Sachverhalt

Bei dem bulgarischen Verfahren ging es um die Frage, in welchen Fällen davon auszugehen ist, dass der Fall eines nachgewiesenen oder belegten Diebstahls nach Art. 185 Abs. 2 MwStSystRL vorliegt. Die Vorschrift regelt die Voraussetzungen der Berichtigung des Vorsteuerabzugs. Nach Art. 185 Abs. 1 MwStSystRL erfolgt eine Vorsteuerberichtigung insbesondere dann, wenn sich die Faktoren, die bei der Bestimmung des Vorsteuerabzugsbetrags berücksichtigt werden, nach Abgabe der Mehrwertsteuererklärung geändert haben, zum Beispiel bei rückgängig gemachten Käufen oder erlangten Rabatten. Nach Art. 185 Abs. 2 erster Unterabsatz MwStSystRL unterbleibt die Vorsteuerberichtigung bei Umsätzen, bei denen keine oder eine nicht vollständige Zahlung geleistet wurde, in ordnungsgemäß nachgewiesenen oder belegten Fällen von Zerstörung, Verlust oder Diebstahl sowie bei Entnahmen für Geschenke von geringem Wert und Warenmuster im Sinne des Art. MwStSystRL. Nach Art. 185 Abs. 2 zweiter Unterabsatz MwStSystRL können die Mitgliedstaaten bei Umsätzen, bei denen keine oder eine nicht vollständige Zahlung erfolgt, und bei Diebstahl jedoch eine Vorsteuerberichtigung verlangen.

Die Klägerin führt ein Einzelhandelsunternehmen, dem im Zuge einer Außenprüfung wegen Nichtvorhandenseins eines Teils der nach der Buchführung eingekauften Waren der Vorsteuerabzug gekürzt wurde. Das Fehlen der Waren erklärte die Klägerin mit einem Diebstahl, der in ihrem Geschäft begangen worden sei. Der Täter konnte in einem vorgerichtlichen Verfahren nicht ermittelt werden, das daraufhin eingestellt wurde. Die bulgarische Finanzverwaltung ging davon aus, dass ein Fall nach Art. 79 Abs. 3 BG-UStG vorliege, wonach eine registrierte Person, die den Vorsteuerabzug für von ihr hergestellte, gekaufte, erworbene oder eingeführte Gegenstände zur Gänze oder zum Teil geltend gemacht hat, einen Steuerbetrag in der Höhe des in Anspruch genommenen Vorsteuerabzugs schuldet, wenn die Gegenstände zerstört wurden, Fehlmengen festgestellt wurden oder die Gegenstände als Ausschuss aussortiert wurden oder aber ihr Zweck geändert wurde und der neue Zweck nicht mehr zum Vorsteuerabzug berechtigt. Daher hätte die Klägerin in dem Zeitraum, in dem der Diebstahl geschehen sei, MwSt in der Höhe des geltend gemachten Vorsteuerabzugs abführen müssen.

Im Gegensatz zur MwStSystRL nennen die Art. 79 Abs. 3 und 80 Abs. 2 BG-UStG den Diebstahl von Sachen nicht als einen Fall, in dem die Vorsteuerberichtigung ausgeschlossen ist. Das Vorlagegericht hielt es daher für erforderlich, die Bedeutung des Begriffs "ordnungsgemäß nachgewiesener oder belegter Diebstahl" in Art. 185 Abs. 2 MwStSystRL sowie die Frage zu klären, ob es für die Zwecke der Berichtigung des Vorsteuerabzugs erforderlich ist, dass die Identität des Täters festgestellt bzw. dieser bereits rechtskräftig verurteilt wurde.

 

Entscheidung

Der EuGH hat zur Auslegung von Art. 185 Abs. 1 und 2 MwStSystRL entschieden, dass der in Art. 185 Abs. 1 MwStSystRL normierte Grundsatz der Pflicht zur Berichtigung des Vorsteuerabzugs insbesondere dann Anwendung findet, wenn sich die Faktoren, die bei der Bestimmung des Vorsteuerabzugsbetrags berücksichtigt werden, nach Abgabe der Mehrwertsteuererklärung geändert haben. Da ein gestohlener Gegenstand vom Unternehmer nicht mehr für besteuerte Ausgangsumsätze genutzt werden kann, stellt der Diebstahl für den EuGH eine solche Änderung der Faktoren dar und führt grundsätzlich zur Berichtigung des Vorsteuerabzugs. Die Ausnahme in Art. 185 Abs. 2 erster Unterabsatz MwStSystRL regelt ein zwingendes Unterbleiben der Vorsteuerberichtigung nur für ordnungsgemäß nachgewiesene Diebstahlsfälle, während Art. 185 Abs. 2 zweiter Unterabsatz MwStSystRL den Mitgliedstaaten generell erlaubt, in allen Fällen von Diebstahl (sei er ordnungsgemäß belegt oder nicht) vom Unternehmer eine Vorsteuerberichtigung zu verlangen. Folglich dürfen nach dem EuGH-Urteil die Mitgliedstaaten die Berichtigung des Vorsteuerabzugs in allen Fällen vorsehen, in denen zum Vorsteuerabzug berechtigende Gegenstände gestohlen wurden, und zwar unabhängig davon, ob die Umstände des Diebstahls vollständig aufgeklärt wurden.

Das bulgarische Recht konnte nach dem Urteil auch statt des Begriffs des Diebstahls die Feststellung von Fehlmengen als Grund für die Vorsteuerberichtigung enthalten. Da der Begriff Diebstahl grundsätzlich in den Bereich des Strafrechts fällt, dürfen die Mitgliedstaaten Begriffe verwenden, die ihnen zur Anwendung einer unionsrechtlichen Vorschrift auf dem Gebiet der Vorsteuerberichtigung geeigneter erscheinen. Somit steht Art. 185 Abs. 2 MwStSystRL Vorschriften des nationalen Steuerrechts wie den Art. 79 und 80 BG-UStG nicht entgegen, nach denen im Fall der Feststellung von Fehlmengen hinsichtlich des Wareneinkaufs der entsprechende Vorsteuerabzug zu berichtigen ist, wenn die Waren gestohlen wurden und der Täter nicht ermittelt worden ist.

 

Hinweis

Das Urteil hat für das deutsche Recht in der Praxis kaum Bedeutung. In Fällen von...

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