Änderung eines Steuerbescheides mit Vorläufigkeitsvermerk
Folgender Sachverhalt wurde verhandelt: Die Klägerin absolvierte in den Jahren 2009 und 2010 einen Lehrgang als Rettungssanitäterin, der rund 3 Monate dauerte. Anschließend begann sie ein Medizinstudium, das in den Jahren 2011-2016 zu erheblichen Verlusten führte. Diese Verluste machte sie steuermindernd geltend.
Steuerbescheid erging vorläufig
Die Verluste wurden anerkannt, die Steuerbescheide ergingen aber hinsichtlich der Abziehbarkeit der Aufwendungen für ein Studium als Werbungskosten gemäß § 165 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 AO vorläufig. Ab 2015 wurde § 9 Abs. 6 EStG enger gefasst. Demnach muss die Erstausbildung, die Voraussetzung für die Geltendmachung der Studienkosten ist, mindestens 12 Monate gedauert haben. Aufgrund dieser Neuregelung vertrat das Finanzamt die Auffassung, dass die Verluste in den Jahren 2015 und 2016 zu Unrecht bei der Klägerin anerkannt worden seien
Das Finanzamt änderte die Einkommensteuerbescheide 2015 und 2016 dahingehend, dass die Verluste nicht mehr berücksichtigt wurden. Zur Erläuterung wurde auf die Norm des § 165 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 AO verwiesen. Nach einem erfolglosen Einspruchsverfahren wandte sich die Klägerin an das zuständige Finanzgericht in Köln.
Keine Änderung zu Lasten des Steuerpflichtigen
Die Klägerin hatte beim Finanzgericht mit ihrem Ansinnen Erfolg. Nach Auffassung des Finanzgerichts war das Finanzamt nicht berechtigt, die Einkommensteuerbescheide 2015 und 2016, in denen die Verluste als vorweggenommene Werbungskosten anerkannt worden waren, nach § 165 AO zu ändern. Nach § 165 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 AO, auf den sich die Finanzverwaltung bezog, kann eine vorläufige Steuerfestsetzung erfolgen, wenn fraglich ist, ob eine Bestimmung mit höherrangigem Recht vereinbar ist. Mit ihr soll vor allem vermieden werden, dass es zu einer Vielzahl von Rechtsbehelfsverfahren kommt. Ausgangspunkt für die Anwendung der Regelung müsse deshalb eine den Steuerpflichtigen belastende Regelung sein, deren Rechtmäßigkeit fraglich ist und zu der ein Musterverfahren anhängig ist. Vor diesem Hintergrund könne, so das Finanzgericht Köln, ein Vorläufigkeitsvermerk nach § 165 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 AO grundsätzlich nur zu einer für den Steuerpflichtigen günstigeren Änderung führen. Eine Änderung zu Lasten des Steuerpflichtigen sei nicht zulässig. Insofern sei hier keine Änderung der Steuerbescheide 2015 und 2016 möglich gewesen.
Revision beim BFH
Die Entscheidung des Finanzgerichts ist höchst praxisrelevant. Zentrale Bedeutung hat die bislang vom BFH nicht entschiedene Rechtsfrage, ob bei einem Vorläufigkeitsvermerk nach § 165 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 AO in Verbindung mit § 165 Abs. 2 AO eine Änderung auch zu Lasten des Steuerpflichtigen zulässig ist. Die herrschende Meinung der Literatur hat dies verneint und zur Begründung für diese Ansicht vor allem auf den Zweck der Norm verwiesen. Der Sinn und Zweck der Bestimmung ist – wie die Literatur zutreffend darlegt – darin zu sehen, dass im Interesse der Steuerpflichtigen und der Finanzverwaltung eine Vielzahl von Rechtsbehelfsverfahren vermieden wird. Ein Einspruch wird aber nur dann in Betracht kommen, wenn eine Regelung sich nachteilig für den Steuerpflichtigen auswirkt. Sofern ein Vorläufigkeitsvermerk aufgenommen werde, kommt eine Änderung zu Lasten des Steuerpflichtigen deshalb nicht in Betracht.
In einem solchen Fall muss sich die Finanzverwaltung auf die Änderungsnomen der §§ 172ff. AO berufen, die eigene Anwendungsvoraussetzungen haben. Es ist dann auch § 176 AO anzuwenden, der in einem gewissen Umfang einen Vertrauensschutz für den Steuerpflichtigen normiert. Bleibt zu hoffen, dass der BFH diese für die Steuerpflichtigen günstige und auch zutreffende Auslegung der Norm bestätigt. Die Revision zum BFH wurde zugelassen, Az beim BFH VI R 14/23.
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