Leitsatz

1. Umsätze aus Legasthenie-Behandlungen sind grundsätzlich nicht nach § 4 Nr. 14 UStG 1999 steuerfrei.

2. Umsätze aus Legasthenie-Behandlungen, die im Rahmen der Eingliederungshilfe nach § 35a SGB VIII erbracht und gegenüber dem Träger für die betreffende Sozialleistung abgerechnet werden, sind nach Art. 13 Teil A Abs. 1 Buchst. g der 6. EG-RL steuerfrei.

 

Normenkette

§ 4 Nr. 14, § 4 Nr. 15, § 4 Nr. 18, § 4 Nr. 25 UStG, Art. 13 Teil A Abs. 1 Buchst. g, Art. 13 Teil A Abs. 2 der 6. EG-RL

 

Sachverhalt

Die Klägerin, Legasthenie-Therapeutin, war vom Jugendamt im Rahmen der Eingliederungshilfe für seelisch behinderte Kinder und Jugendliche gem. § 35a Abs. 2 Nr. 1 SGB VIII i.V.m. §§ 39 und 40 BSHG mit der ambulanten Legasthenie-Therapie beauftragt. Legasthenie-Therapien werden von den gesetzlichen Krankenkassen nicht und von den privaten Kassen nur teilweise bezahlt.

Sie beanspruchte vergeblich die Umsatzsteuerbefreiung für diese Leistungen. Das FG gab ihr Recht mit der Begründung, Legasthenie sei eine Krankheit und die Tätigkeit deshalb arztähnlich.

 

Entscheidung

Der BFH teilte nicht die Begründung des FG, bestätigte aber das Ergebnis. Die Klägerin hatte – im Rahmen der Eingliederungshilfe § 35a SGB VIII – Leistungen der sozialen Fürsorge und Sicherheit gegenüber dem Jugendamt erbracht. Das genügte dem BFH für die unmittelbare Berufung auf die Richtlinie.

 

Hinweis

1. Die Steuerbefreiung nach § 4 Abs. 14 UStG setzt bei richtlinienkonformer Auslegung u.a. eine Heilbehandlung im Bereich der Humanmedizin durch ärztliche oder arztähnliche Leistungen voraus.

Die Legasthenie ist – auch wenn sie im Einzelfall mit einer Krankheit verbunden sein kann – grundsätzlich keine Krankheit im versicherungsrechtlichen Sinn; Behandlungsziel ist vielmehr die schulische Ausbildung und weitere berufliche Qualifikation. Die Steuerbefreiung als Heilbehandlung i.S.d. § 4 Nr. 14 UStG kommt deshalb grundsätzlich nicht in Betracht.

2. Bei allen Steuerbefreiungen lohnt sich ein Vergleich mit Art. 13 der 6. EG-RL! Denn das UStG hat die Steuerbefreiungen des Art. 13 der 6. EG-RL bisher lediglich dadurch "umgesetzt", dass es die bereits bei In-Kraft-Treten der 6. EG-RL vorhandenen, teilweise bereits im UStG 1951 enthaltenen Steuerbefreiungstatbestände im Wesentlichen unverändert weitergeführt hat. D.h. eine Reihe von Befreiungstatbeständen der 6. EG-RL sind nicht kongruent umgesetzt. Das gilt insbesondere auch für die Steuerbefreiung in Art. 13 Teil A Abs. 1 Buchst. g der 6. EG-RL!

3. Setzt der nationale Gesetzgeber eine für den Steuerpflichtigen günstige Norm nicht zutreffend um, kann letzterer sich deshalb unmittelbar auf die 6. EG-RL berufen, wenn die betreffende Regelung hinreichend genau und unbedingt formuliert ist. Das hat der EuGH bereits zu Art. 13 Teil A Abs. 1 Buchst. g der 6. EG-RL bestätigt.

4. Art. 13 Teil A Abs. 1 Buchst. g der 6. EG-RL bestimmt:

„Unbeschadet sonstiger Gemeinschaftsvorschriften befreien die Mitgliedstaaten unter den Bedingungen, die sie zur Gewährleistung einer korrekten und einfachen Anwendung der nachstehenden Befreiungen sowie zur Verhütung von Steuerhinterziehungen, Steuerumgehungen und etwaigen Missbräuchen festsetzen, von der Steuer:

g) die eng mit der Sozialfürsorge und der sozialen Sicherheit verbundenen Dienstleistungen und Lieferungen von Gegenständen, einschließlich derjenigen der Altenheime, durch Einrichtungen des öffentlichen Rechts oder andere von dem betreffenden Mitgliedstaat als Einrichtungen mit sozialem Charakter anerkannte Einrichtungen.”

5. Die in Art. 13 der 6. EG-RL vorgesehenen Steuerbefreiungen stellen eigenständige Begriffe des Gemeinschaftsrechts dar; erforderlich ist deshalb eine gemeinschaftsrechtliche Definition. Dies gilt auch für die Tatbestandsmerkmale der Befreiungsnormen wie z.B. diejenigen, die die Eigenschaft oder die Identität des Wirtschaftsteilnehmers betreffen, der die von der Befreiung erfassten Leistungen erbringt.

a) Für die Inanspruchnahme der Steuerbefreiung nach Art. 13 Teil A Abs. 1 Buchst. g der 6. EG-RL genügt es, dass zwei Voraussetzungen erfüllt sind, und zwar

×zum einen, dass es sich um Leistungen handelt, die mit der Fürsorge oder der sozialen Sicherheit verbunden sind, und

×zum anderen, dass diese Leistungen von Einrichtungen des öffentlichen Rechts oder anderen Einrichtungen, die von dem betreffenden Mitgliedstaat als Einrichtungen mit im Wesentlichen sozialem Charakter anerkannt worden sind, erbracht werden.

b) Der Begriff "Einrichtung" ist grundsätzlich weit genug, um auch private Einheiten mit Gewinnerzielungsabsicht zu erfassen Hat die 6. EG-RL die Inanspruchnahme der betreffenden Befreiungen nicht ausdrücklich vom Fehlen eines Gewinnstrebens abhängig gemacht – wie z.B. hier in Art. 13 Teil A Abs. 1 Buchst. g der 6. EG-RL –, kann das Streben nach Gewinnerzielung die Inanspruchnahme dieser Befreiungen nicht ausschließen. Zwar räumt Art. 13 Teil A Abs. 1 Buchst. g der 6. EG-RL den Mitgliedstaaten ein Ermessen in der Frage ein, ob sie bestimmten Einrichtungen sozialen Cha...

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