Leitsatz

1. § 6a GrEStG gilt für alle Rechtsträger i.S. des GrEStG, die wirtschaftlich tätig sind. Unerheblich ist, ob die Beteiligung an der abhängigen Gesellschaft im Privat- oder im Betriebsvermögen gehalten wird.

2. Die Vorschrift erfasst auch den Fall, dass eine abhängige Gesellschaft auf eine natürliche Person als herrschendes Unternehmen verschmolzen wird.

3. Die in § 6a Satz 4 GrEStG genannten Fristen müssen nur insoweit eingehalten werden, als sie aufgrund eines begünstigten Umwandlungsvorgangs auch eingehalten werden können.

4. Bei der Verschmelzung einer abhängigen Gesellschaft auf ein herrschendes Unternehmen muss das herrschende Unternehmen innerhalb von fünf Jahren vor der Verschmelzung zu mindestens 95 % an der verschmolzenen abhängigen Gesellschaft ununterbrochen beteiligt gewesen sein (Vorbehaltensfrist). Die Frist von fünf Jahren nach dem Umwandlungsvorgang (Nachbehaltensfrist) muss in Bezug auf die verschmolzene abhängige Gesellschaft nicht eingehalten werden, weil sie aufgrund der Verschmelzung nicht eingehalten werden kann.

 

Normenkette

§ 6a, § 1 Abs. 1 Nr. 3 GrEStG

 

Sachverhalt

Die Klägerin ist Einzelkauffrau mit dem Rechtsformzusatz "eingetragene Kauffrau". Sie war seit 2002 Alleingesellschafterin einer GmbH, zu deren Vermögen inländische Grundstücke gehörten. Mit Vertrag vom 26.8.2010 übertrug die GmbH ihr Vermögen als Ganzes im Wege der Verschmelzung durch Aufnahme auf die Klägerin. Die Verschmelzung wurde am 14.9.2010 in das Handelsregister eingetragen.

Das FA setzte gegen die Klägerin für den Erwerb der Grundstücke Grunderwerbsteuer fest. Einspruch und Klage, mit denen die Klägerin die Steuerbefreiung nach § 6a GrEStG begehrte, blieben erfolglos (FG Münster, Urteil vom 15.11.2013, 8 K 1507/11 GrE, Haufe-Index 6420237, EFG 2014, 306).

 

Entscheidung

Auf die Revision der Klägerin hat der BFH das FG-Urteil aufgehoben und der Klage stattgegeben. Die Voraussetzungen für die Steuerbefreiung nach § 6a GrEStG seien aus den in den Praxis-Hinweisen genannten Gründen erfüllt.

 

Hinweis

1. Beim Besprechungsurteil II R 15/19 (BFH/NV 2020, 441) und den nachfolgend in diesem Heft besprochenen weiteren Urteilen vom 21.8.2019 (BFH, Urteil vom 21.8.2019, II R 16/19 (II R 36/14), BFH/NV 2020, 445, BFH/PR 2020, 138; BFH, Urteil vom 21.8.2019, II R 19/19 (II R 63/14), BFH/NV 2020, 448, BFH/PR 2020, 139; BFH, Urteil vom 21.8.2019, II R 20/19 (II R 53/15), BFH/NV 2020, 452, BFH/PR 2020, 140; BFH, Urteil vom 21.8.2019, II R 21/19 (II R 56/15), BFH/NV 2020, 456, BFH/PR 2020, 142) sowie vom 22.8.2019 (BFH, Urteil vom 22.8.2019, II R 17/19 (II R 58/14), BFH/NV 2020, 456, BFH/PR 2020, 144 und BFH, Urteil vom 22.8.2019, II R 18/19 (II R 62/14), BFH/NV 2020, 463 BFH/PR 2020, 145) handelt es sich um die ersten Sachentscheidungen des BFH zu § 6a GrEStG.

Der BFH legt die Vorschrift viel weiter als die Finanzverwaltung aus. Die Steuerpflichtigen haben in allen Fällen außer im Verfahren II R 17/19 (II R 58/14) obsiegt.

2. Der durch die Verschmelzung einer GmbH auf einen anderen Rechtsträger bewirkte Übergang des Eigentums an den Grundstücken der GmbH unterliegt nach § 1 Abs. 1 Nr. 3 Satz 1 GrEStG der Grunderwerbsteuer. Es handelt sich um gesetzliche Eigentumswechsel, bei denen kein den Anspruch auf Übereignung begründendes Rechtsgeschäft vorausgegangen war und es auch keiner Auflassung bedurfte.

3. § 6a GrEStG sieht unter bestimmten Voraussetzungen für den gesetzlichen Eigentumsübergang bei der Verschmelzung und anderen Umwandlungen i.S.d. § 1 Abs. 1 Nrn. 1 bis 3 UmwG die Nichterhebung der Grunderwerbsteuer vor. Die Nichterhebung der Steuer setzt voraus, dass an dem Umwandlungsvorgang ausschließlich ein herrschendes Unternehmen und ein oder mehrere von diesem herrschenden Unternehmen abhängige Gesellschaften oder mehrere von einem herrschenden Unternehmen abhängige Gesellschaften beteiligt sind (§ 6a Satz 3 GrEStG).

Im Sinne von Satz 3 abhängig ist eine Gesellschaft, an deren Kapital oder Gesellschaftsvermögen das herrschende Unternehmen innerhalb von fünf Jahren vor dem Rechtsvorgang und fünf Jahren nach dem Rechtsvorgang unmittelbar oder mittelbar oder teils unmittelbar, teils mittelbar zu mindestens 95 % ununterbrochen beteiligt ist (§ 6a Satz 4 GrEStG).

4. Der BFH ist bereits in dem an den EuGH gerichteten Vorabentscheidungsersuchen (BFH, Beschluss vom 30.5.2017, II R 62/14, BFH/NV 2017, 1133, BStBl II 2017, 916; vgl. unten 7.) von einem weiten Anwendungsbereich des § 6a GrEStG ausgegangen. So sei die Anwendung der Vorschrift auf die Verschmelzung einer GmbH auf ihre Alleingesellschafterin – eine AG – entgegen dem Wortlaut von Satz 4 der Vorschrift nicht deshalb ausgeschlossen, weil die GmbH aufgrund der Verschmelzung erlösche.

5. Dieser Linie ist der BFH in den nunmehr ergangenen Urteilen gefolgt.

a) Eine Gesellschaft, die durch die Umwandlung entsteht oder erlischt, kann zwar die in § 6a Satz 4 GrEStG bestimmten zeitlichen Voraussetzungen der Abhängigkeit (Vorbehaltens- und Nachbehaltensfrist) aus rechtlichen Gründen nicht vollstä...

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