Tz. 15

Stand: 22. Auflage – ET: 10/2018

Das FG hat die Revision auch zuzulassen, wenn dies zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung erforderlich ist (§ 115 Abs. 2 Nr. 2, 2. Alt. FGO). Wie die Revisionszulassung zur Rechtsfortbildung ist auch dieser Revisionsgrund ein gesetzlich gesondert geregelter Fall der Grundsatzrevision (gl. A. Seer in Tipke/Kruse, § 115 FGO Rz. 63). Dies folgt schon aus dem Umstand, dass bei – auch möglicherweise – entstehenden Rechtsprechungsdifferenzen in der Regel Unklarheit über eine Rechtsfrage herrscht, die ggf. auch eine Revisionszulassung wegen grundsätzlicher Bedeutung rechtfertigen könnte. Eine Erweiterung gegenüber den anderen Revisionsgründen enthält der Revisionsgrund insoweit, als die Revisionszulassung auch "vorbeugend" erfolgen kann, da der Begriff der "Sicherung" auch auf die Wahrung der zukünftigen Rechtsprechungseinheit gerichtet ist. Die Notwendigkeit einer solchen Revisionszulassung kann sich z. B. dann ergeben, wenn zwar ältere höchstrichterliche Rechtsprechung existiert, die seinerzeit geäußerte Rechtsauffassung aber in der Literatur auf Kritik gestoßen ist, aber auch dann, wenn an der seinerzeitigen Auslegung des BFH Zweifel entstehen, weil sich die gesellschaftlichen und/oder wirtschaftlichen Rahmenbedingungen und Grundansichten geändert haben oder wenn es zu einer Gesetzesänderung gekommen ist.

 

Tz. 16

Stand: 22. Auflage – ET: 10/2018

Der wichtigste Anwendungsfall dieses Revisionsgrundes ist das Abweichen der vom FG getroffenen Entscheidung von der Entscheidung eines anderen Gerichts (Divergenz). Es ist nicht erforderlich, dass sich die Abweichung auf eine Entscheidung des BFH, BVerfG oder GmSOBG bezieht; eine Abweichung von einer Entscheidung eines anderen FG reicht ebenso aus, wie die Abweichung von Entscheidungen anderer Gerichtsbarkeiten (einschränkend für andere Gerichtszweige Ruban in Gräber, § 115 FGO Rz. 49), einschließlich des EuGH (BFH v. 24.03.2009, III B 120/07, BFH/NV 2009, 1142). Einer möglichen Ausuferung von Divergenzrevisionen wird durch den Umstand vorgebeugt, dass die Abweichung eine höchstrichterliche Klärung erfordern muss. Daran fehlt es, wenn der die Divergenz auslösenden Entscheidung ersichtlich Ausnahmecharakter zukommt, weil sie z. B. in krassem Widerspruch zu gefestigter Rechtsprechung steht.

 

Tz. 17

Stand: 22. Auflage – ET: 10/2018

Die Divergenz kann sich aus nicht nur aus Urteilen, sondern auch aus auch aus Beschlüssen, einschließlich von Beschlüssen in Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes und aus begründeten BFH-Beschlüssen über die Zulassung der Revision ergeben. Aus Kostenentscheidungen kann demgegenüber eine Divergenz nicht abgeleitet werden; dies gilt auch für begründete Kostenentscheidungen in den Fällen der Erledigung der Hauptsache, auch wenn darin Ausführungen zur materiellen Rechtslage enthalten sind. Maßgeblicher Zeitpunkt für die Beurteilung der Frage, ob eine Divergenz vorliegt, ist der Zeitpunkt der Entscheidung des Gerichts über die Zulassung, also der nach Beratung erfolgte Beschluss des Urteils. Lässt das FG die Revision in Unkenntnis einer Divergenz nicht zu, kann dies im Wege der NZB (§ 116 FGO) gerügt werden. Dies gilt auch dann, wenn die zur Divergenz führende Entscheidung im Zeitpunkt des Urteilsbeschlusses noch nicht veröffentlicht war, weil die Veröffentlichung keine Voraussetzung für die Zulassung der Revision ist. Auch kommt es nicht darauf an, ob das FG die Entscheidung kannte oder hätte kennen müssen. Im Verfahren vor dem BFH über eine NZB kommt es für die Frage, ob Divergenz gegeben ist, auf den Zeitpunkt der Entscheidung des BFH über die Beschwerde an (BFH v. 27.12.2011, III B 115/11, BFH/NV 2012, 703).

 

Tz. 18

Stand: 22. Auflage – ET: 10/2018

Eine Divergenz i. S. des § 115 Abs. 2 Nr. 2 FGO liegt nur vor, wenn das FG in einer Rechtsfrage eine andere Auffassung vertritt, als ein anderes Gericht. Das FG muss seiner Entscheidung einen "Rechtssatz" zugrunde gelegt haben, der mit den tragenden Erwägungen, dem "Rechtssatz", einer Entscheidung eines anderen Gerichts nicht übereinstimmt. Das angefochtene Urteil und die davon – vermeintlich – abweichende Entscheidung müssen dieselbe Rechtsfrage betreffen und zu gleichen oder vergleichbaren Sachverhalten ergangen sein (BFH v. 30.03.1983, I B 9/83, BStBl II 1983, 479; BFH v. 12.10.2011, III B 56/11, BFH/NV 2012, 178; BFH v. 12.12.2013, III B 55/12, BFH/NV 2014, 575). Divergenz liegt nicht nur vor, wenn das FG dieselbe Rechtsnorm abweichend auslegt, es genügt, dass dieselbe Rechtsfrage in einem anderen Steuergesetz mit denselben gesetzlichen Tatbestandsmerkmalen durch ein anderes Gericht in anderer Weise entschieden wurde, sofern nicht die unterschiedliche Auslegung von den Besonderheiten der betreffenden Rechtsgebiete geprägt ist. Es ist nicht erforderlich, dass das FG in den Urteilsgründen ausdrücklich einen von der Rechtsprechung des BFH abweichenden "Rechtssatz" i. S. eines Leitsatzes aufstellt; die rechtserhebliche Abweichung kann sich auch aus scheinbar...

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