Tz. 1

Stand: 22. Auflage – ET: 10/2018

Die Vorschrift ist keine eigenständige Korrekturnorm, sie ist nur anwendbar, wenn ein Steuerbescheid oder ein diesem gleichgestellter Bescheid aufgehoben oder geändert wird. § 176 AO schützt den Stpfl. nur vor der Änderung eines Steuerbescheids zu seinen Ungunsten. Die Vorschrift räumt hingegen keinen Anspruch auf Änderung eines bestandskräftigen Steuerbescheides zu seinen Gunsten ein (BFH v. 20.06.2003, XI S 21/02, BFH/NV 2003, 1555; FG Nds. v. 15.12.2005, 11 K 50/05, EFG 2006, 544).

 

Tz. 2

Stand: 22. Auflage – ET: 10/2018

Der dem Bürger eingeräumte Vertrauensschutz ist Ausfluss des Rechtsstaatsprinzips. Gleichzeitig wird durch § 176 AO die Bindung der Verwaltung an das Gesetz eingeschränkt. Damit versucht die Vorschrift einen Ausgleich zwischen Bindung der Verwaltung an Recht und Gesetz (Art. 20 Abs. 3 GG) und dem Prinzip der Rechtssicherheit, das ebenfalls Ausfluss des Rechtsstaatsprinzips ist (Art. 20 Abs. 3 GG). § 176 AO schützt mithin nicht das Vertrauen in die Gesetzgebung, die höchstrichterliche Rechtsprechung oder in allgemeine Verwaltungsvorschriften, sondern das Vertrauen in die materielle Bestandskraft von Steuerbescheiden, soweit sie auf einer solchen Gesetzgebung usw. beruhen (BFH v. 14.02.2007, XI R 30/05, BStBl II 2007, 524; BFH v. 11.04.2002, V R 26/01, BStBl II 2004, 317; FG Hamburg v. 24.01.2006, II 274/04, EFG 2006, 1020; Loose in Tipke/Kruse, § 176 AO Rz. 1; Rüsken in Klein, § 176 AO Rz. 1; von Wedelstädt in Gosch, § 176 AO Rz. 3; a. A. Frotscher in Schwarz/Pahlke, § 176 AO Rz. 2; AEAO zu § 176, Nr. 1).

 

Tz. 3

Stand: 22. Auflage – ET: 10/2018

Weiterhin betrifft § 176 AO nur den Vertrauensschutz zugunsten des Stpfl., sodass sich das FA aufgrund dieser Regelung nicht auf Vertrauensschutz berufen kann (Loose in Tipke/Kruse, § 176 AO Rz. 6). Für den Stpfl. sind positive Änderungen der Rechtslage im Rahmen der verfahrensrechtlichen Korrekturmöglichkeiten bei der Aufhebung oder Änderung von Steuerbescheiden zu berücksichtigen. Im Übrigen gelten die allgemeinen Grundsätze des Vertrauensschutzes nach Treu und Glauben, die neben § 176 AO für beide Seiten anwendbar sind (BFH v. 11.10.1988, VIII R 419/83, BStBl II 1989, 284; BFH v. 05.11.2009, IV R 40/07, BStBl II 2010, 720). So muss die Finanzverwaltung berücksichtigen, inwieweit das Vertrauen in den Fortbestand von Rechtsnormen, Rspr. und Verwaltungsanweisungen, das sich in konkreten Dispositionen des Stpfl. niedergeschlagen hat, durch Übergangsregelungen geschützt werden muss.

 

Tz. 4

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Greift der Tatbestand des § 176 AO nicht ein, ist das Vertrauen des Stpfl. in den Steuerbescheid selbst dann nicht geschützt, wenn das Finanzamt in ihm eine unzutreffende, für den Stpfl. günstige Rechtsansicht vertreten und der Stpfl. im Vertrauen darauf disponiert hat (BFH v. 15.04.2004, IV R 51/02, BFH/NV 2004, 1393).

 

Tz. 5

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Der gewährte Vertrauensschutz betrifft nur die rechtliche Subsumtion steuerlich relevanter Sachverhalte, nicht aber die tatsächliche Gestaltung dieser Sachverhalte. Damit wirkt sich der Vertrauensschutz nur dann aus, wenn eine Änderung der bisherigen rechtlichen Subsumtion im Übrigen zulässig wäre, d. h. also bei Bescheiden i. S. der §§ 164 Abs. 2, 165 Abs. 2, 172 Abs. 1 Satz Nr. 1 AO und im Zusammenhang mit der durch § 177 AO angeordneten Saldierung (s. § 177 AO Rz. 37). Daher ist § 176 AO für eine Berichtigung eines Steuerbescheids nach § 129 AO nicht einschlägig. § 129 AO erfasst nur mechanische Fehler, nicht aber Rechtsfehler, der Regelungsbereich des § 176 AO wird also nicht berührt (AEAO zu § 176, Nr. 1; BFH v. 27.11.2003, V R 52/02, BFH/NV 2004, 605).

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