Sodann stellt sich die Frage, ob die geleistete Abfindung bei der Erbschaftsteuerfestsetzung – soweit auf den Erwerb von Todes wegen Erbschaftsteuer entfällt – abgezogen werden kann. Dabei kommt zunächst § 10 Abs. 5 Nr. 2 ErbStG in Betracht, der allerdings die – hier annahmegemäß nicht vorliegende (s. oben unter III. 2.) – Geltendmachung voraussetzt.

Es stellt sich aber die Frage, ob nicht ein Abzug nach der allgemeineren Regel des § 10 Abs. 5 Nr. 3 Satz 1 ErbStG (wenn auch mit der Folge des Verbrauchs des Pauschbetrages von 10.300 EUR nach § 10 Abs. 5 Nr. 3 Satz 2 ErbStG) zulässig ist. Der BFH hat einen Abzug für die Abfindung nicht verjährter Pflichtteilsansprüche bejaht (vgl. BFH v. 18.3.1981 – II R 89/79, BStBl. II 1981, 473 Rz. 10 ff.: Abzug entsprechend § 24 Abs. 6 ErbStG i.d.F. v. 1.4.1959; Götz in Stenger/Loose, BewG/ErbStG/GrStG, § 3 ErbStG Rz. 312; Loose in v. Oertzen/Loose, ErbStG, § 3 Rz. 137).

Eine Abfindung für einen bereits verjährten Pflichtteilsanspruch war zwar, soweit ersichtlich, bislang nicht Gegenstand der BFH-Rspr. oder von Erörterungen in der Literatur. Der Verjährungseintritt dürfte aber an der Beurteilung nichts ändern, da die Abfindung gleichwohl auf eine zivilrechtlich bestehende (wenn auch nicht durchsetzbare) Verpflichtung geleistet wurde. Meines Erachtens stellt sich dann auch nicht die Frage der Bewertung des Pflichtteilsanspruchs bzw. der Pflichtteilsverbindlichkeit (für die aufgrund der Einredebehaftung eine Bewertung mit 0 EUR in Betracht kommen könnte – so für den Fall der Geltendmachung und Erfüllung des verjährten Pflichtteilsanspruchs Gottschalk in Troll/Gebel/Jülicher/Gottschalk, ErbStG, § 10 Rz. 183); denn es geht gerade nicht um die Geltendmachung dieses Anspruchs, sondern um die Leistung einer Abfindung, die eigenständig mit dem Nominalwert zu bewerten sein dürfte.

Die Finanzverwaltung hat hierzu in einzelnen Verfahren indes eine andere Auffassung vertreten. Sie hat die Abzugsfähigkeit der Abfindungsleistung verneint und sich dabei u.a. auf das BFH-Urteil v. 5.2.2020 berufen (BFH v. 5.2.2020 – II R 17/16, BStBl. II 2020, 584 = ErbStB 2020, 245 [Uhl-Ludäscher]). Dort entschied der BFH, dass ein Erbe einen verjährten Pflichtteilsanspruch, der dem Erben gegen den Erblasser zustand, trotz der Fiktion des § 10 Abs. 3 ErbStG nicht als Nachlassverbindlichkeit abziehen kann. Die Entscheidung dürfte sich aber kaum auf den hier unterstellten Sachverhalt übertragen lassen, in dem keine Konfusion des Pflichtteilsanspruchs eintritt, sondern auf diesen gegen Abfindung verzichtet wird. Daher liegt auch kein Fall der Fiktion des § 10 Abs. 3 ErbStG vor, der verjährte Pflichtteilsanspruch wird nicht vom Erben bzw. der Erbin gegen sich selbst geltend gemacht.

Es besteht also im Grundsatz ein Interessengegensatz zwischen der pflichtteilsberechtigten und der pflichtteilsverpflichteten Person. Die Entscheidung der verpflichteten Person, trotz Verjährungseintritts eine Abfindung zu leisten, kann daher auch erbschaftsteuerlich berücksichtigt werden. Etwas anderes könnte allenfalls in Missbrauchsfällen nach § 42 AO gelten, für die aber greifbare Anhaltspunkte bestehen müssten.

Beraterhinweis Verfahrensrechtlich ist zu beachten, dass eine Änderung nach § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AO in Betracht kommt, falls im Zeitpunkt der Abfindung bereits ein (endgültiger) Erbschaftsteuerbescheid ergangen ist (Wälzholz, ZEV 2007, 162, 164; Messner, ZEV 2006, 514, 516). Nach § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AO ist ein Steuerbescheid zu ändern, soweit ein Ereignis eintritt, das steuerliche Wirkung für die Vergangenheit hat. Ereignis i.S.d. § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AO sind alle rechtlich bedeutsamen Vorgänge (vgl. für Details etwa v. Groll in Hübschmann/Hepp/Spitaler, AO/FGO, § 175 AO Rz. 251 ff.). Die Vereinbarung der Abfindung für den Verzicht auf einen Pflichtteilsanspruch ist ein solches Ereignis mit steuerlicher Wirkung für die Vergangenheit, da es – wie dargelegt – eine abzugsfähige Nachlassverbindlichkeit begründet.

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