Leitsatz

Hat im Fall von Zuwiderhandlungen im Versandverfahren Carnet TIR die Zollbehörde des Mitgliedstaats, in dem die Zuwiderhandlung festgestellt wurde, aufgrund falscher Tatsachenwürdigung angenommen, dass der Ort der Zuwiderhandlung ungewiss sei, und hat sie deshalb die entstandenen Eingangsabgaben in der irrigen Annahme ihrer Zuständigkeit erhoben, ist der Abgabenbescheid gleichwohl nicht aufzuheben, wenn später der Ort der Zuwiderhandlung als nachgewiesen angesehen wird. In diesem Fall findet ein interner Ausgleich zwischen den Mitgliedstaaten statt.

 

Normenkette

Art. 10 VO (EWG) Nr. 719/91, Art. 454 Abs. 3 VO (EWG) Nr. 2454/93 (ZKDVO) a.F., § 240 ZPO

 

Sachverhalt

Eine Firma hatte in Frankreich zwei Sendungen Zigaretten zum externen Versandverfahren mit Carnet TIR abfertigen lassen. Die Sendungen wurden der vorgesehenen deutschen Ausfuhrzollstelle nicht wieder gestellt. Das (deutsche) HZA setzte daraufhin Eingangsabgaben gegen die Firma fest.

Spätere Ermittlungen ergaben, dass die Zigaretten bereits in Frankreich an unbekannte Dritte übergeben worden waren und dass der Kläger den Mitarbeitern der vorgenannten Firma Daten telefonisch übermittelt hatte, welche die Identifizierung der Waren bei der Übergabe an genannte Dritte ermöglichen sollten. Die französische Zollverwaltung übernahm das Besteuerungsverfahren gleichwohl nicht.

Das HZA setzte daraufhin Zoll, Tabaksteuer und EuSt gegen den Kläger fest, weil dieser an der Entziehung der Zigaretten aus der zollamtlichen Überwachung beteiligt gewesen sei.

 

Entscheidung

Die Eingangsabgabenschuld für die Zigaretten ist durch Entziehen der Waren aus der zollamtlichen Überwachung entstanden (Art. 2 Abs. 1 Buchst. c ZollschuldVO, die hier noch anzuwenden war; siehe jetzt den ZK und die ZKDVO). Der Kläger ist daher als Mitorganisator des Zigarettenschmuggels (Gesamt-)Schuldner der Eingangsabgaben (neben der genannten Firma).

Der Bescheid des deutschen Zolls ist auch nicht mangels Zuständigkeit rechtswidrig, weil deren Unzuständigkeit bei Erlass des Abgabenbescheides noch nicht feststand.

 

Hinweis

Wer Waren der zollamtlichen Überwachung entzieht, wird Abgabenschuldner (Art. 4 Abs. 1 ZollschuldnerVO). Das gilt nicht nur für denjenigen, der die Entziehungshandlung selbst ausführt, sondern auch für denjenigen, der die Tatherrschaft innehat und wie ein mittelbarer Täter bewirkt oder veranlasst, dass die Ware der zollamtlichen Überwachung entzogen werden.

Wird im Zusammenhang mit einem TIR-Verfahren eine Zuwiderhandlung in einem Mitgliedstaat festgestellt, erhebt nach dem im Streitfall anzuwendenden Art. 10 Abs. 2 VO Nr. 719/91 dieser Mitgliedstaat die Abgaben.

Kann nicht festgestellt werden, in welchem Gebiet die Zuwiderhandlung begangen wurde, so gilt sie nach Art. 10 Abs. 3 Unterabs. 1 VO Nr. 719/91 als in dem Mitgliedstaat begangen, in dem sie festgestellt wurde, es sei denn, die Rechtmäßigkeit der Handlung oder der Ort, an dem die Zuwiderhandlung tatsächlich begangen wurde, wird den Zollbehörden innerhalb einer bestimmten Frist nachgewiesen.

Da der Ort der Zuwiderhandlung im Besprechungsfall nicht bekannt war, als das Entziehen der Zigaretten aus der zollamtlichen Überwachung festgestellt wurde, und dieser Ort auch nicht innerhalb der Nachweisfrist festgestellt worden war, ist die Zuständigkeit der (hier: deutschen) Zollbehörde für die Abgabenfestsetzung gegeben, weil diese die Nichterledigung des Versandverfahrens und damit die Zuwiderhandlung (an einem unbekannten Ort) festgestellt hat.

Eine spätere Feststellung des Orts der Zuwiderhandlung lässt möglicherweise die Zuständigkeit des betreffenden anderen Mitgliedstaats aufleben; sie lässt aber nicht die zunächst begründete Zuständigkeit der anderen Zollbehörde wieder entfallen. Folglich sind deren Abgabenbescheide nicht aufzuheben, auch wenn sie erst ergangen sind, nachdem die vorgenannte Feststellung bereits getroffen worden war. § 10 Abs. 3 Unterabs. 3 und 4 VO Nr. 719/91 enthält vielmehr für die Abgaben, die nicht Einnahmen der Gemeinschaft sind, einen zwischenstaatlichen Ausgleichsmechanismus.

Die Anwendung dieses Mechanismus soll zwar u.a. die Verjährung der Abgabenschuld bei zunächst unklarer Zuständigkeitslage verhindern; sie hängt aber nicht etwa davon ab, dass die Abgaben in dem anderen Mitgliedstaat nicht mehr erhoben werden könnten.

Letzteres gilt aber nicht für das gemeinschaftliche Versandverfahren (vgl. insofern vielmehr BFH, Beschluss vom 5.6.2002, VII B 181/01, BFH/NV 2002, 1325).

 

Link zur Entscheidung

BFH, Urteil vom 06.12.2005, VII R 31/04BFH, Urteil vom 6.12.2005, VII R 31/0

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