Abgesehen davon, wie die vorstehenden Feststellungen zu beurteilen sind, stellt sich die Frage, ob das Urteil des BFH der EuGH-Rechtsprechung widerspricht, auf die auch das FG hingewiesen hatte.

a) EuGH v. 13.6.2013 – C-62/12 – Kostov

Fragestellung: Der EuGH hatte im Jahr 2013 darüber zu befinden, ob ein Gerichtsvollzieher (GV), Hr. Kostov, der wegen dieser Tätigkeit nach nationalem Recht "zur Mehrwertsteuer angemeldet ist", auch mit einzelnen, nicht zur Tätigkeit als GV gehörenden Leistungen als Steuerpflichtiger anzusehen ist. Es ging darum, dass Herr Kostov für einen Auftraggeber drei Grundstücke ersteigern sollte. Er war der Ansicht, dass die Teilnahme an der Versteigerung nichts mit seiner unternehmerischen Tätigkeit als GV zu tun habe, und für sich gesehen nicht als unternehmerisch anzusehen sei, weil es sich lediglich um Einzeltätigkeiten ohne Fortführungsabsicht gehandelt habe.[53]

Antwort des EuGH: Der Gerichtshof befand, dass ein Steuerpflichtiger (also Unternehmer) i.S.d. Art. 9 Abs. 1 Unterabs. 1 MwStSystRL (d.h. jemand, der z.B. aufgrund seiner Tätigkeit als selbständiger Gerichtsvollzieher mehrwertsteuerpflichtig ist), "für jede weitere, gelegentlich ausgeübte wirtschaftliche Tätigkeit als ‚Steuerpflichtiger‘ anzusehen ist, sofern diese Tätigkeit eine Tätigkeit im Sinne von Art. 9 Abs. 1 Unterabs. 2 der Mehrwertsteuerrichtlinie darstellt."[54]

Voraussetzungen "Steuerpflichtiger" ≠ Voraussetzungen "wirtschaftliche Tätigkeit": Der EuGH unterscheidet also zwischen dem Begriff des Steuerpflichtigen i.S.d. Art. 9 Abs. 1 Unterabs. 1 MwStSystRL und dem Begriff der wirtschaftlichen Tätigkeit i.S.d. Art. 9 Abs. 1 Unterabs. 2 MwStSystRL. Ist eine Person bereits aufgrund einer oder mehrerer Tätigkeiten Steuerpflichtiger, müssen die "Zusatztätigkeiten" (wie das Ersteigern im vorgelegten Fall) nicht noch einmal die Bedingungen erfüllen, die eine Person zum Steuerpflichtigen i.S.d. Art. 9 Abs. 1 Unterabs. 1 MwStSystRL machen, sondern (lediglich) die Bedingungen einer wirtschaftlichen Tätigkeit i.S.d. Art. 9 Abs. 1 Unterabs. 2 MwStSystRL, um als "im Rahmen des Unternehmens" ausgeführt angesehen zu werden. Letztere stellen gegenüber ersteren ein "minus" dar. Das sieht auch der BFH so.[55] Wären die Voraussetzungen identisch, wäre die Unterscheidung sinnlos.[56]

[53] EuGH v. 13.6.2013 – C-62/12 – Kostov, UR 2013, 626.
[54] EuGH v. 13.6.2013 – C-62/12 – Kostov, UR 2013, 626 Rz. 31.
[55] BFH v. 20.9.1990 – V R 92/85, juris Rz. 22.
[56] Vgl. auch Heber in Wäger, 2. Aufl., § 2 UStG Rz. 54.

b) Ausführungen des BFH

Zusätzliche Tätigkeiten müssen "wirtschaftliche Tätigkeit" sein: Der BFH empfand die Feststellungen des EuGH allerdings nicht als Hindernis für seine Entscheidung im vorliegenden Fall. Schließlich sei nach Auffassung des EuGH eine (natürliche) Person, die bereits für eine dauerhaft ausgeübte wirtschaftliche Tätigkeit mehrwertsteuerpflichtig ist, nur dann für jede weitere, gelegentlich ausgeübte wirtschaftliche Tätigkeit "Steuerpflichtiger", wenn diese Tätigkeit eine Tätigkeit i.S.v. Art. 9 Abs. 1 Unterabs. 2 MwStSystRL darstelle. Auch die gelegentlich ausgeübte Tätigkeit müsse daher eine wirtschaftliche Tätigkeit sein.

Händlerartige Veräußerungen in einem zeitlichen Näheverhältnis: Hieran fehle es aber, wie vorstehend dargestellt (s. V.1. – 5.), in den Fällen des B und der A-GmbH. Selbst wenn diese Gründe unbeachtlich wären,[57]"hätte ein nur gelegentliches Handeln [...] allenfalls dann zu einer Tätigkeit im Rahmen des Unternehmens geführt, wenn es vorliegend um händlerartige Veräußerungen in einem zeitlichen Näheverhältnis zum Erwerb ginge. Danach ist im Streitfall der Erwerb des Fahrzeugs auch nicht aufgrund eines sachlichen Zusammenhangs mit der unternehmerischen Tätigkeit des Klägers als ‚Nebengeschäft‘ [...] anzusehen."[58]

Anders wohl noch im "eBay-Urteil" v. 2015: Diese Feststellung ist insofern beachtlich, als der BFH in einem Urteil im Jahr 2015 Ausführungen tätigte, die man anders hätte verstehen können. Es ging (vereinfacht gesagt) um die Frage, ob eine Person, die ein Finanzdienstleistungsunternehmen betrieb und "nebenher" über eBay Haushaltsgegenstände und Pelzmäntel verkaufte, die ihr von der Schwiegermutter überlassen worden waren, mit diesen Verkäufen "unternehmerisch" tätig war ("eBay-Urteil"). Mit Blick auf die Kostov-Entscheidung stellte der BFH damals fest, es sei fraglich geworden, ob in vollem Umfang an der bisherigen Rechtsprechung des BFH unverändert festgehalten werden könne, "wonach Leistungen, die sich als Nebenfolge einer nichtunternehmerischen Betätigung (früher auch sog. Eigenleben) ergeben [...] nur dann zu unternehmerischen Umsätzen werden, wenn sie einen ‚geschäftlichen‘ Rahmen i.S. des § 2 Abs. 1 UStG erreichen [...]."[59] Das brauchte der BFH damals aufgrund seiner übrigen Feststellungen nicht mehr abschließend zu klären. Die Ausführungen im vorliegenden Urteil vom 8.9.2022 muss man aber m.E. jetzt so verstehen, dass die "Nebentätigkeiten" doch einen geschäftlichen Rahmen i.S.d. § 2 Abs. 1 UStG erreichen müssen.

Vergleich mit "Kostov": Es stell...

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