Leitsatz

Die Verrechnung von Insolvenzforderungen des FA mit einem Vorsteuervergütungsanspruch des Insolvenzschuldners ist, sofern bei Erbringung der diesem Anspruch zugrunde liegenden Leistungen die Voraussetzungen des § 130 InsO oder des § 131 InsO vorgelegen haben, unzulässig (Änderung der Rechtsprechung).

 

Normenkette

§ 96 Abs. 1 Nr. 3, § 129, § 130, § 131, § 140 Abs. 1 und 3 InsO

 

Sachverhalt

Am 01.03.2001 war ein Insolvenzverfahren eröffnet worden. Zugunsten des Insolvenzschuldners wurde im Juli 2002 betreffend den Zeitraum Januar und Februar 2001 ein Vorsteuervergütungsanspruch in einer Steuerberechnung des FA ausgewiesen. Das FA hatte jedoch Steuerforderungen i.H.v. ... DM, welche auch zur Tabelle festgestellt worden waren. Mit Umbuchungsmitteilung vom November 2004 hat es deshalb den Vorsteuervergütungsanspruch mit seinen vorinsolvenzlichen Steuerforderungen verrechnet und hierüber den angefochtenen Abrechnungsbescheid erteilt (Vorinstanz: Sächsisches FG, Urteil vom 16.03.2010, 3 K 102/08, Haufe-Index 2381926).

 

Entscheidung

Der Abrechnungsbescheid ist rechtswidrig, wenn die zur Vorsteuervergütung führenden Leistungen unter den Anfechtungsvoraussetzungen der §§ 132 ff. InsO erbracht worden sind (was im zweiten Rechtsgang aufzuklären ist). Der vom FA erklärten Aufrechnung stünde dann das Aufrechnungsverbot des § 96 Abs. 1 Nr. 3 InsO entgegen.

 

Hinweis

Das Urteil betrifft einen ähnlichen Fall wie das Urteil VII R 6/10 vom 02.11.2010 (BFH/NV 2011, 516, BFH/PR 2011, 208). Dort ging es jedoch um die Unzulässigkeit der Aufrechnung eines umsatzsteuerrechtlich nach Insolvenzeröffnung entstandenen Vorsteuervergütungsanspruchs (aus der Vergütung des vor­läufigen Verwalters), hier geht es um Umsätze vor Verfahrenseröffnung, die der BFH jedoch gleich behandelt.

1. Nach § 96 Abs. 1 Nr. 3 InsO ist eine Aufrechnung unzulässig, wenn ein Insolvenzgläubiger die Möglichkeit der Aufrechnung durch eine anfechtbare Rechtshandlung erlangt hat. Wann eine Rechtshandlung anfechtbar ist, ergibt sich aus den §§ 131ff. InsO. Rechtshandlungen, die unmittelbar vor Eröffnung des Insolvenzverfahrens vorgenommen werden, sind danach recht häufig anfechtbar (vgl. § 131 Abs. 1 InsO).

2. Die Insolvenzanfechtung einer Rechtshandlung bedeutet aber nicht etwa, dass die durch eine solche Handlung ausgelösten Rechtsfolgen umfassend rückgängig zu machen sind, die Rechtshandlung also gleichsam rückabzuwickeln ist. Die Insolvenz­anfechtung hat insofern mit der Anfechtung i.S.d. BGB nicht viel mehr als den Namen gemein. Denn sie führt nur dazu, dass denjenigen Rechtsfolgen der betreffenden Rechtshandlung für das Insolvenzverfahren die Anerkennung verweigert wird, die anderenfalls die konkurrierenden Insolvenzgläubiger benachteiligen würden.

3. In diesem Zusammenhang enthält die InsO ferner eine im Besprechungsfall einschlägige Regelung, die das gesonderte Geltendmachen der Anfechtung erübrigt: Ist nämlich eine Aufrechnungsmöglichkeit durch eine anfechtbare Rechtshandlung erworben worden, so ist dem hierdurch begünstigten Insolvenzgläubiger (im Besprechungsfall: dem FA) die Aufrechnung verboten; wird sie gleichwohl erklärt, ist diese Erklärung unwirksam!

4. Konkret bedeutet dies: Hatte der spätere Insolvenzschuldner in anfechtbarer Zeit eine umsatzsteuerpflichtige Leistung in Anspruch genommen, die zu ihm anrechenbarer Vorsteuer führt, und aufgrund dessen einen USt-Vergütungsanspruch erworben, so darf das FA seine Insolvenzforderungen gegen diesen Vergütungsanspruch nicht verrechnen; es muss ihn vielmehr zur Masse erfüllen und sich wegen seiner Insolvenzforderungen mit dem Verteilungsverfahren (Quote) begnügen.

5. Der BFH hatte gleichwohl in seiner früheren Rechtsprechung eine Aufrechnung der Insolvenzforderungen des FA gegen einen solchen Vergütungsanspruch zugelassen, weil nämlich das Entstehen des Vergütungsanspruchs bzw. der dafür verantwortlichen anrechenbaren Vorsteuer keine "Handlung", sondern eine automatisch eintretende, gesetzliche Folge sei. Aber man muss freilich fragen: Folge wovon? Doch eben Folge davon, dass der spätere Insolvenzschuldner eine Leistung in Anspruch genommen hat, deretwegen zu seinen Gunsten anrechenbare Vorsteuer entstanden ist. Diese Inanspruchnahme einer Leistung ist allemal eine Rechtshandlung i.S.d. § 96 Abs. 1 Nr. 3 InsO. Das hatte vorausgehend insbesondere die Rechtsprechung des BGH verdeutlicht, der sich der BFH insofern nunmehr angeschlossen hat. Er hätte sonst auch den Gemeinsamen Senat der obersten Gerichtshöfe des Bundes anrufen müssen!

6. Das für die Finanzverwaltung missliche Ergebnis, die eigenen vorinsolvenzlichen USt-Forderungen zur Insolvenztabelle anmelden zu müssen, auf vorinsolvenzlichen Vorgängen beruhende USt-Vergütungsansprüche hingegen in vollem Umfang zur Masse befriedigen zu müssen, lässt sich auch nicht mit der Erwägung abwenden, die eben charakterisierte Rechtshandlung habe ja nicht sogleich und unmittelbar die Folge, dass ein Vergütungsanspruch zugunsten des Insolvenzschuldners entsteht (sondern erst...

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