Tz. 3

Stand: 22. Auflage – ET: 10/2018

Einstweilige Anordnungen des FG sind nicht dazu bestimmt, der Entscheidung des Prozesses zugunsten einer Partei vorzugreifen. Deshalb darf durch eine einstweilige Anordnung die Entscheidung im Hauptsacheverfahren nicht vorweggenommen werden. Durch die einstweilige Anordnung darf dem Antragsteller nicht bereits unwiderruflich bzw. ohne die tatsächliche Möglichkeit, einen eventuellen Widerruf auch im Ergebnis wirksam werden zu lassen, das gewährt werden, was er mit der Hauptsacheklage begehrt (BFH v. 13.10.1987, VII B 96/87, BStBl II 1988, 67). Daraus folgt, dass sie in der Regel nicht in Betracht kommt, wenn der Antragsteller erstmals eine bestimmte Rechtsposition erreichen will. Deshalb kann mit einer einstweiligen Anordnung z. B. nicht erreicht werden, die

  • Zulassung zur Steuerberaterprüfung,
  • (Wieder-)Bestellung zum Steuerberater,
  • Erteilung einer Unbedenklichkeitsbescheinigung,
  • Erteilung einer Freistellungsbescheinigung, aber auch s. Rz. 5,
  • Herabsetzung von Einkommensteuervorauszahlungen,
  • Erstattung von Steuerbeträgen
 

Tz. 4

Stand: 22. Auflage – ET: 10/2018

Nur in seltenen Ausnahmefällen kann eine im Hauptsacheverfahren angestrebte Regelung bereits im Verfahren über die einstweilige Anordnung erreicht werden, wenn ohne die Entscheidung unzumutbare Nachteile für den Antragsteller entstehen, die mit dem Gebot effektiven Rechtschutzes unvereinbar sind (BFH v. 27.01.2016, VII B 119/15, BFH/NV 2016, 1586). Wegen der weit reichenden Tragweite einer vorwegnehmenden Entscheidung sind sowohl an das Vorliegen des Anordnungsgrundes als auch des Anordnungsanspruches strenge Anforderungen zu stellen. So muss eine "besondere Intensität" des Anordnungsgrundes vorliegen, d. h. ohne die Vorwegnahme der Hauptsache würde die Entscheidung zu spät kommen. Dies ist insbes. der Fall, wenn die Folgen des Verwaltungshandelns nicht mehr rückgängig gemacht werden können, z. B. bei Erteilung einer nicht durch eine Rechtsgrundlage gedeckten Auskunft (BFH v. 15.02.2006, I B 87/05, BStBl II 2006, 616; BFH v. 17.09.2007, I B 30/07, BFH/NV 2008, 51 zu sog. "Spontanauskünften" der FinVerw.). Darüber hinaus muss eine erhebliche Wahrscheinlichkeit für den Erfolg des Antragstellers in der Hauptsache sprechen (BVerwG v. 13.08.1999, 2 VR 1/99, NJW 2000, 160; Loose in Tipke/Kruse, § 114 FGO Rz. 38 ff.).

 

Tz. 5

Stand: 22. Auflage – ET: 10/2018

Statt einer Vorwegnahme der Hauptsache kann des FG in geeigneten Fällen auch vorläufige "Zwischenlösungen" treffen. Darunter fallen z. B. zeitlich begrenzte Stundung von Steuerbeträgen, Stundung von Vorauszahlungen. Insoweit kann das FG eine eigene Ermessensentscheidung treffen ("Interimsermessen"). Erwogen wird auch eine vorläufige Erteilung einer Freistellungsbescheinigung nach § 48b EStG für den Steuerabzug bei Bauleistungen, die aber zumindest voraussetzt, dass der Antragsteller glaubhaft macht, dass kein zu sichernder Steueranspruch besteht und weshalb sich eine fehlende Freistellungsbescheinigung negativ auf die Auftragslage auswirkt. Dazu reichen allgemeine Ausführungen nicht aus; vielmehr muss der Antragsteller speziell auf sein Unternehmen bezogene Angaben machen. Letztlich muss dargetan werden, dass die Bescheinigung unerlässlich ist, um das Überleben des Unternehmens zu sichern (s. BFH v. 23.10.2002, I B 86/02, BFH/NV 2003, 166; BFH v. 23.10.2002, I B 132/02, BFH/NV 2003, 313).

Auch die Erteilung einer Steuernummer oder einer USt-Identifikationsnummer kann im Wege einer einstweiligen Anordnung erfolgen. Wegen der nur beschränkten Rechtswirkungen geht der BFH nicht von einer Vorwegnahme der Hauptsache aus (BFH v. 20.12.2007, IX B 194/07, BFH/NV 2008, 600; BFH v. 26.02.2008, II B 6/08, BFH/NV 2008, 1004). Hingegen will der BFH einstweiligen Rechtsschutz für Änderungen der LSt-Klasse wohl über eine Aussetzung der Vollziehung nach § 69 Abs. 3 FGO und nicht über den Weg der einstweiligen Anordnung gewähren (BFH v. 08.06.2011, III B 210/10, BFH/NV 2011, 1692 m. w. N.; BFH v. 24.04.2012, III B 180/11, BFH/NV 2012, 1303). Dagegen spricht, dass der Stpfl. mit dem Änderungsbegehren i. d. R. eine seinen Rechtskreis erweiternde, begünstigende Regelung erstrebt, die grds. mit der Leistungs- oder Verpflichtungsklage zu erstreiten ist.

Das ist nur ein Ausschnitt aus dem Produkt Kühn, Abgabenordnung und Finanzgerichtsordnung (Schäffer-Poeschel). Sie wollen mehr?

Anmelden und Beitrag in meinem Produkt lesen


Meistgelesene beiträge