Rz. 55

[Autor/Stand] Bedeutung. Die ZLR ist als Prüfungsmaßstab von Bedeutung, wenn die von § 50d Abs. 3 EStG versagten Entlastungsansprüche eine Umsetzung von Art. 1 ZLR (Quellensteuerbefreiung) darstellen. Das können Entlastungsansprüche nach § 50g EStG und vergleichbare Ansprüche aus DBA mit EU-Mitgliedstaaten sein (vgl. zur Begründung entsprechend Rz. 51). Art. 1 Abs. 1 ZLR enthält die verpflichtende Zielvorgabe, dass Zinsen[2] und Lizenzgebühren[3] von allen Steuern in einem Mitgliedstaat befreit sind, sofern der Nutzungsberechtigte der Zinsen oder Lizenzgebühren ein Unternehmen eines anderen Mitgliedstaats[4] oder eine in einem anderen Mitgliedstaat belegene Betriebsstätte[5] eines Unternehmens eines Mitgliedstaats ist. Daraus folgt, dass Art. 1 ZLR für § 50d Abs. 3 EStG nur in innerunionalen Fällen[6] als Prüfungsmaßstab in Betracht kommt. Versagt § 50d Abs. 3 EStG den Entlastungsanspruch nach § 50g EStG oder vergleichbaren DBA-Normen, verstößt dies grundsätzlich gegen Art. 1 ZLR. Da Art. 1 ZLR unmittelbar anwendbar ist (vgl. Rz. 56), verdrängt er über den Anwendungsvorrang die Regelung des § 50d Abs. 3 EStG. Darauf kann sich der Steuerpflichtige berufen und die Entlastungsansprüche ohne Anwendung des § 50d Abs. 3 EStG geltend machen. Ein Verstoß gegen Art. 1 ZLR liegt hingegen nicht vor, wenn (i) § 50d Abs. 3 EStG eine Umsetzung des Art. 5 ZLR darstellt oder (ii) die Anwendung des Art. 1 ZLR nach dem allgemeinen Grundsatz des Missbrauchsverbots ausgeschlossen ist (vgl. näher zu diesen Fallgruppen Rz. 60).

 

Rz. 56

[Autor/Stand] Unmittelbare Anwendbarkeit des Art. 1 ZLR. Art. 1 ZLR erfüllt die Voraussetzungen für eine unmittelbare Anwendbarkeit.[8] Der Steuerpflichtige, der Nutzungsberechtigter (vgl. Rz. 57) der Zinsen oder Lizenzgebühren ist, kann sich daher grundsätzlich unmittelbar auf Art. 1 ZLR berufen und dies der Anwendung des § 50d Abs. 3 EStG vor nationalen Stellen entgegenhalten.[9] Die Erwägungen zu Art. 5 MTR gelten hier entsprechend, vgl. dazu Rz. 47.

 

Rz. 57

[Autor/Stand] Nutzungsberechtigter als Tatbestandsvoraussetzung. Zu beachten ist, dass das Quellenbesteuerungsverbot nach Art. 1 Abs. 1 ZLR tatbestandlich davon abhängt, dass der Nutzungsberechtigte (Art. 1 Abs. 4 ZLR) der Zinsen oder Lizenzgebühren ein in einem Mitgliedstaat ansässiges Unternehmen ist (s. zur Kontroverse bei der MTR Rz. 52). Daraus ergibt sich, dass der Steuerpflichtige nur dann ein Recht aus Art. 1 ZLR herleiten kann, wenn er Nutzungsberechtigter der von ihm vereinnahmten Zinsen oder Lizenzgebühren ist.[11] Gemäß Art. 1 Abs. 4 ZLR ist Nutzungsberechtigter, wer die Zahlungen zu eigenen Gunsten und nicht nur als Zwischenträger, etwa als Vertreter, Treuhänder oder Bevollmächtigter für eine andere Person erhält. In der Rs. N Luxembourg u.a. hat der EuGH den Begriff des Nutzungsberechtigten "im Lichte des internationalen Steuerrechts dahingehend präzisiert"[12], dass damit nicht ein formal berechtigter Empfänger gemeint ist, sondern derjenige, dem die Zinsen bzw. Lizenzgebühren wirtschaftlich zustehen und der daher frei über deren Verwendung bestimmen kann.[13] Bei der Auslegung des Begriffs des Nutzungsberechtigten gebe – so der EuGH – der OECD-MK[14] eine Orientierung[15], da dieser dasselbe Ziel verfolge (Vermeidung der Doppelbesteuerung) und der Unionsgesetzgeber auf diesem Begriffsverständnis aufgebaut habe.[16] Aus dem OECD-MK übernimmt der EuGH die Erkenntnis, dass Einheiten nicht als Nutzungsberechtigte angesehen werden können, soweit sie nur eine sog. Durchleitungsgesellschaft ("conduit company") für die erzielten Zinsen bzw. Lizenzgebühren darstellen (vgl. zu diesem Kriterium Rz. 33 ff.).[17] Zudem sei der Begriff des Nutzungsberechtigten unionsrechtsautonom und – wie auch in Rz. 12.1 OECD-MK 2017 zu Art. 10 hervorgehoben – nicht in einem engen technischen Sinne, sondern im Lichte des Ziels der Vermeidung der Doppelbesteuerung und der Verhinderung von Steuermissbrauch zu interpretieren.[18] Diese Aussage des OECD-MK 2017 hat den EuGH offenbar auch dazu inspiriert, den Begriff des Nutzungsberechtigten als Indiz für einen steuerlichen Gestaltungsmissbrauch heranzuziehen (vgl. Rz. 33).[19] Zu Einzelheiten zum Begriff des Nutzungsberechtigten, dessen Bedeutung im Rahmen des Missbrauchsbegriffs und zu Durchleitungsgesellschaften s. ausf. Rz. 33 ff. Im Gegensatz dazu hat der Begriff des Nutzungsberechtigten im Rahmen des Art. 1 ZLR die Funktion eines notwendigen objektiven Tatbestandsmerkmals für das Recht aus Art. 1 ZLR. Liegt die Nutzungsberechtigung nicht vor, besteht das Recht aus Art. 1 ZLR bereits tatbestandlich nicht, und zwar unabhängig davon, ob auch die übrigen Tatbestandsmerkmale eines Missbrauchs vorliegen oder der Steuerpflichtige die Möglichkeit hatte, wirtschaftliche Gründe vorzutragen. So stellt der EuGH in der Rs. N Luxembourg u.a. schlicht fest: "Ist der Nutzungsberechtigte von Zinsen steuerlich in einem Drittstaat ansässig, setzt die Verwehrung der Befreiung gemäß Art. 1 Abs. 1 [...] im Übrigen nicht die...

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