Tz. 5

Stand: 22. Auflage – ET: 10/2018

Das Vertrauensschutzinteresse des Betroffenen beschränkt die Rücknahme rechtwidriger begünstigender Verwaltungsakte. Voraussetzung für die Rücknahme ist, dass eine der Voraussetzungen des § 130 Abs. 2 AO erfüllt ist, da in diesem Fall das Vertrauen nicht schutzwürdig ist.

I. Erlass durch sachlich unzuständige Behörde (§ 130 Abs. 2 Nr. 1 AO)

 

Tz. 6

Stand: 22. Auflage – ET: 10/2018

Erlässt eine sachlich unzuständige Behörde den Verwaltungsakt, kommt eine Rücknahme nach § 130 Abs. 2 Nr. 1 AO in Betracht, wenn der Verwaltungsakt rechtswidrig oder nichtig ist. Die sachliche Unzuständigkeit führt nach § 125 Abs. 1 AO nur dann zur Nichtigkeit des Verwaltungsakts, wenn sie besonders schwer wiegt und offenkundig ist (s. § 125 AO Rz. 6). Im Übrigen ist der Verwaltungsakt nur rechtswidrig. Das Handeln eines nach dem Geschäftsverteilungsplan unzuständigen Beamten oder die Nichtbeachtung des Zeichnungsrechts fallen nicht unter die sachliche Zuständigkeit und begründen keine Rechtwidrigkeit des Verwaltungsakts (von Wedelstädt in Gosch, § 130 AO Rz. 48).

II. Erwirkung durch unlautere Mittel (§ 130 Abs. 2 Nr. 2 AO)

 

Tz. 7

Stand: 22. Auflage – ET: 10/2018

Wird ein rechtswidriger Verwaltungsakt durch unlautere Mittel wie arglistige Täuschung, Drohung oder Bestechung erwirkt, ist eine Rücknahme nach § 130 Abs. 2 Nr. 2 AO zulässig. Die Regelung entspricht der Änderungsvorschrift für Steuerbescheide nach § 172 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2c AO (s. § 172 AO Rz. 37 ff.). Die Aufzählung der Regelung ist nicht abschließend, sondern beispielhaft. Erforderlich ist Vorsatz, wobei bedingter Vorsatz ausreichend ist.

 

Tz. 8

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Eine arglistige Täuschung liegt vor bei bewusster und vorsätzlicher Irreführung. Darunter fällt jedes vorsätzliche Verschweigen oder Vortäuschen von Tatsachen, durch das die Willensbildung der Behörde unzulässig beeinflusst oder ein Irrtum der Behörde aufrechterhalten wird (BFH v. 23.07.1998, VII R 141/97, BFH/NV 1999, 433). Darunter fällt auch die pflichtwidrige Nichtangabe entscheidungserheblicher Tatsachen, wenn der Betroffene gegenüber der Finanzbehörde zur Mitteilung verpflichtet ist.

 

Tz. 9

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Drohung ist psychischer Zwang. Der Bedrohte muss mit dem Übel rechnen, unabhängig davon, ob der Täter in der Lage ist, dieses auszuführen (von Wedelstädt in Gosch, § 130 AO Rz. 51). Die Androhung zulässiger Mittel, wie z. B. die Einlegung eines Rechtsmittels, ist keine Drohung i. S. des § 130 Abs. 2 Nr. 2 AO (Loose in Tipke/Kruse, § 130 AO Rz. 23).

 

Tz. 10

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Bestechung ist die pflichtwidrige Amtshandlung durch Gewährung oder Versprechen von Vorteilen (§§ 331ff. StGB).

 

Tz. 11

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Erforderlich ist, dass zwischen der Anwendung des unlauteren Mittels und der Gewährung der Begünstigung durch den Verwaltungsakt Kausalität besteht. D. h., es muss auszuschließen sein, dass ohne die Anwendung des Mittels der Verwaltungsakt ebenso ergangen wäre (Loose in Tipke/Kruse, § 130 AO Rz. 24; von Wedelstädt in Gosch, § 130 AO Rz. 53).

 

Tz. 12

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§ 130 Abs. 2 Nr. 2 AO setzt nicht voraus, dass der Betroffene selbst die unlauteren Mittel eingesetzt hat, sondern findet auch dann Anwendung, wenn ein Dritter, etwa sein Bevollmächtigter, mit unlauteren Mittel einen rechtswidrigen Verwaltungsakt erwirkt hat. Dritter kann auch ein Amtsträger sein, der pflichtwidrig handelt, und zwar ohne dass der Betroffene den Amtsträger zu einem unlauteren Handeln veranlasst hat (BFH v. 09.10.1992, VI S 14/92, BStBl II 1993, 13; BFH v. 28.04.1998, IX R 49/96, BStBl II 1998, 458, jeweils für § 172 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2c AO; von Wedelstädt in Bartone/von Wedelstädt, Rz. 280, von Wedelstädt in Gosch, § 130 AO Rz. 54; a. A. Loose in Tipke/Kruse, § 130 AO Rz. 26; Intemann in Koenig, § 130 AO Rz. 37). Unerheblich ist, ob der Dritte mit Wissen und Wollen des Betroffenen handelt. Dieser Aspekt kann allerdings bei der Ermessenserwägung zu berücksichtigen sein (BFH v. 27.10.2009, VII R 51/08, BStBl II 2010, 382).

III. Erwirkung durch unrichtige und unvollständige Angaben (§ 130 Abs. 2 Nr. 3 AO)

 

Tz. 13

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Macht der Betroffene objektiv unrichtige oder unvollständige Angaben über entscheidungserhebliche Umstände, ist er nicht schutzwürdig (BFH v. 09.03.2016, V B 82/15, BFH/NV 2016, 897 zum Verschweigen eines Lottogewinns bei Stellung eines Erlassantrags). Kenntnis oder ein Verschulden des Betroffenen ist nicht erforderlich. Ob die Finanzbehörde die Unrichtigkeit hätte erkennen können, ist ebenso unbeachtlich (BFH v. 22.08.2006, I R 42/05, BFH/NV 2007, 404). Der Grad des Verschuldens ist jedoch bei der Ermessenentscheidung über die Rücknahme zu berücksichtigen (s. Rz. 25 ff.); bei vorsätzlichem Handeln ist das Ermessen auf Null reduziert, es sei denn, es liegen besondere Umstände vor, wie etwa ein nennenswertes Mitverschulden der Behörde (BFH v. 18.04.1991, IV R 127/89, BStBl II 1991). Die Angaben müssen von dem Betroffenen selbst stammen; Handeln eines Vertreters, Beistands oder Bevollmächtigten sind dem Betroffenen zuzurechnen (von Wedelstädt in Bartone/von Wedelstädt, Rz. 283 f.; von Wedelstädt in Gosch...

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