Leitsatz

Nutzt der Insolvenzschuldner unberechtigt einen zur Masse gehörenden Gegenstand für seine nach Insolvenzeröffnung aufgenommene Erwerbstätigkeit, ist die durch sonstige Leistungen des Insolvenzschuldners begründete Umsatzsteuer jedenfalls dann keine Masseverbindlichkeit, wenn die Umsätze im Wesentlichen auf dem Einsatz seiner persönlichen Arbeitskraft und nicht im Wesentlichen auf der Nutzung des Massegegenstands beruht.

 

Normenkette

§ 35, § 55, §§ 148ff. InsO, § 60, § 123 FGO

 

Sachverhalt

Der Insolvenzschuldner nahm nach Eröffnung des Verfahrens durch Vorlage einer auf eine andere Adresse lautenden Gewerbeanmeldung eine Tätigkeit als Bauträger auf und benutzte hierfür – verbotswidrig und vom Insolvenzverwalter unbemerkt – einen Büroraum in seinem EFH. Das FA machte die Umsatzsteuer gegen die Masse geltend.

 

Entscheidung

Der BFH gab der Revision des Klägers statt. Denn nach den Feststellungen des FG beruhten die Umsätze im Wesentlichen auf der persönlichen Tätigkeit des Schuldners und hierfür war die Nutzung des Raumes unwesentlich (FG Niedersachsen, Urteil vom 13.8.2009, 16 K 10313/07, Haufe-Index 2552316, EFG 2011, 357).

 

Hinweis

1. Masseverbindlichkeiten i.S.d. § 55 Abs. 1 Nr. 1 InsO sind die Verbindlichkeiten, die durch Handlungen des Insolvenzverwalters oder in anderer Weise durch die Verwaltung, Verwertung und Verteilung der Insolvenzmasse begründet werden. Ob eine Verbindlichkeit vor oder nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens begründet ist, entscheidet sich grundsätzlich nach dem dem Anspruch zugrunde liegenden materiellen Recht. So sind z.B. Mietforderungen, die auf Nutzungszeiträume vor Eröffnung des Insolvenzverfahrens entfallen, Insolvenzforderungen, während solche, die die Nutzung danach betreffen, Masseschulden sind, auch wenn der Grund hierfür der vor Verfahrenseröffnung geschlossene Mietvertrag ist. Entsprechendes gilt z.B. für die Nebenkosten zur Miete, auch wenn sie erst nach Eröffnung abgerechnet und daher erst dann fällig werden (BGH, Urteil vom 13.4.2011, VIII ZR 295/10, ZIP 2011, 924). Allein der Umstand, dass sich für den Anspruch auch ein vorinsolvenzrechtlicher Anknüpfungspunkt finden lässt, reicht daher nicht aus.

2. Nach § 35 InsO (ab 2007 § 35 Abs. 1 InsO) erfasst das Insolvenzverfahren das gesamte Vermögen, das dem Schuldner zur Zeit der Eröffnung des Verfahrens gehört und das er während des Verfahrens erlangt (Insolvenzmasse). Der BGH hat dazu entschieden, dass die Einnahmen, die ein selbstständig tätiger Schuldner nach der Insolvenzeröffnung erzielt, in vollem Umfang ohne einen Abzug für beruflich bedingte Ausgaben zur Insolvenzmasse gehören (BGH, Beschluss vom 20.3.2003, IX ZB 388/02, NJW 2003, 2167). Die berufsbedingten Ausgaben des unternehmerisch tätigen Schuldners – auch die daraus resultierenden Steuerschulden – sind danach keine Masseverbindlichkeiten, wenn sie aus einer insolvenzfreien Tätigkeit des Schuldners herrühren.

3. Kann der Insolvenzverwalter die Tätigkeit des Schuldners während des Insolvenzverfahrens nicht unterbinden – weil sich seine Befugnisse nur auf das Vermögen des Schuldners beschränken –, kann auch die Duldung der Tätigkeit nicht masserelevant sein. Beruhen die Umsätze daher im Wesentlichen auf der persönlichen Arbeitskraft des Schuldners und nicht auf der Nutzung von Massegegenständen, liegt auch keine "Verwertung" von Massegegenständen vor, die nach § 55 Abs. 1 InsO zu Masseschulden führen kann.

Dies wird nach § 35 Abs. 2 in der ab 2007 geltenden Fassung anders zu beurteilen sein, weil diese Regelung den Insolvenzverwalter im Fall der Fortführung oder Aufnahme einer selbstständigen Tätigkeit durch den Schuldner zur Erklärung verpflichtet, ob Vermögen aus der Tätigkeit zur Insolvenzmasse gehört und ob Ansprüche aus der Tätigkeit im Insolvenzverfahren geltend gemacht werden können.

 

Link zur Entscheidung

BFH, Urteil vom 8.9.2011 – V R 38/10

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