Leitsatz

An der Steuerpflicht für Leistungen, die freie Mitarbeiter des Besucherdienstes beim Deutschen Bundestag gegenüber der Bundesrepublik Deutschland erbringen, bestehen im Hinblick auf die Steuerfreiheit für Unterrichtsleistungen von anerkannten Einrichtungen und Privatlehrern nach Art. 132 Abs. 1 Buchst. i und j MwStSystRL ernstliche Zweifel.

 

Normenkette

§ 69 FGO, Art. 132 Abs. 1 Buchst. i und j MwStSystRL

 

Sachverhalt

Der Antragsteller erbrachte in den Streitjahren 2003 bis 2010 als freier Mitarbeiter aufgrund eines mit der Bundesrepublik Deutschland abgeschlossenen Vertrags Dozentenleistungen für den Besucherdienst beim Deutschen Bundestag. Zu seinen Aufgaben gehörte es, in Vorträgen und Führungen im Bereich der Liegenschaften des Deutschen Bundestages dessen Gäste über die deutsche Parlamentsgeschichte, über Funktion, Struktur und Arbeitsweise der deutschen Volksvertretung sowie über die demokratischen Willensbildungs- und Entscheidungsprozesse zu informieren. Das FA erließ geänderte Umsatzsteuerbescheide für 2003 bis 2010, in denen es die Leistungen als steuerpflichtig ansah. Hiergegen legte der Antragsteller Einspruch ein, den das FA als unbegründet zurückwies. Über die Klage hat das FG noch nicht entschieden. Der Antragsteller beantragte darüber hinaus AdV. Diesen Antrag lehnte das FA ab. Auch der beim FG gestellte Aussetzungsantrag hatte keinen Erfolg (FG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 30.7.2014, 7 V 7013/14).

 

Entscheidung

Der BFH gewährte die beantragte AdV. Die ernstlichen Zweifel an der nach nationalem Recht bestehenden Steuerpflicht ergaben sich aus den weitergehenden Steuerbefreiungstatbeständen der Richtlinie.

 

Hinweis

1. Das nationale Recht befreit Unterrichtsleistungen nur in den engen Grenzen von § 4 Nr. 21 und Nr. 22 Buchst. b UStG. Demgegenüber enthält das Unionsrecht weitergehende Befreiungstatbestände. Nach Art. 132 Abs. 1 Buchst. i MwStSystRL befreien die Mitgliedstaaten die Erziehung von Kindern und Jugendlichen, den Schul- und Hochschulunterricht, die Aus- und Fortbildung sowie die berufliche Umschulung und die damit eng verbundenen Dienstleistungen und Lieferungen von Gegenständen. Die Steuerfreiheit setzt voraus, dass der Unternehmer eine Einrichtung des öffentlichen Rechts ist, die mit solchen Aufgaben betraut ist, oder als Einrichtung mit vergleichbarer Zielsetzung von dem betreffenden Mitgliedstaat anerkannt ist. Steuerfrei ist zudem nach Art. 132 Abs. 1 Buchst. j MwStSystRL der von Privatlehrern erteilte Schul- und Hochschulunterricht.

2. Bei summarischer Prüfung können auch Leistungen, die freiberuflich tätige Dozenten für den Besucherdienst des Deutschen Bundestages erbringen, nach der Richtlinie steuerfrei sein.

a) Die Leistungen dieser Dozenten können als Schulunterricht i.S.v. Art. 132 Abs. 1 Buchst. i und j MwStSystRL anzusehen sein. Zu den Aufgaben der Dozenten gehört es, in Vorträgen und Führungen im Bereich der Liegenschaften des Deutschen Bundestages dessen Gäste insbesondere über die deutsche Parlamentsgeschichte, über Funktion, Struktur und Arbeitsweise der deutschen Volksvertretung sowie über die demokratischen Willensbildungs- und Entscheidungsprozesse zu informieren.

b) Auch die Erfüllung der unternehmerbezogenen Voraussetzungen, die nach der Richtlinie bestehen, kommt in Betracht.

aa) Bei Unternehmern, die keine Einrichtung öffentlichen Rechts sind, setzt Art. 132 Abs. 1 Buchst. i MwStSystRL eine Leistung durch eine Einrichtung voraus, die über eine von dem betreffenden Mitgliedstaat anerkannte vergleichbare Zielsetzung verfügt, wie eine Einrichtung des öffentlichen Rechts, die mit den Aufgaben der Erziehung von Kindern und Jugendlichen, des Schul- und Hochschulunterrichts, der Aus- und Fortbildung oder der beruflichen Umschulung betraut ist.

Der BFH hält es insoweit für möglich, die Rechtsprechung zur Anerkennung von Unternehmern im Bereich der Sozialfürsorge und sozialen Sicherheit nach Art. 132 Abs. 1 Buchst. g MwStSystRL (vgl. hierzu z.B. BFH, Urteil vom 25.4.2013, V R 7/11, BFH/NV 2013, 1521 mit m.w.N. zur Rechtsprechung des EuGH) auf den Unterrichtsbereich zu übertragen. Auf dieser Grundlage kann sich die nach Art. 132 Abs. 1 Buchst. i MwStSystRL erforderliche Anerkennung insbesondere aus dem mit den Tätigkeiten des betreffenden Steuerpflichtigen verbundenen Gemeinwohlinteresse oder aus einer Kostenübernahme durch Einrichtungen des öffentlichen Rechts ergeben. Beides begründet ernstliche Zweifel an der Steuerpflicht der von Dozenten für den Besucherdienst beim Deutschen Bundestag erbrachten Unterrichtsleistungen. Zum einen besteht an diesen Leistungen ein hohes Gemeinwohlinteresse. Zum anderen erfolgt die Vergütung durch die Bundesrepublik Deutschland und damit durch eine juristische Person des öffentlichen Rechts.

bb) In Betracht kommt auch die Steuerfreiheit ­für Privatlehrer nach Art. 132 Abs. 1 Buchst. j MwStSystRL. Zwar erfasst diese Bestimmung nach dem EuGH-Urteil Eulitz (EuGH, Urteil vom 28.1.2010, C-473/08, BFH/NV 2010, 583) nicht die Leistungen von Lehrer...

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