpflichtige trotzdem an seiner "willkürlich anmutenden Gesetzesauslegung" festhält (OLG Düsseldorf v. 15.09.1989, 5 Ss (OWi) 257/89 – (OWi) 104/89 I, wistra 1990, 113; zum Verbotsirrtum bei ungeklärter Rechtslage s. OLG Celle 11.04.1989, 1 Ss 287/88, wistra 1989, 355; zum Verbotsirrtum im Rahmen der sog. Parteispendenaffäre: s. BGH v. 28.01.1987, 3 StR 373/86, wistra 1987, 139; BFH v. 18.12.1986, I B 1/86, BStBl II 1988, 211).

 

Tz. 63

Stand: 22. Auflage – ET: 10/2018

In den Bereich des Verbotsirrtums fallen auch die vermeintlichen Rechtfertigungsgründe, von denen sich die Steuerpflichtigen bei ihren mangelhaften oder unterlassenen Angaben und Erklärungen zuweilen leiten lassen und zufolge deren sie zu der Überzeugung gelangen, ihr Verhalten sei gerechtfertigt. So wird ein Verstoß gegen die Aktivierungspflicht bezüglich "schwarzer" oder veruntreuter Vermögenswerte nicht durch die Annahme gerechtfertigt, die Aktivierung sei wegen der mit ihr verbundenen Selbstbezichtigung nicht geboten oder nicht zumutbar (BGH v. 18.11.1960, 4 StR 13/60, BStBl I 1961, 495).

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