Entscheidungsstichwort (Thema)

Kein Kindergeldanspruch bei vorrangiger Unterhaltspflicht des Vaters des Enkelkindes. Unterhaltsanspruch nach § 1615l BGB auch bei Fortsetzung der Berufsausbildung. Verlust des Kindergeldanspruchs mit der Geburt des Enkelkindes auch bei Nichtzahlung der Unterhaltleistungen nach § 1615l BGB. Mangelfallberechnung bei nicht verheiratetem Kind als Mutter für den Fall des Zusammenleben mit dem Kindesvater

 

Leitsatz (redaktionell)

1. Hat ein Kind gem. § 1615l BGB einen vorrangigen Unterhaltsanspruch gegen den Vater ihres Kindes, mit dem es nicht verheiratet ist, besteht nach der Geburt des Enkelkindes ein Kindergeldanspruch nur dann, wenn der Partner des Kindes den Unterhalt nicht vollständig leisten kann und auch das Kind nicht über ausreichend Einkünfte verfügt (sog. Mangelfall).

2. Ein derartiger Mangelfall, der die Weitergewährung von Kindergeld an die Eltern über die Geburt des Kindeskindes hinaus erlaubt, liegt nicht vor, wenn die anzurechnenden Unterhaltsleistungen des Vaters des Kindeskindes ggf. zuzüglich eigener Einkünfte und Bezüge des Kindes den jeweiligen Grenzbetrag des § 32 Abs. 4 S. 2 EStG übersteigen.

3. Das bei nicht getrennt lebenden Ehegatten zur Quantifizierung des Familienunterhalts maßgebende Prinzip der Halbteilung (Zurechnung der Hälfte des die Kindeseinkünfte übersteigenden Betrags der Einkünfte des Vaters des Kindeskindes soweit das steuerliche Existenzminimum verbleibt) ist auf den Unterhaltsanspruch nach § 1615l Abs. 2 und 3 BGB des Kindes bei der Ermittlung des Jahresgrenzbetrags nach § 32 Abs. 4 S. 2 EStG nicht zu übertragen, wenn das Kind mit dem Vater des Kindeskindes nicht in einem gemeinsamen Haushalt lebt. Der Unterhaltsanspruch nach § 1615l Abs. 2 und 3 BGB ermittelt sich in diesem Fall nach zivilrechtlichen Grundsätzen [sog. Trennungsunterhalt, Anschluss an Sächsisches FG v.12.5.2010, 8 K 1528/09 (Kg)]. Bei einem Zusammenleben des Kindes mit dem Vater des Kindeskindes in einem Haushalt ist jedoch das Prinzip der Halbteilung für die Berechnung des Unterhaltsanspruchs nach § 1615l BGB i. V. m. § 32 Abs. 4 S. 2 EStG anzuwenden.

4. Die Berücksichtigung des Unterhaltsanspruchs gegen den Kindesvater nach § 1615l BGB als eigene Einkünfte und Bezüge der Tochter scheitert nicht daran, dass dieser ihr keinen Unterhalt gezahlt hat, wenn sie ihre Ansprüche nicht geltend macht. Die Durchsetzungsbemühungen sind nachzuweisen. Lediglich dann, wenn das Kind Ansprüche auf Einkünfte und Bezüge aus einer Zwangslage heraus nicht geltend macht, findet § 32 Abs. 4 S. 9 EStG keine Anwendung.

5. Der Umstand, dass sich das Kind schon vor der Geburt ihres Kindes in Ausbildung befunden und diese anschließend fortgesetzt hat, lässt die Unterhaltspflicht des Kindesvaters fortbestehen, da eine Berufsausbildung/Studium keine Erwerbstätigkeit i. S. d. § 1615l BGB ist. Für den Unterhaltsanspruch ist es unerheblich, ob eine Nichterwerbstätigkeit erst mit der Geburt des Kindes eintritt oder schon vorher bestanden hat.

6. Ein Unterhaltsanspruch nach § 1615l BGB besteht auch dann, wenn das Kind trotz fortgesetzter Berufsausbildung die Vollbetreuung des Kindes maßgeblich zumindest mit übernimmt.

 

Normenkette

EStG § 32 Abs. 4 S. 2; EstG § 32 Abs. 4 S. 1 Nr. 2 Buchst. a; EStG § 32 Abs. 4 S. 1 Nr. 2 Buchst. c, § 11 Abs. 1; BGB §§ 1615l, 1601, 1608

 

Nachgehend

BFH (Urteil vom 11.04.2013; Aktenzeichen III R 24/12)

 

Tenor

1. Die Klage wird abgewiesen.

2. Die Kosten des Verfahrens hat die Klägerin zu tragen.

3. Die Revision wird zugelassen.

 

Tatbestand

Streitig ist die Aufhebung der Festsetzung von Kindergeld, insbesondere, ob ein sogenannter Mangelfall vorliegt.

Die Klägerin ist die leibliche Mutter ihrer am 14.04.1984 geborenen le digen Tochter, für die sie zunächst laufend Kindergeld bezog, weil die Tochter seit dem Wintersemester 2002/2003 bis zum 31.08.2008 Soziologie und Erziehungswissenschaften studierte.

Am 13.01.2006 bekam die Tochter selbst einen Sohn. Dessen Vater zahlt für seinen Sohn nicht, aber für die Kindesmutter Unterhalt.

Die Tochter nahm im Wintersemester 2005/2006 und im Wintersemester 2006/2007 Urlaubssemester in Anspruch. Im Jahr 2006 erhielt sie Erziehungsgeld in Höhe von 3.600 Euro. Sie zog nach T-Stadt und lebt seitdem in einem Mehrfamilienhaus in T-Stadt. In dessen Erdgeschoss lebte bis zu ihrem Tod am 13.04.2011 auch die Mutter des Kindesvaters. Seit März 2008 geht der Sohn in den Kindergarten.

Am 01.09.2008 begann die Tochter als Rechtspflegeranwärterin eine Ausbildung im gehobenen Justizdienst. In der Zeit vom 01.09. bis zum 31.12.2008 erzielte sie hieraus Anwärterbezüge in Höhe von 5.800 Euro.

Der Kindesvater bezog im Jahr 2006 ein zu versteuerndes Einkommen in Höhe von 21.106 Euro und im Jahr 2007 in Höhe von 23.237 Euro. Im Jahr 2008 erzielte er Bruttoeinnahmen in Höhe von 28.309,59 Euro. Ihm entstanden erhöhte Werbungskosten in Höhe von 3.519,54 Euro.

Nach Anhörung vom 16.12.2008 (Blatt 128 Band I Kindergeldakte) und vom 22.01.2009 (Blatt 133 Band I Kindergeldakte) hob die Bekla...

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