Leitsatz

Vorsteuerüberhänge aus der vorläufigen Insolvenzverwaltung können nicht mit später entstandenen Steuerschulden verrechnet werden.

 

Sachverhalt

Der Kläger ist Insolvenzverwalter über das Vermögen der X GmbH & Co. KG, deren Unternehmenszweck unter anderem der Betrieb und die Verwaltung von Windkraftanlagen war. Über das Vermögen der KG wurde mit Beschluss vom 27.2.2015 das vorläufige Insolvenzverfahren eröffnet. Die Eröffnung des Insolvenzverfahrens erfolgte sodann zum 1.7.2015. Nachdem die Besteuerungsgrundlagen zunächst geschätzt worden waren, reichte der Insolvenzverwalter am 27.2.2017 die Umsatzsteuererklärung ein. Er übersandte ergänzend eine Aufstellung über die Umsätze und Vorsteuerbeträge aufgegliedert in die Zeiträume vor Insolvenzverfahren (1.1.2015 bis 26.2.2015), vorläufiges Insolvenzverfahren (27.2.2015 bis 30.6.2015) und Insolvenzverfahren (1.7.2015 bis 31.12.2015). Für den Zeitraum des vorläufigen Insolvenzverfahrens ergab sich ein Guthaben in Höhe von rund 67.500 EUR. Im Umsatzsteuerbescheid 2015 wurde die Umsatzsteuer auf rund 150.000 EUR festgesetzt und dabei das im Zeitraum des vorläufigen Insolvenzverfahrens entstandene Guthaben nicht berücksichtigt. Der dagegen erhobene Einspruch des Klägers als Insolvenzverwalter blieb erfolglos.

 

Entscheidung

Die Klage vor dem Finanzgericht hatte ebenfalls keinen Erfolg. Danach hat das Finanzamt zu Recht eine analoge Anwendung des § 55 Abs. 4 InsO für die Steuererstattungsansprüche der Insolvenzschuldnerin aus der Zeit eines vorläufigen Insolvenzverfahrens abgelehnt. Nach ständiger (und unbestrittener) höchstrichterlicher Rechtsprechung des BFH besteht das Unternehmen – bedingt durch die Erfordernisse des Insolvenzrechts – nach Verfahrenseröffnung aus mehreren Unternehmensteilen, nämlich dem vorinsolvenzrechtlichen Unternehmensteil, der Insolvenzmasse und dem insolvenzfreien Vermögen. Zwischen diesen Unternehmensteilen können einzelne umsatzsteuerrechtliche Berechtigungen und Verpflichtungen nicht miteinander verrechnet werden. Die Rechtsprechung stellt aber jeweils auf den Zeitpunkt der Eröffnung des Insolvenzverfahrens als den für die Aufteilung maßgeblichen Zeitpunkt ab. Es sind keine Gründe erkennbar, warum von dieser Rechtsprechung abgewichen werden sollte. Insbesondere ergebe sich eine solche Abweichung nicht aus § 55 Abs. 4 InsO. Danach gelten Verbindlichkeiten des Insolvenzschuldners aus dem Steuerschuldverhältnis, die von einem vorläufigen Insolvenzverwalter oder vom Schuldner mit Zustimmung eines vorläufigen Insolvenzverwalters begründet worden sind, nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens als Masseverbindlichkeit. § 55 Abs. 4 InsO ist bereits seinem Wortlaut nach nicht anwendbar, da die Vorschrift lediglich Verbindlichkeiten, nicht aber Forderungen den Massenverbindlichkeiten zuweist. Angesichts des eindeutigen Wortlauts der Vorschrift und insbesondere unter Berücksichtigung des Gesetzestexts ist § 55 Abs. 4 InsO einer abweichenden bzw. – wie vom Kläger geltend gemacht – analogen Auslegung nicht zugänglich. Insbesondere wollte der Gesetzgeber keine Gleichbehandlung von Forderungen und Verbindlichkeiten, er wollte nämlich vornehmlich einen Ausgleich für den Nachteil des Fiskus, den dieser als Zwangsgläubiger hinzunehmen hat, schaffen. Daraus folgt nach Ansicht des Gerichts zwingend, dass der Gesetzgeber keine Gleichbehandlung von Verbindlichkeiten und Forderungen zum Regelungsziel hatte.

 

Hinweis

Nach der bisherigen Rechtsprechung des BFH sind im Rahmen von § 55 Abs. 4 InsO auch Vorsteuerbeträge abzuziehen, die von einem vorläufigen Insolvenzverwalter oder vom Schuldner mit Zustimmung eines vorläufigen Insolvenzverwalters begründet worden sind und die daher im Rahmen der Steuerberechnung für die § 55 Abs. 4 InsO unterliegenden Voranmeldungszeiträume masseverbindlichkeitsmindernd wirken. Nicht entschieden hatte der BFH hingegen die weitere Frage, ob ein nach der Saldierung (gemäß § 16 Abs. 2 Satz 1 UStG) verbleibendes Vorsteuerguthaben aus dem Zeitraum der vorläufigen Verwaltung in die erste Voranmeldung nach Eröffnung vortragsfähig und mit Umsatzsteuern aus Lieferungen und Leistungen nach Insolvenzeröffnung saldierungsfähig ist. Nach Ansicht des Finanzgerichts im hier zu besprechenden Streitfall ist das auf den Zeitraum der vorläufigen Insolvenzverwaltung fallende Vorsteuerguthaben nicht im Rahmen des Unternehmensteils Insolvenzmasse gegenüber dem Insolvenzverwalter (als Kläger) festzusetzen. Eine entsprechende Entscheidung hatte bereits das FG Münster, Urteil v. 26.1.2017, 5 K 3730/14 O, gefällt.

Zwischenzeitlich ist das Revisionsverfahren beim BFH anhängig, Az beim BFH XI R 1/22. Der BFH muss nun darüber entscheiden, ob Vorsteuerüberhänge aus der vorläufigen Insolvenzverwaltung mit später entstandenen Steuerschulden verrechnet werden können.

 

Link zur Entscheidung

FG Rheinland-Pfalz, Gerichtsbescheid v. 06.12.2021, 6 K 2185/20

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