Leitsatz

1. Pflege- und Betreuungsleistungen i.S. von § 35a Abs. 2 Satz 2 erster Halbsatz EStG sind insbesondere Maßnahmen der unmittelbaren Pflege am Menschen (betreffend Körperpflege, Ernährung und Mobilität) sowie Leistungen zur hauswirtschaftlichen Versorgung (wie einkaufen, kochen und reinigen der Wohnung).

2. Die Steuerermäßigung nach § 35a Abs. 2 Satz 2 erster Halbsatz EStG kann auch von Steuerpflichtigen in Anspruch genommen werden, denen Aufwendungen für die ambulante Pflege und Betreuung eines Dritten erwachsen. Dies gilt auch dann, wenn die Pflege- und Betreuungsleistungen nicht im eigenen Haushalt des Steuerpflichtigen, sondern im Haushalt der gepflegten oder betreuten Person ausgeübt oder erbracht werden.

3. Für die Inanspruchnahme der Steuerermäßigung für ambulant erbrachte Pflege- und Betreuungsleistungen ist weder Voraussetzung, dass der Steuerpflichtige für die Aufwendungen eine Rechnung erhalten noch in den Zahlungsvorgang ein Kreditinstitut eingebunden hat.

 

Normenkette

§ 35a EStG

 

Sachverhalt

Die 1933 geborene Mutter der Klägerin wohnte in einem eigenen Haushalt. 2015 schloss die Klägerin mit einer Sozialstation eine Vereinbarung zur Erbringung von Pflegeleistungen (Einkaufen; Betreuung, Begleitung, Pflege; Hauswirtschaft) ab. Im Eingang des Vertrags ist die Mutter der Klägerin als Leistungsnehmerin aufgeführt. Der Vertrag ist im Textfeld "Leistungsnehmer/in" von der Klägerin unterschrieben. Die von der Sozialstation gestellten Rechnungen weisen die Mutter als Rechnungsempfängerin aus. Übersandt wurden die Rechnungen an die Klägerin, die sie auch durch Banküberweisung beglich.

In ihrer ESt-Erklärung für das Streitjahr (2016) machten die Kläger die dahin gehenden Aufwendungen nach § 35a EStG geltend.

Das FA lehnte dies ab. Zur Begründung führte es aus, gemäß § 35a EStG müsse der Steuerpflichtige (selbst) eine Rechnung erhalten haben. Vorliegend seien die Rechnungen jedoch an die Mutter der Klägerin gerichtet gewesen.

Die nach erfolglosem Vorverfahren erhobene Klage wies das FG ab. Es führte u.a. aus, zwar stehe der Umstand, dass Leistungsempfänger und Zahlender vorliegend nicht identisch seien, der Steuerermäßigung nach § 35a EStG nicht entgegen. Gleichwohl sei sie im Streitfall nicht zu gewähren. Denn Aufwendungen für die ambulante Pflege und Betreuung von nicht im Haushalt des Steuerpflichtigen, sondern in ihrem eigenen Haushalt lebenden Familienangehörigen seien im Rahmen von § 35a EStG nicht zu berücksichtigen (FG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 11.12.2019, 3 K 3210/19, Haufe-Index 13715078, EFG 2020, 530).

 

Entscheidung

Auf die Revision der Kläger hat der BFH die Vorentscheidung aufgehoben und die Sache an das FG zurückverwiesen.

 

Hinweis

1. Nach § 35a Abs. 2 Satz 1 EStG ermäßigt sich die tarifliche ESt für haushaltsnahe Beschäftigungsverhältnisse oder für die Inanspruchnahme von haushaltsnahen Dienstleistungen auf Antrag um 20 %, höchstens 4.000 EUR, der Aufwendungen des Steuerpflichtigen. Dies gilt auch für die Inanspruchnahme von Pflege- und Betreuungsleistungen sowie für Aufwendungen, die einem Steuerpflichtigen wegen der Unterbringung in einem Heim oder zur dauernden Pflege erwachsen, soweit darin Kosten für Dienstleistungen enthalten sind, die mit denen einer Hilfe im Haushalt vergleichbar sind (§ 35a Abs. 2 Satz 2 EStG).

2. Pflege- und Betreuungsleistungen i.S.v. § 35a Abs. 2 Satz 2 erster Halbsatz EStG sind personen- wie haushaltsbezogene Dienstleistungen, die zu den im Leistungskatalog der Pflegeversicherung aufgeführten Pflege- und Betreuungsleistungen zählen. Hierzu gehören insbesondere neben sogenannten Grundpflegemaßnahmen – und damit Maßnahmen der unmittelbaren Pflege am Menschen (Körperpflege, Ernährung und Mobilität) – auch Leistungen zur hauswirtschaftlichen Versorgung wie einkaufen, kochen, reinigen der Wohnung.

3. Voraussetzungen oder Einschränkungen hinsichtlich eines Grads der Pflegebedürftigkeit enthält das Gesetz ab dem 1.1.2009 und damit in der im Streitjahr geltenden Fassung nicht mehr.

4. Anders als die Steuerermäßigung gemäß § 35a Abs. 2 Satz 1 EStG, die nur für die Inanspruchnahme von haushaltsnahen Dienstleistungen im eigenen Haushalt beansprucht werden kann (§ 35a Abs. 4 Satz 1 EStG), ist die Steuerermäßigung für die Inanspruchnahme von ambulanten Pflege- und Betreuungsleistungen nach § 35a Abs. 2 Satz 2 erster Halbsatz EStG Steuerpflichtigen auch dann zu gewähren, wenn die Pflege- und Betreuungsleistungen nicht im eigenen Haushalt, sondern im Haushalt der gepflegten oder betreuten Person ausgeübt oder erbracht werden (§ 35a Abs. 4 Satz 1 EStG). Dahin gehende Aufwendungen können daher auch von Steuerpflichtigen (z.B. Angehörigen) geltend gemacht werden, die diese Aufwendungen getragen haben.

5. Aus dem Senatsurteil vom 3.4.2019, VI R 19/17 (BFH/NV 2019, 745) folgt nichts anderes. Denn diese Entscheidung ist im Gegensatz zum Streitfall zu Aufwendungen für die Heimunterbringung eines Dritten (Elternteil) und damit zu § 35a Abs. 2 Satz 2 zweiter Halbsatz EStG ergangen. Danach ...

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