Tz. 21

Stand: 22. Auflage – ET: 10/2018

Finanzbehörde in diesem Sinne ist nicht die (zuständige) Behörde oder die Finanzverwaltung als Einheit, sondern nach Verwaltungspraxis und Rechtsprechung (BFH v. 16.01.2002, VIII B 96/01, BFH/NV 2002, 621) die zur Bearbeitung des betr. Steuerfalles organisationsmäßig berufene Dienststelle (BFH v. 28.04.1998, IX R 49/96, BStBl II 1998, 458; BFH v. 18.05.2010, X R 49/08, BFH/NV 2010, 2225; AEAO zu § 173, Nr. 2.3) innerhalb der (zuständigen) Finanzbehörde. Dies ist die Veranlagungsstelle und nicht bspw. die für die Außenprüfung zuständigen Beamten, die Bewertungsstelle, Vollstreckungsstelle, Lohnsteuerstelle, Kasse usw. Demnach wird der für die ESt-Veranlagung zuständigen Dienststelle nicht das Wissen der KSt-Stelle zugerechnet (BFH v. 20.05.2014, III B 135/13, juris).

 

Tz. 22

Stand: 22. Auflage – ET: 10/2018

Konkret soll es nach der Rspr. auf die Kenntnis des Vorstehers und des Sachgebietsleiters sowie des Sachbearbeiters ankommen (z. B. BFH v. 16.01.2002, VIII B 96/01, BFH/NV 2002, 621; BFH v. 13.06.2012, VI R 85/10, BStBl II 2013, 5; a. A. mit beachtlichen Argumenten Loose in Tipke/Kruse, § 173 AO Rz. 31 f.). Hat eine dieser Personen Kenntnis erlangt, so kommt es auf die Kenntnis der übrigen Personen nicht mehr an. Eine dem Außenprüfer bekannte Tatsache ist grds. unbeachtlich, es sei denn, sie ist im Außenprüfungsbericht erwähnt worden (BFH v. 20.04.1988, X R 40/81, BStBl II 1988, 804; BFH v. 19.12.1996, V R 14/96, BFH/NV 1997, 743); dies gilt auch für die Kenntnis des Steuerfahnders (z. B. BFH v. 16.06.2004, X R 56/01, BFH/NV 2004, 1502). Die Kenntnisse der Finanzbehörde sind nicht an die Person des zuständigen Beamten gebunden; die Kenntnis der Finanzbehörde geht mit dessen Auswechslung (Versetzung) nicht verloren (BFH v. 05.12.2002, IV R 58/01, BFH/NV 2003, 588; Loose in Tipke/Kruse, § 173 AO Rz. 37; AEAO zu § 173, Nr. 2.3.4). Das private Wissen einzelner Beamter ist ohne Bedeutung (BFH v. 28.04.1998, IX R 49/96, BStBl II 1998, 458). Im Übrigen kann der zuständigen Veranlagungsstelle nicht als bekannt zugerechnet werden, was in den Akten anderer Stellen oder Behörden steht, selbst wenn diese Akten ausschließlich denselben Stpfl. betreffen (z. B. LSt-Akten, Vollstreckungsakten, Akten der Strafsachenstelle und auch EW-Akten für dem Stpfl. zuzurechnende wirtschaftliche Einheiten, BFH v. 20.07.1988, I R 136/84, BFH/NV 1990, 64), und auch nicht, wenn die andere Dienststelle als Oberbehörde gegenüber der zuständigen Dienststelle weisungsgebunden ist (BFH v. 13.01.2011, VI R 61/09, BStBl II 2011, 479; BFH v. 08.09.2011, II R 47/09, BFH/NV 2012, 67). Dieses gilt nicht, wenn es sich um eine Dienststelle desselben Amts handelt und es dem Vorsteher bekannt wird oder ein Sachgebietsleiter für mehrere Dienststellen zuständig ist (zutr. Loose in Tipke/Kruse, § 173 AO Rz. 38; a. A. BFH v. 12.10.1983, II R 55/81, BStBl II 1984, 144; Frotscher in Schwarz, § 173 AO Rz. 121; von Wedelstädt in Gosch, § 173 AO Rz. 56.4). Für die Festsetzung der KraftSt darf sich die Finanzbehörde aber auf die Einstufung eines Kfz durch die Zulassungsstelle verlassen, wenn kein besonderer Anlass besteht an dieser Richtigkeit zu zweifeln (BFH v. 30.03.2004, VII R 30/03, BFH/NV 2004, 1294). Insbes. ist in den Fällen, in denen Besteuerungsgrundlagen gesondert festgestellt werden (§ 180 AO), für die Aufhebung oder Änderung des Feststellungsbescheids (BFH v. 05.12.2002, IV R 58/01, BFH/NV 2003, 588) auf die Kenntnis des für die gesonderte Feststellung zuständigen FA, für die Aufhebung oder Änderung des Steuerbescheids auf die Kenntnis des hierfür zuständigen FA abzustellen (s. BFH v. 14.12.1994, XI R 80/92, BStBl II 1995, 293).

 

Tz. 23

Stand: 22. Auflage – ET: 10/2018

Als der Finanzbehörde bekannt gilt der gesamte Inhalt der Akten, die in der zuständigen Dienststelle für den Stpfl. geführt werden, ohne dass es auf die individuelle Kenntnis des Bearbeiters ankommt (u. a. BFH v. 13.06.2012, VI R 85/10, BStBl II 2013, 5 m. w. N.). Dazu gehören nicht nur die gehefteten Vorgänge, sondern auch lose geführte Schriftstücke, die noch nicht eingeheftet sind oder zeitweise ausgeheftet werden. Inhaltlich bekannt sind demzufolge der Finanzbehörde außer den Steuerakten alle den Steuerfall betreffenden Schriftstücke, soweit sie sich in der Dienststelle befinden oder den Repräsentanten der Dienststelle zugänglich sind. Den Inhalt archivierter Akten muss die zuständige Dienststelle des FA nur dann als bekannt gegen sich gelten lassen, wenn zur Hinzuziehung dieser Vorgänge nach den Umständen des Einzelfalles eine besondere Veranlassung bestand (AEAO zu § 173, Nr. 2.3.5). In einer solchen Konstellation führt die unterlassene Beiziehung der archivierten Akten zu einer Verletzung der Ermittlungspflicht (BFH v. 11.02.1998, I R 82/97, BStBl II 1998, 552; BFH v. 18.05.2010, X R 49/08, BFH/NV 2010, 2225). Dies ist z. B. dann der Fall, wenn den Jahresabschlüssen der Altjahre zum Streitgegenstand gravierende Mängel oder auffällige Positionen...

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