Tz. 19

Stand: 22. Auflage – ET: 10/2018

Die Durchführung eines Verwaltungsverfahrens oder eines gerichtlichen Verfahrens in Steuersachen bedingt ebenso wie die Durchführung eines Strafverfahrens wegen einer Steuerstraftat oder eines Bußgeldverfahrens wegen einer Steuerordnungswidrigkeit die Offenlegung aller verfahrensrelevanten Tatsachen und sonstigen Umstände an die für die Durchführung des Verfahrens zuständigen Stellen und die Verfahrensbeteiligten (§ 30 Abs. 4 Nr. 1 AO; zur Problematik der Presserklärung einer Staatsanwaltschaft zu einem Steuerstrafverfahren s. VG Saarlouis v. 23.06.2003, 1 K 129/02, NJW 2003, 3431; Stahl/Demuth, DStR 2008, 600; zur Öffentlichkeit in einem FG-Verfahren s. Schnorr, StuW 2008, 303). Das Gleiche gilt auch für ein Rechnungsprüfungsverfahren, das die Tätigkeit der Finanzverwaltung zum Gegenstand hat. So ist für das Funktionieren des Besteuerungsverfahrens die Übermittlung der hierfür maßgeblichen Daten an die mit der Durchführung der Besteuerung befassten Behörden und Bediensteten unerlässlich. Dies schließt z. B. die Mitteilung der Besteuerungsgrundlagen durch den Außenprüfer an die Veranlagungsbeamten ebenso ein wie die Unterrichtung des für die Steuerfestsetzung zuständigen FA durch die für die gesonderte Feststellung von Besteuerungsgrundlagen zuständige Finanzbehörde. Erfasst ist auch die Mitteilung an einen Spender, der im Besteuerungsverfahren eine Spende geltend macht, ob eine Körperschaft zur Entgegennahme steuerlich abzugsfähiger Spenden berechtigt ist. Nicht gedeckt durch § 30 Abs. 4 Nr. 1 AO ist der Austausch von Kenntnissen zwischen Bediensteten, wenn er lediglich der Befriedigung privater Neugierde dient. Dagegen ist dienstlicher Erfahrungsaustausch und Schulung an praktischen Fällen zulässig. Die Erlaubnis erfasst ferner die Weitergabe von Kenntnissen, soweit sie für die Besteuerung usw. anderer Personen Bedeutung haben (insbes. sog. Kontrollmitteilungen, s. § 194 Abs. 3 AO oder Anzeigen nach § 33 ErbStG, BFH v. 02.04.1992, VIII B 129/91, BStBl II 1992, 616; Datensammlung nach § 88a AO, BVerfG v. 10.03.2008, 1 BvR 2388, NJW 2008, 2099).

 

Tz. 20

Stand: 22. Auflage – ET: 10/2018

Im Verfahrensinteresse liegt auch die notwendige Aufklärung von Auskunftspersonen und Sachverständigen (s. § 96 Abs. 6 AO: Sachverständige sind auf das Steuergeheimnis hinzuweisen), die zugezogen werden, und zwar insoweit, als das zur Erfüllung der Auskunfts- oder Gutachtenpflicht erforderlich ist. Ganz allgemein kann im Einzelfall die ordnungsgemäße Durchführung eines der genannten Verfahren zwangsläufig das Offenbaren oder Verwerten geschützter Verhältnisse an Dritte zur Folge haben. So kann etwa die nach § 183 Abs. 2 AO notwendige Bekanntgabe eines einheitlichen Feststellungsbescheids an Mitgesellschafter (z. B. Kommanditisten) diesen Kenntnisse verschaffen, zu denen sie nach den innergesellschaftlichen Beziehungen sonst keinen Zugang hätten.

 

Tz. 21

Stand: 22. Auflage – ET: 10/2018

Durch die Verwendung des Wortes "soweit"im Eingangssatz des § 30 Abs. 4 AO wird verdeutlicht, dass die durch das Steuergeheimnis verpflichteten Personen sich äußerste Zurückhaltung auferlegen müssen. Es ist sorgfältig zu prüfen, ob die offenbarten Verhältnisse wirklich im Interesse des Besteuerungs- oder sonstigen Verfahrens kundgemacht werden müssen. Die Offenbarungs- und Verwertungsbefugnis wird durch die Erforderlichkeit begrenzt. Überflüssige Mitteilungen müssen daher unterbleiben. In diese Richtung geht auch die Aussage, dass die Offenbarung oder Verwertung einem Verfahren nach § 30 Abs. 2 Nr. 1 a bzw. b AO dienen muss. Diese Dienlichkeit ist i. S. des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes gegeben, wenn eine Informationsweitergabe gemessen am Zweck des anderen Verfahrens für dieses erforderlich und geeignet sein kann. Maßgeblich für die Beurteilung ist der Kenntnisstand des Offenbarenden oder Verwertenden zur Zeit der Offenbarung oder Verwertung. Aus seiner Sicht müssen Anhaltspunkte dafür bestehen, dass die Weitergabe der Informationen für das andere Verfahren von Bedeutung sein kann (BFH v. 15.01.2008, VII B 149/07, BStBl II 2008, 337). Eine Sicherheit kann man nicht verlangen, weil dies umgekehrt bedeuten würde, dass über das andere Verfahren ein Kenntnisstand erlangt sein müsste, der seinerseits u. U. die Offenbarung geschützter Verhältnisse voraussetzen würde. In diesem Sinne kann z. B. eine Akteneinsicht der Vorbereitung einer Konkurrentenklage dienen, mit der ein Stpfl. gegen Steuerbefreiungen eines Konkurrenten vorgehen möchte. Die Akteneinsicht könnte unter dem Aspekt des Steuergeheimnisses nur dann versagt werden, wenn die Konkurrentenklage offensichtlich unzulässig wäre (BFH v. 05.10.2006, VII R 24/03, BStBl II 2007, 243; BFH v. 26.01.2012, VII R 4/11, BStBl II 2012, 541; AEAO zu § 30, Nr. 4.6). Allerdings hat das BVerfG festgestellt, dass das Steuergeheimnis oder der Datenschutz durchaus Gründe sein können, eine Akteneinsicht zu verweigern (BVerfG v. 13.04.2010, 1 BvR 3515/08, NJW 2010, 2118; zur Ableh...

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