Die letztgenannten, nicht leistungsbezogenen Nebenpflichten entstehen bereits in der Vorphase des Vertragsschlusses, wenn und sobald sich die Parteien mit dem Ziel eines möglichen Vertragsschlusses "näher kommen". Ihre Verletzung kann Schadensersatzansprüche der geschädigten Partei auslösen, gleich ob es im weiteren noch zu einem Vertragsschluss kommt oder gekommen ist.

Die neben die jeweilige Leistungspflicht aus einem Vertrag tretenden Schutz- und Obhutspflichten werden in § 241 Abs. 2 BGB ausdrücklich beschrieben. Die mit der Schuldrechtsreform zum 1.1.2002 eingeführte Vorschrift ist an das zuvor für vorvertragliche Pflichtverletzungen von der Rechtsprechung entwickelte Institut der "culpa in contrahendo" angelehnt:

"Das Schuldverhältnis kann nach seinem Inhalt jeden Teil zu besonderer Rücksicht auf die Rechte, Rechtsgüter und Interessen des anderen Teils verpflichten."

Damit wird zum Ausdruck gebracht,

  • dass Art und Umfang der Schutzpflichten nur aus dem konkreten Schuldverhältnis abgeleitet werden können ( "nach seinem Inhalt"),
  • dass die Rücksichtnahme der Vertragsparteien mehr verlangt als das allgemeine Deliktsrecht – etwa mit den dort entwickelten Verkehrssicherungspflichten ( "besondere" Rücksicht),
  • dass – anders als im Deliktsrecht – auch bloße Vermögensinteressen des anderen Teils geschützt sind ("Rechtsgüter und Interessen") und
  • dass die Schutzpflichten nicht auf das Verhältnis von Gläubiger und Schuldner der Hauptleistung beschränkt, sondern durchaus beiderseitige sind oder jedenfalls sein können ("jeden Teil...").

Dass solche Schutzpflichten bereits vor Vertragsschluss entstehen und ein eigenes vertragliches Schuldverhältnis begründen, hält § 311 Abs. 2 Nr. 1 BGB fest:

"Ein Schuldverhältnis mit Pflichten nach § 241 Abs. 2 BGB entsteht auch durch die Aufnahme von Vertragsverhandlungen."

Der Aufnahme von Vertragsverhandlungen sind dabei gleichgestellt

  • die Anbahnung eines Vertrages, bei welcher der eine Teil im Hinblick auf eine etwaige rechtsgeschäftliche Beziehung dem anderen Teil die Möglichkeit zur Einwirkung auf seine Rechte, Rechtsgüter und Interessen gewährt oder ihm diese anvertraut, sowie
  • "ähnliche geschäftliche Kontakte".[1]
 

Beispiel 4

Ein Investor wird vom Bauherren einer Fabrikhalle auf die Baustelle eingeladen. Der Bauherr will sich von dem Objekt noch vor Fertigstellung trennen, der Investor ist an einer Übernahme interessiert. Er stürzt bei dem Ortstermin infolge einer mangelhaft gesicherten Baugrube und verletzt sich schwer.

Obwohl hier erst die Anbahnung eines geschäftlichen Kontaktes in Rede steht, haftet der Bauherr dem Investor für Schäden, die dieser infolge schuldhafter Vernachlässigung der dem Bauherrn obliegenden Sicherungspflichten erleidet, aus Vertrag.[2] Dabei muss der Bauherr für ein Verschulden seiner Erfüllungsgehilfen nach § 278 BGB einstehen.

Die Schutzpflichten des § 241 Abs. 2 BGB können auch Dritten (Vertretern, Verhandlungsgehilfen, Sachverständigen, Auskunftspersonen) obliegen, die zwar nicht selbst Vertragspartei werden sollen, aber besonderes Vertrauen für sich in Anspruch nehmen und so die Vertragsverhandlungen oder den Abschluss erheblich beeinflussen[3] (§ 311 Abs. 3 BGB).

 

Beispiel 5

Der Inhaber eines Autohauses mit Werkstatt verkauft einen in Zahlung genommenen Wagen im Namen des Kunden. Dabei sichert er vollmundig die "Unfallfreiheit" zu, obwohl er das Fahrzeug nicht untersucht hat. Tatsächlich hat der Wagen aus einem vorangegangenen Unfall sicherheitsrelevante Rahmenschäden davongetragen, in deren Folge der Käufer verunglückt.

Der Gebrauchtwagenhändler tritt hier im eigenen Interesse als "Quasi-Verkäufer" auf. Er nimmt als Unternehmer besonderes Vertrauen in Anspruch, das für den Kunden kaufentscheidend sein kann. Daraus resultieren für ihn Schutzpflichten im Verhältnis zum Käufer des Wagens (hier: Pflicht, das Kaufobjekt zu untersuchen), obwohl er selbst nicht Vertragspartner wird. Ihre Verletzung kann seine Haftung (ggf. neben der des Verkäufers) begründen.[4]

Die vor der Schuldrechtsreform auf das Rechtsinstitut der culpa in contrahendo gestützten Schadensersatzansprüche lassen sich in den genannten Fällen unmittelbar aus § 280 BGB herleiten. Denn Voraussetzung dieses Anspruches ist allein, dass der Schuldner eine Pflicht aus dem Schuldverhältnis verletzt hat, sowie dessen (widerleglich vermutetes) Verschulden. Die Pflichtverletzung aber folgt in den Fällen der c.i.c. aus § 241 Abs. 2, das Schuldverhältnis aus § 311 Abs. 2, 3 BGB. Hat der Schuldner die Verletzung zu vertreten, ist der Weg ins allgemeine Leistungsstörungsrecht offen.

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