I. Unmöglichkeit der Ermittlung und Berechnung durch die Finanzbehörde (§ 162 Abs. 1 Satz 1 AO)

 

Tz. 15

Stand: 22. Auflage – ET: 10/2018

Die Finanzbehörde hat zu schätzen, soweit sie die Besteuerungsgrundlagen nicht ermitteln oder berechnen kann. Das setzt voraus, dass sie zunächst alle ihr zur Verfügung stehenden zumutbaren Sachaufklärungsmittel einsetzt. Nur soweit sie den Sachverhalt nicht zur Gewissheit aufklären kann, weil ihr eigene Ermittlungen nicht oder nicht mit zumutbarem Aufwand möglich sind oder weil die eigenen Ermittlungen erfolglos geblieben sind, ist eine Schätzung zulässig. Bloße Schwierigkeiten der Sachverhaltsaufklärung reichen nicht aus (BFH v. 27.03.1996, I R 182/94, BStBl II 1997, 449). Aus welchen Gründen die Besteuerungsgrundlagen nicht ermittelt oder berechnet werden können, ist unbeachtlich. Die Schätzung ist nur zulässig, wenn dem FA eine weitere Sachaufklärung nicht möglich oder nicht zumutbar ist (BFH v. 18.12.1984, VIII R 195/82, BStBl II 1986, 226 m. w. N.). Liegen die Voraussetzungen des § 162 Abs. 1 AO vor, hat das FA zu schätzen (Gesetzesbefehl) und dabei alle Umstände, die für die Schätzung von Bedeutung sind, zugunsten wie zuungunsten des Stpfl. zu berücksichtigen (§ 162 Abs. 1 Satz 2 AO). Die Rechtsfolgen des § 160 Abs. 1 Satz 1 AO sind keine Umstände, die i. S. des § 162 Abs. 1 Satz 2 AO für die Schätzung von Bedeutung sind. Sie dürfen also in die Schätzungshöhe nicht einbezogen werden (BFH v. 09.03.2016, X R 9/13, BStBl II 2016, 815). Zum Verhältnis zu § 160 AO s. § 160 AO Rz. 2.

II. Schätzung bei Verletzung der Mitwirkungspflichten (§ 162 Abs. 2 AO)

1. Allgemeines

 

Tz. 16

Stand: 22. Auflage – ET: 10/2018

§ 162 Abs. 2 AO zählt beispielhaft Schätzungsgründe auf. Sie zeichnen sich dadurch aus, dass die mangelnde Aufklärung vom Stpfl. zumindest verursacht wird. Die Aufzählung ist nicht abschließend ("insbesondere"), sodass unter § 162 Abs. 2 AO auch andere als die aufgeführten Mitwirkungsverletzungen fallen. Die Vorschrift ist keine selbstständige Regelung, sondern knüpft an § 162 Abs. 1 AO an (Seer in Tipke/Kruse, § 162 AO Rz. 32 m. w. N.). Die Schätzung setzt voraus, dass aufgrund der Verletzung der Mitwirkungspflichten durch den Stpfl. die Besteuerungsgrundlagen nicht ermittelt oder berechnet werden können.

 

Tz. 17

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Nicht aufgeführt ist die Nichtabgabe der Steuererklärung. Sie stellt eine besonders schwere Verletzung der Mitwirkungspflicht des Stpfl., nämlich der Steuererklärungspflicht nach § 149 AO, dar und rechtfertigt eine Schätzung (BFH v. 20.10.1993, II R 59/91, BFH/NV 1994, 176). Zwar geht der Schätzung regelmäßig eine Aufforderung zur Abgabe der Steuererklärung voraus; dies ist aber nicht Voraussetzung für die Schätzung. Die Schätzung setzt auch nicht voraus, dass der Stpfl. zuvor mit Zwangsmitteln i. S. der §§ 328ff. AO zur Abgabe der Steuererklärung angehalten wurde (Seer in Tipke/Kruse, § 162 AO Rz. 13 m. w. N.). Sie darf aber nicht dazu verwendet werden, die Steuererklärungspflichtverletzung zu sanktionieren und den Kläger zur Abgabe der Erklärungen anzuhalten (BFH v. 20.12.2000, I R 50/00, BStBl II 2001, 381). Sog. Strafschätzungen sind unzulässig. Zur Festsetzung der Steuer unter Nachprüfungsvorbehalt in diesen Fällen s. Rz. 60; AEAO zu § 164, Nr. 4). Auch nach einer Schätzung wegen Nichtabgabe der Steuererklärung bleibt der Stpfl. verpflichtet, seine Steuererklärung abzugeben (§ 149 Abs. 1 Satz 4 AO).

2. Verletzung der Mitwirkungspflichten (§ 162 Abs. 2 Satz 1 AO)

 

Tz. 18

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Eine Schätzung ist durchzuführen, wenn der Stpfl. seinen Mitwirkungspflichten nicht genügt, die sich aus verschiedenen Vorschriften wie z. B. aus § 90 AO ergeben; das ist auch der Fall, wenn er über seine Angaben z. B. in der Steuererklärung keine ausreichenden Aufklärungen zu geben vermag oder verweigert, d. h. bei Rückfragen keine Klärung unklarer Angaben herbeiführt. Dies setzt allerdings voraus, dass das FA sich mit zumutbarem Verwaltungsaufwand weitere Beweismittel nicht beschaffen kann. Das FA ist nicht gehalten zu diesem Zweck eine Außenprüfung durchzuführen (BFH v. 24.11.1993, X R 12/89, BFH/NV 1994, 766). Die Abgabe einer Steuererklärung mit der Versicherung des Stpfl., sie wahrheitsgemäß und nach bestem Wissen und Gewissen erstellt zu haben, hindert eine Schätzung nicht, wenn die Besteuerungsgrundlagen anhand der vorhandenen Unterlagen nicht mit hinreichender Sicherheit ermittelt werden können (BFH v. 23.03.1993, I B 129/92, BFH/NV 1994, 285).

 

Tz. 19

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Ein Schätzungsanlass besteht ferner, wenn der Stpfl. eine nach § 90 Abs. 2 Satz 3 AO oder nach § 95 Abs. 1 Satz 2 AO verlangte Versicherung an Eides statt verweigert.

 

Tz. 20

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Zu schätzen ist außerdem, wenn der Stpfl. seine erweiterte Mitwirkungspflicht nach § 90 Abs. 2 AO bei Auslandsbeziehungen verletzt. Die erweiterten Mitwirkungspflichten nach § 90 Abs. 2 AO gründen sich auf die geringeren Aufklärungsmöglichkeiten der Finanzbehörde bei Auslandssachverhalten und die größere Nähe des Stpfl. zu ihnen (s. auch AEAO zu § 90). Die Verletzung der besonderen Mitwirkungspflicht kann dazu führen, dass aus seinem Verhalten für ihn nachteilige Schlüsse gezogen werden. ...

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