Rz. 7

Kurz erörtert werden soll die Frage der Geltung des europäischen und deutschen Wettbewerbsrechts im Hinblick auf die Tätigkeiten der Pflegekassen allgemein sowie der Landesverbände und dem Spitzenverband der Pflegekassen im Speziellen. Relevant kann dies u. a. beim Abschluss von Versorgungsverträgen mit ambulanten, teil- und vollstationären Pflegeeinrichtungen (vgl. § 72 Abs. 2) werden, wo die Landesverbände den Marktteilnehmern mit entsprechender Marktmacht gegenübertreten. Von Bedeutung kann die Frage aber auch bei der Wahrnehmung der Aufgaben durch den Spitzenverband Bund der Pflegekassen, u. a. bei Abschluss von Versorgungsverträgen für die Versorgung mit Pflegehilfsmitteln (§ 78 Abs. 1 Satz 1), sein.

Eine dem § 69 SGB V nachempfundene Regelung, der u. a. auf die Vorschriften zum Vergaberecht (Abs. 3) und des Kartellrechts (Abs. 2) verweist, findet sich im SGB XI nicht. Es handelt es sich zudem um öffentlich-rechtlich geprägte Rechtsbeziehungen, sodass die Geltung des Wettbewerbsrechts und Vergaberechts nicht ohne Weiteres angenommen werden kann.

Geklärt sein dürfte die Anwendung des Vergaberechts auf Pflegekassen. Wegen der europarechtlichen Prägung des Vergaberechts und des Vorrangs des Europarechts ist von einer Anwendbarkeit auch im Hinblick auf die Pflegekassen bei Wahrnehmung ihrer Aufgaben auszugehen (vgl. zur Anwendbarkeit auf Krankenkassen EuGH, Urteil v. 11.6.2009, C-300/07, Oymanns GbR/AOK Rheinland/Hamburg; in Bezug auf Pflegekassen Mestwerdt, in: Münchner Anwaltshandbuch Medizinrecht, 3. Aufl., § 22 Rz. 131, 177 ff.; Bieback, ZESAR 2019 S. 263, 266). Dies dürfte indes wegen fehlender Selektivität dann ausscheiden, wenn jeder Leistungserbringer, der die Voraussetzungen erfüllt, einen Anspruch auf Abschluss entsprechender Versorgungsverträge, wie z. B. bei § 72 Abs. 3, hat (Bieback, ZESAR 2019 S. 263, 267).

Ebenso ist eine grundsätzliche Anwendbarkeit des UWG gegeben (vgl. EuGH, Urteil v. 3.10.2013, C-59/12, BKK Mobil Oil), wobei jeweils im Einzelfall geprüft werden muss, ob die weiteren Voraussetzungen, insbesondere trotz der öffentlich-rechtlichen Prägung und ggf. Handlungsformen das Vorliegen einer geschäftlichen Handlung, gegeben sind (Ebert-Weidenfeller/Gromotke, EuZW 2013 S. 937, 940).

Im Übrigen dürfte jedenfalls davon auszugehen sein, dass das europäische Wettbewerbsrecht nicht zur Anwendung gelangt (allgemein hierzu Bieback, ZESAR 2019 S. 263). Grundvoraussetzung für die Anwendung der Vorschriften des europäischen Wettbewerbsrechts ist, dass die Pflegekassen, die Landesverbände und der Spitzenverband bei ihrer Tätigkeit als Unternehmen i. S. der Regelungen des Art. 101 ff. AEUV anzusehen sind. Unternehmen i. S. d. Art. 101 ff. AEUV ist jede wirtschaftlich tätig werdende Einheit, unabhängig von ihrer Rechtsform oder ihrer Finanzierung. Dabei kommt es darauf an, dass eine Tätigkeit ausgeübt wird, für die es einen Markt mit mehreren, in einem Wettbewerbsverhältnis stehenden Teilnehmern gibt. Unerheblich ist dagegen eine Gewinnerzielungsabsicht (vgl. EuGH, Urteil v. 17.2.1993, C-159/91 u. a., Pocet et Pistre, Rz. 17). Für den Bereich der gesetzlichen Krankenkassen hat der EuGH bereits geklärt, dass der Spitzenverband der Krankenkassen bei Festlegung der in das Hilfsmittelverzeichnis (§ 139 SGB V) aufzunehmenden Hilfsmittel nicht als Unternehmen i. S. des Europäischen Wettbewerbsrechts tätig wird (EuGH, Urteil v. 16.3.2004, C-264/01 u. a., AOK-Bundesverband, Rz. 47 ff.). Tragender Beweggrund war, dass die soziale Zweckverfolgung der Krankenkassen eine wirtschaftliche Tätigkeit ausschließt. Denn die Krankenkassen, die nur die Gesetze anwenden und keine Möglichkeit haben, auf die Höhe der Beiträge, die Verwendung der Mittel und die Bestimmung des Leistungsumfangs Einfluss zu nehmen, fallen nicht unter den Unternehmensbegriff, soweit ihre ohne Gewinnerzielungsabsicht ausgeübte Tätigkeit auf dem Grundsatz der nationalen Solidarität beruht und die Leistungen von Gesetzes wegen und unabhängig von der Höhe der Beiträge erbracht werden. Die Gesamtbetrachtung schließt mit ein, dass die Kassen bei der Durchführung von Hilfsgeschäften, die zur Erfüllung der sozialen Zwecke erforderlich sind, ebenfalls nicht als Unternehmen anzusehen sind. Bestätigt wurde diese Einschätzung durch das BSG (Urteil v. 22.6.2010, B 1 A 1/09 R Rz. 25; ausführlich SG Dortmund, Urteil v. 26.2.2014, S 40 KR 234/08 Rz. 28). Es hat dabei zu Recht darauf abgestellt, dass die Möglichkeit des vom EuGH gedeckten Wettbewerbs über die Beitragssätze mit der Einführung des Gesundheitsfonds entfallen ist, und die als Wettbewerbsersatz eingeführten Wahltarife als Ausgleich für die nunmehr fehlende Möglichkeit der Differenzierung über den Beitragssatz anzusehen sind. Im Ergebnis dürfte für die Pflegekassen, Landesverbände der Pflegekassen und den Spitzenverband nichts anderes gelten, unabhängig davon, ob man auf ihre Tätigkeit im Bereich der Pflegeversicherung oder die Zuordnung der Aufgabe an die Landesverbände der Krankenkassen abstellt...

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