Leitsatz

1. Bei einem finanzgerichtlichen Klageverfahren, dessen Schwierigkeit schon als überdurchschnittlich anzusehen ist und bei dem das FG trotz wiederholter Sachstandsanfragen und Erhebung einer Verzögerungsrüge erst rund sechs Jahre nach Klageeingang mit Maßnahmen beginnt, die das Verfahren einer Entscheidung zuführen sollen, ist von einer unangemessenen Verfahrensdauer auszugehen.

2. Eine nicht "unverzüglich" nach Inkrafttreten des ÜberlVfRSchG erhobene Verzögerungsrüge präkludiert sowohl einen Entschädigungsanspruch wegen überlanger Verfahrensdauer gem. § 198 Abs. 2 Satz 2 GVG als auch die Feststellung einer überlangen Verfahrensdauer gem. § 198 Abs. 4 Satz 1 GVG (Anschluss an die Rechtsprechung des BGH, Urteil vom 10.4.2014, III ZR 335/13, NJW 2014, 1967).

3. Die Regelung des § 198 Abs. 5 Satz 3 GVG, die die Nichtübertragbarkeit der Entschädigung bis zur Rechtskraft der Entscheidung über die Klage regelt, betrifft nicht die Vererblichkeit des Anspruchs.

 

Normenkette

§ 198 GVG, Art. 23 ÜberlVfRSchG

 

Sachverhalt

Die Klägerin und ihr während des Entschädigungsverfahrens verstorbener Ehemann E begehrten Entschädigung wegen der überlangen Dauer eines finanzgerichtlichen Verfahrens, das von November 2006 bis März 2013 dauerte. Darin ging es um die Abziehbarkeit von Rechtsanwaltskosten, die E entstanden waren, weil er vor dem EGMR ein Verfahren wegen überlanger Verfahrensdauer eines ihn betreffenden Strafverfahrens geführt (und gewonnen!) hatte. Nach Abschluss des Schriftsatzwechsels im Februar 2008 wurde das FG – trotz mehrerer Sachstandsanfragen der Kläger – nicht tätig. Im November 2001 (also noch vor Inkrafttreten des ÜberlVfRSchG) sowie im Juni 2012 rügten die Kläger die Verzögerung. Im März 2013 wies das FG die Klage ab.

Die Klägerin beantragte, ihr eine Entschädigung in Höhe von 8.400 EUR zu zahlen.

 

Entscheidung

Die Klage war zum Teil erfolgreich. Der Klägerin war – auch als Alleinerbin des E – für die Verzögerung des Verfahrens von Juni 2012 bis November 2012 jeweils eine Entschädigung von 600 EUR, also 1.200 EUR zuzusprechen. Ansprüche wegen der überlangen Verfahrensdauer vor der Verzögerungsrüge im Juni 2012 waren indes präkludiert.

 

Hinweis

Dieses Entschädigungsverfahren wurde vom X. Senat aus zwei Gründen zur amtlichen Veröffentlichung bestimmt. Der erste ist für die betroffenen Steuerpflichtigen nachteilig; der zweite eher positiv.

1.Bekanntlich ist das ÜberlVfRSchG gem. seiner Übergangsregelung in Art. 23 Satz 1 auch auf Verfahren anwendbar, die bei seinem Inkrafttreten (3.12.2011) bereits anhängig waren. Für anhängige Verfahren, die am 3.12.2011 bereits verzögert waren, gilt § 198 Abs. 3 GVG mit der Maßgabe, dass die Verzögerungsrüge "unverzüglich" nach Inkrafttreten erhoben werden musste (Art. 23 Satz 2 ÜberlVfRSchG).

Eine vor Inkrafttreten des Gesetzes erhobene Verzögerungsrüge erfüllt diese Voraussetzung nicht. Die Verzögerungsrüge muss vielmehr "unverzüglich nach Inkrafttreten" i.S.d. Art. 23 Satz 2 ÜberlVfRSchG erhoben werden, wobei ein Zeitraum von drei Monaten nach höchstrichterlicher Rechtsprechung als sachgerecht angesehen wird (vgl. BFH, Urteil vom 7.11.2013, X K 13/12, BFHE 243, 126, BStBl II 2014, 179, BFH/PR 2014, 106; dem BFH folgend BGH, Urteil vom 10.4.2014, III ZR 335/13, NJW 2014, 1967).

Folge der nicht "unverzüglich nach Inkrafttreten erhobenen" Verzögerungsrüge ist nach Ansicht des BGH in NJW 2014, 1967 jedoch, dass sowohl ein Anspruch auf Geldentschädigung als auch auf Feststellung der überlangen Verfahrensdauer für den Zeitraum vom Inkrafttreten des Gesetzes bis zur Erhebung der nicht unverzüglich erhobenen Verzögerungsrüge ausgeschlossen ist. Mit Rücksicht auf dieses BGH-Urteil und zur Wahrung der Einheitlichkeit der Rechtsprechung der obersten Gerichtshöfe des Bundes hat sich der BFH dieser Rechtsansicht angeschlossen und an seiner im Urteil in BFHE 240, 516, BStBl II 2013, 547 noch geäußerten Rechtsansicht, dass die Feststellung der überlangen Verfahrensdauer trotz nicht unverzüglicher Verzögerungsrüge möglich sei, im Anwendungsbereich des Art. 23 ÜberlVfRSchG nicht weiter festgehalten.

2. Der Anspruch auf Entschädigung des immateriellen Nachteils ist ein personenbezogener Anspruch, der jeder an einem Gerichtsverfahren beteiligten Person einzeln zusteht (siehe auch BFH, Urteil vom 4.6.2014, X K 12/13, DB 2014, 2326). Der Entschädigungsanspruch ist zudem vererblich, da die Entschädigung einem Schadenersatzanspruch für immaterielle Schäden entspricht. Diese Vererblichkeit wird nicht durch die Regelung in § 198 Abs. 5 Satz 3 GVG ausgeschlossen. Zwar bestimmt diese Vorschrift, dass "bis zur rechtskräftigen Entscheidung über die Klage (…) der Anspruch nicht übertragbar (ist)". Diese Vorschrift soll jedoch allein die Pfändbarkeit nach § 851 Abs. 1 ZPO und damit den Handel mit einem Entschädigungsanspruch verhindern.

 

Link zur Entscheidung

BFH, Urteil vom 20.8.2014 – X K 9/13

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