Zusammenfassung

Im besten Fall werden Verträge, nachdem sie abgeschlossen, unterzeichnet und ausgetauscht worden sind, nie mehr in die Hand genommen. Dann nämlich, wenn die gegenseitigen Pflichten zur beiderseitigen Zufriedenheit erfüllt werden. Überflüssig war die Mühe der Vertragsgestaltung und -verhandlung allerdings auch in diesem Falle nicht: oft war es gerade der sorgfältig formulierte Vertrag, der sicherstellt, dass keine Partei mehr erwartet, als die andere zu leisten bereit ist und umgekehrt.

Ihre wichtigste Funktion entfalten Verträge aber dann, wenn bei ihrer Abwicklung Differenzen unter den Parteien entstehen. Wenn" nicht dann", "nicht dort", "nicht das" oder "nicht so" geliefert oder geleistet wird, wie das die andere Vertragspartei nach dem Vertrag zu fordern dürfen glaubt, dann gibt ein guter Vertrag Antwort auf die Frage, welche Haupt- und welche Nebenpflichten vereinbart wurden, welche Leistungszeit und welcher Leistungsort eingehalten werden müssen und welche Konsequenzen bei verschuldeten oder unverschuldeten Leistungsstörungen zu ziehen sind.

Fehlt es an solchen Vereinbarungen oder sind sie nicht wirksam vereinbart, gelten subsidiär die gesetzlichen Regelungen. Sind die vertraglichen Bestimmungen dagegen lediglich unklar, lückenhaft oder tatsächlich oder scheinbar widersprüchlich, gilt es, den Vertrag auszulegen.

1. Haupt- und Nebenpflichten

Jeder Vertragstyp, sei es ein Kauf-, Werk-, Mietvertrag oder ein anderes Schuldverhältnis, ist gekennzeichnet durch wesentliche Pflichten der Parteien, die das Wesen eines Vertrages dieser Art ausmachen. Ohne diese (Haupt-)Pflichten ist der jeweilige Vertrag kaum denkbar, auch dann nicht, wenn er von den Parteien entsprechend benannt oder betitelt wird.

Haben sich die Parteien keine Gedanken darüber gemacht, was für einen Vertragstyp sie wählen, entscheiden die vereinbarten Hauptpflichten – der im Vertrag bestimmte Leistungserfolg und die dafür versprochene Gegenleistung – über dessen Einordnung.

 

Beispiel 1

Die Parteien A und B haben vereinbart, dass A von B ein Bistro nebst vollständigem Inventar "miete", um es selbständig zu betreiben. Die Hauptpflichten bestehen hier einerseits in der Überlassung der Räumlichkeiten, des Inventars und der darin – im Rahmen des Gastronomiebetriebes – erzielbaren Umsätze, andererseits in der Bezahlung des dafür vereinbarten Zinses.

Diese Hauptpflichten kennzeichnen einen Pachtvertrag. Denn für den Pachtvertrag[1] ist – im Unterschied zur Miete – typisch, dass die überlassene Sache Gebrauchsvorteile ( "Früchte"[2]) bietet, deren Nutzung durch den Pächter gewollt ist und gewährt wird.

1.1 Hauptpflichten

 
Vertrag (Bsp.) Hauptpflichten
Kaufvertrag Übergabe und Eigentumsverschaffung am Kaufgegenstand, Zahlung des vereinbarten Kaufpreises
Mietvertrag Gebrauchsüberlassung der Mietsache während der Mietzeit, Zahlung der vereinbarten Miete
Leasingvertrag Vorfinanzierung des Vertragsgegenstandes gegenüber dem Hersteller[1] durch den Leasinggeber und Gebrauchsüberlassung an den Leasingnehmer für die Vertragslaufzeit, Zahlung der Leasingraten
Pachtvertrag Überlassung des Pachtgegenstandes und des Genusses der Früchte aus bestimmungsgemäßer Nutzung/Ausbeutung während der Pachtzeit, Zahlung der vereinbarten Pacht
Dienstvertrag Leistung der versprochenen Dienste, Leistung der versprochenen Vergütung
Werkvertrag Herstellung eines Werkes, Herbeiführung eines Erfolges durch Arbeit oder Dienstleistung, Abnahme des Werkes und Entrichtung der vereinbarten Vergütung
Reisevertrag Erbringung einer Gesamtheit von Reiseleistungen, Zahlung des vereinbarten Reisepreises
Maklervertrag Nachweis der Gelegenheit zum Abschluss eines Vertrages oder Vermittlung eine Vertrages, Zahlung der vereinbarten Provision im Falle des Zustandekommens des Vertrages

Nur ausnahmsweise ist ein vertragliches oder vertragsähnliches Schuldverhältnis ohne Hauptpflichten denkbar, etwa dann, wenn durch die bloße Aufnahme von Vertragsverhandlungen gegenseitige Schutz- und Obhutspflichten entstehen, deren Verletzung vertragliche Schadensersatzansprüche auslösen können.[2]

[1] Hersteller und Leasinggeber können auch zusammenfallen, sog. Herstellerleasing.
[2] S. dazu unten Tz. 1.4.

1.2 Nebenpflichten

Nebenpflichten dienen der Vorbereitung und der Durchführung eines Vertrages. Sie umfassen alle Pflichten der Parteien, die darauf zielen, den geschuldeten Leistungserfolg zu sichern und zu ergänzen. Solche Pflichten können im Vertrag ausdrücklich formuliert werden, sie können sich aber auch aus den Hauptleistungspflichten ableiten.

 

Beispiel 2

Ist einem Kaufvertrag, nach dem der Verkäufer die Kaufsache an den Käufer zu versenden hat, die Klausel "in Kartons à 250 Stück, Wellpappe mit eingelegter Styroporstoßsicherung, je 50 Stück vakuumverpackt ohne Aufdruck" aufgenommen worden, ist damit eine leistungsbezogene Nebenpflicht präzise beschrieben: die Kaufsache ist in ganz bestimmter Weise verpackt zu versenden.

Wurde im Vertrag zwar die Versendung, nicht aber die Verpackung vereinbart, heißt dies gleichwohl nicht, dass der Verkäufer die...

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