Tz. 3

Stand: 22. Auflage – ET: 10/2018

Voraussetzung für die Nichtigkeit ist, dass der Verwaltungsakt an einem besonders schwerwiegenden Fehler leidet. Dies ist nicht schon dann der Fall, wenn der Verwaltungsakt gegen das geltende nationale Recht oder Gemeinschaftsrecht verstößt (BFH v. 31.05.2017, I B 102/16, BFH/NV 2017, 1189 zur Anwendung einer veralteten Gesetzesfassung). Erforderlich ist vielmehr, dass der Verwaltungsakt nach keinem denkbaren rechtlichen Gesichtspunkt ergehen konnte. Ein Verwaltungsakt ist danach nur dann nichtig, wenn er die an eine ordnungsmäßige Verwaltung zu stellenden Anforderungen in einem so erheblichen Maß verletzt, dass von niemandem erwartet werden kann, ihn als verbindlich anzuerkennen (BFH v. 16.09.2010, V R 57/09, BStBl II 2011, 51). Dies ist nicht schon dann der Fall, wenn einzelne Elemente des gesetzlichen Tatbestandes entgegen der Auffassung der Behörde vorliegen bzw. nicht vorliegen (BFH v. 26.06.2010, VII R 27/08, BStBl II 2011, 331). Ein Verwaltungsakt ist nichtig, wenn er eindeutig gegen § 119 Abs. 1 AO verstößt, d. h. inhaltlich nicht hinreichend bestimmt ist, da sich sein Inhalt auch nicht durch Auslegung hinreichend sicher bestimmen lässt (BFH v. 23.08.2017, I R 52/15, BFH/NV 2018, 401). So ist ein Steuerbescheid nichtig, der unter Nichtbeachtung des § 157 Abs. 1 Satz 2 AO die festgesetzte Steuer nicht nach Art und Betrag bezeichnet, mehrere Steuerfälle unaufgegliedert zusammenfasst (BFH v. 30.08.2017 II R 46/15, BFH/NV 2018, 125) oder die Angabe des Steuerschuldners unterlässt (s. § 119 AO Rz. 4). Nichtig ist ein mehrere Zuwendungen zusammenfassender Schenkungssteuerbescheid, es sei denn, dem Steuerbescheid ist zu entnehmen, dass das FA von einem einheitlichen Erwerbsvorgang ausgegangen ist (BFH v. 20.11.2013, II R 64/11, BFH/NV 2014, 716). Ergeht für einen Veranlagungszeitraum ein Steuerbescheid, für den bereits ein wirksamer Steuerbescheid gegenüber demselben Adressaten erlassen wurde, ohne dass sich aus dem Wortlaut oder durch Auslegung des Bescheids ergibt, in welchem Verhältnis die Bescheide zueinander stehen, ist der zuletzt ergangene Bescheid nichtig (BFH v. 12.05.2011, V R 25/10, BFH/NV 2011, 1541). Kein Fall der Nichtigkeit wegen Unbestimmtheit ist gegeben, wenn im Verwaltungsakt eine Person eindeutig aber zu Unrecht als Steuerschuldner bezeichnet wird. In diesem Fall ist der Steuerbescheid rechtswidrig, aber nicht nichtig (§ 119 AO Rz. 3). Dies gilt nicht für die Bekanntgabe gegenüber dem Insolvenzverwalter nach Aufhebung des Insolvenzverfahrens, da dieser als Bekanntgabe- oder Inhaltsadressat nicht mehr in Betracht kommt (BFH v. 06.07.2011, II R 34/10, BFH/NV 2012, 10). Enthält ein Feststellungsbescheid nicht alle Feststellungsbeteiligten als Inhaltsadressat, ist er nicht nichtig, sondern teilnichtig, wenn er im Übrigen inhaltlich hinreichend bestimmt ist und die Finanzbehörde den Feststellungsbescheid ohne den nichtigen Teil erlassen hätte (§ 125 Abs. 4 AO; BFH v. 19.11.2009, IV R 89/06, BFH/NV 2010, 818). Fehlen jedoch jegliche Angaben zu den Beteiligten bzw. sind alle Beteiligte unrichtig bezeichnet, ist der Feststellungsbescheid nichtig (BFH v. 27.08.2003, II R 35/01, BFH/NV 2004, 467). Nichtig ist auch ein Steuerverwaltungsakt, der inhaltlich schlechthin unmöglich ist, z. B. ein Einheitswert betr. ein nicht existierendes Grundstück oder die Zurechnung eines Grundstücks an eine nicht existierende oder nicht mehr existierende Person (s. BFH v. 17.06.1992, X R 47/88, BStB1 II 1993, 174). Ein Verstoß gegen § 119 Abs. 3 AO in der Weise, dass lediglich Unterschrift oder Namenswiedergabe des maßgebenden Beamten fehlt, verursacht keine Nichtigkeit.

 

Tz. 4

Stand: 22. Auflage – ET: 10/2018

Keine Nichtigkeit begründen grobe Schätzungsfehler (§ 162 AO), die auf einer Verkennung der tatsächlichen Gegebenheiten oder der wirtschaftlichen Zusammenhänge beruhen. Jedoch können Willkürmaßnahmen, die mit den Anforderungen an eine ordnungsgemäße Verwaltung nicht zu vereinbaren sind, einen besonders schwerwiegenden Fehler darstellen (BFH v. 20.10.2005, IV B 65/04, BFH/NV 2006, 2407; von Wedelstädt in Gosch, § 125 AO Rz. 17; s. § 162 AO Rz. 62 f.).

 

Tz. 5

Stand: 22. Auflage – ET: 10/2018

Die Nichtigkeit eines Verwaltungsakts kann auch auf der Form oder der Bekanntgabe beruhen. Ergeht ein Verwaltungsakt, für den schriftliche Erteilung vorgeschrieben ist, nur mündlich (z. B. für Einspruchsentscheidungen § 366 AO), so ist er ebenso nichtig wie ein Verwaltungsakt, der unter unheilbaren Mängeln leidet (s. § 122 AO Rz. 7).

Lässt der Verwaltungsakt nicht erkennen, ob das Finanzamt den Adressaten als Haftenden oder als Steuerschuldner in Anspruch nehmen will, ist er nichtig (BFH v. 05.10.1994, I R 31/93, BFH/NV 1995, 576; s. aber auch BFH v. 30.01.2018, VIII R 75/13, BFH/NV 2018, 773: keine Nichtigkeit, wenn Steuer- und Haftungsschuldner identisch sind). Ein Kirchensteuerbescheid gegen einen aus der Kirche Ausgetretenen ist nicht nichtig (s. FG München v. 18.08.1997, 13 K 1541/97, EFG 1...

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